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TAG DES FLÜCHTLINGS 1989

Container-Nacht-Aktion als Auftakt
des Tag des Flüchtlings 1988 in Stuttgart

Aufgeschreckt durch die Nachricht, daß die Zuweisungsquote in Baden-Württemberg für Städte über 10.000 Einwohner von 4,3% auf 4,9%, pro 1.000 Einwohner erhöht würde und das für Stuttgart bedeutete, daß im Jahr 1988 noch 431 neue Flüchtlinge aufzunehmen und zusätzlich Plätze für 900 deutsche Spätaussiedler zu schaffen wären, sahen wir uns genötigt, der Wohnmisere nicht tatenlos zuzuschauen.

Als 1986 wegen des Zugangs vieler Flüchtlinge in Stuttgart der Notstand ausgerufen und vier Containerdörfer errichtet wurden, wandten wir uns vom AK Asyl Stuttgart damals vehement gegen diese Container-Regelung. Nicht zuletzt wegen unserer Proteste wurde versprochen, daß die Containerdörfer nur eine Interimslösung seien. Alle Versuche, diese Container abzubauen, scheiterten aber. Nur kurzfristig wurde durch Belegungsgeschick von Sozialarbeitern ein Container im Windschatten von DaimlerBenz in Obertürkheim von Flüchtlingen geräumt, aber auf Veranlassung der Stadt daraufhin wieder mit neu zugewiesenen Flüchtlingen belegt.

Nachdem nun im Sommer 1988 klar war, daß Container in Stuttgart eine Dauerlösung für die Flüchtlingsunterbringung sein würden, beschlossen wir im Plenum des AK Asyl einhellig, daß eine Aktion gestartet werden sollte. Die Überlegung ging in die Richtung, prominente Politiker einzuladen, für eine Nacht ihren Schlafplatz in einem Container einzunehmen. Aus Fairneß verzichteten wir darauf, diese eingeladenen Politiker auch dazu aufzufordern, ihre Wohnungen für die Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, die ihren Containerplatz für eine Nacht freimachen würden. Diese Einladung erhielten mehrere prominente Politiker in Stuttgart und Baden-Württemberg wie Ministerpräsident Späth, Innenminister Schlee oder OB Rommel. Zum Teil erhielten wir vordergründige Absagen, daß aus Termingründen diese Einladung nicht wahrgenommen werden könne. Zum Teil erhielten wir harsche Kritik, daß wir Unfug trieben und auf Kosten der Asylbewerber eine unnötig spektakuläre Aktion durchführten.

Der Wortlaut der Einladung war folgender:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident!

Zusammen mit ausländischen Füchtlingen und den betreuenden Sozialarbeitern der Arbeiterwohlfahrt lädt der AK Asyl Sie zu einer kostenlosen Nacht im Containerdorf Degerloch vom 23.9./24.9.1988 sehr herzlich ein.

Mit dieser Einladung möchten sich die ausländischen Flüchtlinge bei den verantwortlichen Politikern für die Unterbringung in der reichsten Region eines der reichsten Länder der Erde bedanken.

Über Ihre Teilnahme würden wir uns freuen und Ihnen ggfs. weitere Einzelheiten mitteilen.

Mit freundlichen Grüßen, Werner Baumgarten

In der Presse wurde diese Container-Nacht-Aktion stark beachtet. Allerdings von den angesprochenen oder eingeladenen Prominenten nahm nur der Landtagsabgeordnete der GRÜNEN, Rezzo Schlauch, teil. Auch die zunächst informell sich einverstanden erklärenden Politiker der SPD nahmen kurzfristig ihre Zusagen zurück. Dennoch denken wir, daß diese Aktion wichtig und richtig war. Zum einen zeigte sie auf spektakuläre Weise, wie beengt die Lebenssituation von Flüchtlingen ist. Dies wurde in Stuttgart dadurch noch dramatischer, daß bislang immerhin möglich war, die Container mit höchstens zwei oder drei Flüchtlingen zu belegen, nach den neuesten Informationen vom Herbst 1988 allerdings eine Vier-Mann-Belegung pro Container zur Norm werden würde. Diese negative Veränderung wollten wir den verantwortlichen Politikern am eigenen Leib einmal zumuten.

Zum anderen zeigte sich, daß diese Aktion für das Demokratieverständnis und den Humor unserer hiesigen Politiker wohl eine falsche Kragenweite darstellte. Sie reagierten wie auch die Stadtverwaltung Stuttgart recht sauertöpfisch. Aus der Stadtverwaltung war zeitweise sogar zu hören, daß von den Übernachtern im Container eine Gebühr verlangt würde. Vermutlich aber wegen der dann zu erwartenden Öffentlichkeitswirkung verzichtete man auf diese Gebührenforderung. Allerdings wurde uns vorgeworfen, unbefugt über Eigentum der Stadt zu verfügen. Da die Aktion jedoch in Absprache mit dem betreuenden Sozialverband durchgeführt wurde, hatten wir mit keinen weiteren Folgen zu rechnen. In vielen Zeitungsartikeln und. Rundfunkberichten wurde in großer Aufmachung über die Containernacht berichtet. Dies zeigt, daß mit Fantasie und vielleicht auch ein wenig Humor die bedrückende Lebenssituation der Flüchtlinge unserer Öffentlichkeit durchaus nahezubringen ist. Die Reaktion der verantwortlichen Politiker zeigt zudem, daß auch sie, zumindest ein Stück weit, schlechtes Gewissen an den Tag legten und nicht ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen konnten.

Leider muß eingeräumt werden, daß selbst diese spektakuläre Container-Nacht-Aktion nicht dazu führte, Container-Unterbringungen für Flüchtlinge in Zukunft zu verhindern. In Stuttgart wurde uns von der Verwaltung gesagt, daß sie sich zwar dagegen wehrten, Flüchtlinge in Zukunft in sog. Großräumen unterzubringen, daß aber Containerdörfer für sie die zwar negativste und am untersten Limit sich befindliche, aber immerhin tolerierbare Unterbringungsart sei.

Unser Stuttgarter AK Asyl wird auch in Zukunft immer wieder mit geeigneten Maßnahmen darauf aufmerksam machen, daß Container ein Schandfleck in unserer Kulturlandschaft sind, an die man sich nicht gewöhnen darf.

Die Container-Nacht-Aktion war eine Möglichkeit, Gewöhnung zu verhindern. Weitere Aktionen sollten aber dazu führen, daß Flüchtlinge menschenwürdiger wie bisher in vernünftigen, zumutbaren Wohnungen untergebracht werden. Wenn diese spektakuläre Aktion ein Schritt in diese Richtung war, dann hat sie sich gelohnt.

Werner Baumgarten,
AK Asyl in Baden-Württemberg

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