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TAG DES FLÜCHTLINGS 1989

Der Parlamentarische Rat und das Asylrecht

Auszüge aus dem stenografischen Bericht über die 18. Sitzung
des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 4.12.1948

Dr. Fecht (CDU): Durch Absatz 2: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ könnten wir genötigt werden, Faschisten, die in Italien politisch verfolgt werden, bei uns in unbegrenzter Zahl aufzunehmen. Das ließe sich auch auf andere Verhältnisse übertragen, wo es sich um Leute handelt, die nach ihren Grundsätzen undemokratisch sind. Wir wären unter Umständen genötigt, in Massen Leute aufzunehmen, die mit unserer Auffassung und mit unserem Gesetz vollständig in Widerspruch stehen.

Vorsitzender Dr. Schmid: … Ob man das Asylrecht, wenn man es wirksam machen will, auf bestimmte Gruppen beschränken kann, weiß ich nicht. Die Asylrechtgewährung ist immer eine Frage der Generosität, und wenn man generös sein will, muß man riskieren, sich gegebenenfalls in der Person geirrt zu haben. Das ist die andere Seite davon, und darin liegt vielleicht auch die Würde eines solchen Aktes. Wenn man eine Einschränkung vornimmt, etwa so: Asylrecht ja, aber soweit der Mann uns politisch nahesteht oder sympathisch ist, so nimmt das zuviel weg…

Dr. von Mangoldt (CDU): Im Ausschuß ist über diese Frage eingehend gesprochen worden. Ich kann nur unterstreichen, was Herr Dr. Schmid ausgeführt hat, und brauche weitere Ausführungen nicht zu machen. Ich brauche hier nur darauf hinzuweisen, wenn wir irgendeine Einschränkung aufnehmen würden, wenn wir irgend etwas aufnehmen würden, um die Voraussetzungen für die Gewährung des Asylrechts festzulegen, dann müßte an der Grenze eine Prüfung durch die Grenzorgane vorgenommen werden. Dadurch würde die ganze Vorschrift völlig wertlos.

Vorsitzender Dr. Schmid: Dann beginnt das Spiel: man schickt den Mann zurück oder man schickt ihn an die andere Grenze, und von dort geht es wieder weiter.

(Dr. von Mangoldt: Wir haben unsere Erfahrungen aus dem Krieg… )

Renner (KPD): Darf ich mir zu dem Begriff Asylrecht einige Bemerkungen erlauben. Das Asylrecht, wie es die Welt im allgemeinen kennt, beinhaltet nur das Aufenthaltsrecht. Die politischen Flüchtlinge, die vom Asylrecht Gebrauch machen müssen, sind in der Regel angewiesen auf die Unterstützung aus öffentlichen Mitteln bzw. aus Mitteln, die private Organisationen aufbringen, weil das Asylrecht in den meisten mir bekannten Ländern nicht das Recht auf Arbeit einschließt. Ich bitte, zu überlegen, ob es nicht berechtigt ist, zu sagen:

Politisch Verfolgte genießen Asylrecht einschließlich des Rechtes auf Arbeit.

Vorsitzender Dr. Schmid: Herr Kollege Renner, wir brauchen den Zusatz nicht. In Artikel 2 haben wir ja die Bestimmung, daß jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit hat.

(Renner: Nein, das bezieht sich nur auf deutsche Staatsbürger!) – Nein, „jeder“ heißt es dort ausdrücklich, also jedermann.

Wagner (SPD): … Nun ein Wort zu den Ausführungen, die Herr Kollege Renner über das Recht auf Arbeit gemacht hat. Was er gesagt hat, hat seine Begründung in einer zum Teil sehr bitteren Erfahrung, die wir draußen gemacht haben. Wir waren sehr glücklich, daß wir draußen unterkamen und daß wir dadurch Hitler und seinen Henkersknechten entkommen konnten. Aber es war sehr bitter für die Tausende, als sie draußen waren mit Asylrecht, aber ohne die Möglichkeit, zu arbeiten und sich dadurch zu ernähren. Der Ausgangspunkt seiner Anregung ist also durchaus berechtigt, und ich stehe materiell ganz auf seinem Standpunkt. Aber ich glaube, das paßt in diesen Absatz 2 schon begrifflich nicht hinein. Wir wollen in diesem Grundrecht in Absatz 2 sagen: Der politisch Verfolgte kann zu uns kommen, er wird von uns beschützt, er hat Asyl.

