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TAG DES FLÜCHTLINGS 1989

40 Jahre Grundrecht auf Asyl –
ein Pfeiler unserer Verfassung

Günter Burkhardt

Vor vierzig Jahren zogen die Mütter und Väter unserer Verfassung die Konsequenzen aus dem Nationalsozialismus. Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, wurde oberstes Gebot. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

Der Terror des Nationalsozialismus gegen Andersdenkende und Fremde, Juden, Sinti und Roma und andere Gruppen war der Grund. Hunderttausende mußten vor politischer, religiöser und rassischer Verfolgung aus Deutschland fliehen. Achthunderttausend Flüchtlinge fanden Asyl in anderen Ländern, darunter auch in Ländern, aus denen heute Flüchtlinge zu uns kommen. Unzählige hätten gerettet werden können, wenn andere Staaten ihre Grenzen nicht verschlossen hätten. Wegen dieser Erfahrungen wurde das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte in unserer Verfassung uneingeschränkt verankert.

Die Greueltaten des Nationalsozialismus drohen in Vergessenheit zu geraten. Rassismus und Ausländerfeindlichkeit nehmen in Teilen der Bevölkerung zu. Manche Politiker schüren und benutzen diese Stimmung, um von den Problemen der hohen Arbeitslosigkeit, der Wohnungsnot, der Verarmung eines Teils der Gesellschaft abzulenken. Ausländer, Aussiedler und neuerdings wieder Asylsuchende werden zu Sündenböcken für Probleme gemacht, die sie nicht zu verantworten haben. Die Stimmen verstummen nicht, die das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte einschränken wollen.

Mit ausländerfeindlichen und rassistischen Haltungen darf es keine Kompromisse geben. Arrangements mit rechtsextremen Strömungen verstärken sie, statt sie zu begrenzen. Je mehr ausländerpolitische Verschärfungen von etablierten Parteien gefordert werden, desto mehr Erfolg haben rechte Gruppierungen. Es darf daher nicht wundern, daß bei den Wahlen in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und Hessen extrem rechte Gruppierungen eine erhebliche Anzahl von Anhängern mobilisieren konnten. Statt sich an der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge zu beteiligen, sollten alle gesellschaftlichen Kräfte um Verständnis für Flüchtlinge werden, die bei uns Zuflucht suchen.

Als Begründung für eine restriktive Politik gegenüber Flüchtlingen wird oft die geringe Anerkennungsquote angeführt. Die abgelehnten Asylsuchenden werden als „Scheinasylanten“ diskriminiert, die unser Asylrecht mißbrauchten. Also müsse Artikel 16 Grundgesetz geändert werden.

Tatsache ist jedoch, daß immer mehr Flüchtlinge deshalb nicht anerkannt werden, weil Kriege, Bürgerkriege, selbst Folter keine Gründe sind, um das Recht auf Asyl zu erhalten. Auch politisch Verfolgte, die bei der Flucht ein Drittland berühren, sind nach dem Willen des Gesetzgebers nicht ohne weiteres asylberechtigt. Und wer kann schon aus seinem Heimatland direkt in die Bundesrepublik fliehen, bei Visapflicht und Beförderungsverbot für die Fluglinien? Deutlich läßt sich die negative Entwicklung am Beispiel der Flüchtlinge aus Äthiopien zeigen. Wurden 1984 noch 87% der Flüchtlinge aus Äthiopien als asylberechtigt anerkannt, so sank die Quote 1986 auf 12 %.

Der Grund hierfür ist nicht, daß sich die politischen Verhältnisse verändert hätten oder daß die Flüchtlinge aus anderen Fluchtgründen kämen. Durch die Verschärfungen des Asylrechts, die am 15.1.1987 in Kraft traten, fällt ein Großteil der politisch Verfolgten (Flucht über ein Drittland, Nachfluchtgründe) aus der Asylanerkennung heraus. Hinzu kommt, daß die politische und öffentliche Diskussion gegenüber Flüchtlingen immer ablehnender geworden und die Entscheidungsfindungen über Asylanträge davon nicht unbeeinflußt geblieben sind. Einigen Flüchtlingen gelingt es, vor den Gerichten ihren Rechtsanspruch auf Asyl durchzusetzen. Bei anderen wird die drohende Abschiebung durch die Rechtsprechung verhindert. Nach einem Bericht des Bundesinnenministeriums stehen bei fast zwei Drittel aller abgelehnten Asylbewerber rechtliche, politische oder humanitäre Gründe einer Abschiebung entgegen. Die Rede vom massenhaften Mißbrauch des Asylrechts ist also falsch und unangebracht.

Vielfach wird argumentiert, die europäische Einigung erfordere eine „Anpassung“ von Artikel 16 Grundgesetz. Viele Juristen sind jedoch der Auffassung, daß gemäß Artikel 100 EWGVertrag die Europäische Gemeinschaft keine Kompetenz habe, das Recht auf Asyl materiell umzugestalten. Auf einer Fachtagung der Katholischen Akademie Hohenheim vom 27. Januar 1989 kommt der Justizsenator von Bremen, Volker Kröning, zu dem Schluß: „Den Behauptungen, die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes erfordere eine Änderung des Grundrechts auf Asyl nach Artikel 16 Absatz 2, fehlt die rechtliche Basis. Weder die Absichten der Organe der EG noch ihre Rechtsetzungskompetenzen zielen in diese Richtung oder lassen Maßnahmen in diese Richtung zu. “

Der Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen setzt, abgesehen von der fehlenden Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft, das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 22. Oktober 1986 enge Grenzen. Die Übertragung von Hoheitsrechten dürfe nicht dazu führen, „die Identität der geltenden Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch Einbruch in ihr Grundgefüge, in die sie konstituierenden Strukturen aufzugeben. Ein unverzichtbares, zum Grundgefüge der geltenden Verfassung gehörendes Essentiale sind jedenfalls die Rechtsprinzipien, die dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes zugrunde liegen.“ „Der Wesensgehalt der Grundrechte und zumal der Menschenrechte (müsse) generell verbürgt“ sein. Dies ist für das Bundesverfassungsgericht unabdingbar.

Zur Zeit gibt es ebenfalls keine ernsthaften Versuche, das materielle Asylrecht auf europäischer Ebene zu harmonisieren. Sonst würde mehr über die Genfer Flüchtlingskonvention gesprochen, die in allen westeuropäischen Staaten die rechtliche Grundlage im Asylverfahren ist. Einzige Ausnahme: die Bundesrepublik Deutschland. Wohl aber wird versucht, in den Schengener Verhandlungen eine Harmonisierung der Grenzkontrollen und damit möglicher Abwehrmaßnahmen gegenüber Flüchtlingen zu erreichen. In diesen Verhandlungen werden zentrale Verschärfungen der Asylpolitik festgelegt, ohne daß der Deutsche Bundestag oder das Europäische Parlament ein Mitsprache- oder Mitentscheidungsrecht hätten.

Das uneingeschränkte Grundrecht auf Asyl ist eine der Lehren aus dem Nationalsozialismus. Es ist ein Pfeiler unserer Verfassung. Es ist ein Widerspruch, wenn die Bundesrepublik 1989 das 40jährige Jubiläum des Grundgesetzes feiert und andererseits das Grundrecht auf Asyl zur Diskussion gestellt wird. Es sollte das Ziel aller Bemühungen sein, die in unserem Grundgesetz formulierte Humanität auch in schwierigen Zeiten zu wahren und durchzuhalten. Statt weiter an diesem Recht zu rütteln, sollten sich Politiker dafür einsetzen, daß Flüchtlingen, die nach der neuen Auslegung von 16 Grundgesetz kein politisches Asyl erhalten, obwohl sie bedroht sind, ein sicherer Aufenthaltsstatus gewährt wird.


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