Alles andere ist zum Teil durch die Ausführungen des Herrn Vorsitzenden geklärt. Aber selbst wenn man zweifeln wollte, daß sie juristisch völlig zutreffend sind, wäre es Sache des Bundesgesetzgebers, dafür zu sorgen, daß die Menschen, die bei uns ein Asyl gefunden haben, auch die Möglichkeit zum Leben haben. Die haben sie nur, wenn sie die Möglichkeit zur Arbeit haben, weil die Unterstützung auch bei Flüchtlingen, auch bei Leuten mit Asylrecht demoralisierend wirkt. Deshalb glaube ich, Herr Kollege Renner, daß wir durchaus die Möglichkeit haben, dieses Recht sich zu ernähren, auf dem Gebiet der Bundesgesetzgebung anzuerkennen und den Leuten zu gewähren, die bei uns Asyl gefunden haben…

Dr. von Brentano (CDU): Noch ein zweites Wort in Beantwortung dessen, was sie sagten, Herr Kollege Wagner und Herr Dr. von Mangoldt. Erstens, es ist eine grundsätzliche Frage – darüber bin ich mir klar -, ob man Asylrecht ganz generell geben soll oder nicht. Aber ich frage mich – und ich bitte Sie, daß Sie sich diese Frage auch vorlegen -, ob es richtig und notwendig ist, daß wir das Asylrecht so weit ausdehnen, daß wir etwa in Deutschland zur Oase auch derjenigen politisch Verfolgten werden, die ihre Tätigkeit, die sie zum Abwandern aus ihrer Heimat veranlaßt hat, auch hier fortsetzen werden, nämlich den Kampf gegen die Demokratie. Ich glaube nicht, daß eine Verpflichtung besteht, das Asylrecht so weit auszudehnen. Es muß die Möglichkeit gegeben sein, zwar einen Ausländer nicht auszuliefern, aber ihn wegen seiner gesamten staatsgefährlichen Haltung des Landes zu verweisen. Diese Möglichkeit ist nicht mehr gegeben, wenn wir generell sagen: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

Dr. Seebohm (DP): Ich muß mich grundsätzlich für das absolute Asylrecht aussprechen, trotz der Bedenken, die Herr Kollege Dr. von Brentano vorgetragen hat . . .

Renner (KPD): … Nun zur Sache selber, zur Einengung des Asylrechts. Herr Dr. von Brentano will das Asylrecht nur denen gewähren, die ihr Heimatland verlassen mußten, weil sie aufrechte Kämpfer für die Demokratie waren. Nun kenne ich kein Land in Europa, das nicht von sich behauptet, daß der Zustand in seinem Land die Demokratie schlechthin ist. Ich kenne kein solches Land. Alle Länder, auch Spanien, behaupten, demokratische Länder zu sein. Die Meinungen darüber gehen natürlich auseinander. Was der eine als Demokratie ansieht, ist dem anderen das Gegenteil. Ich lasse durchaus offen, welche Meinung richtig ist. Ich rede nur schlechthin von der Tatsache, daß jedes Land seine Regierungsform als demokratisch anspricht. Nur diejenigen, die gegen die dort existierende Staatsordnung angehen, verstoßen dann nach Auffassung der dort herrschenden Gewalt gegen die Demokratie. Sie müssen aus diesem Grund das Land verlassen. Sie sind also in jedem Fall vom Standpunkt ihres Heimatlandes aus gesehen, als Kämpfer gegen die Demokratie in dem jeweiligen Land anzusprechen. Daß man aber im 20. Jahrhundert als politisch reifer Mensch und Demokrat überhaupt den Gedanken aussprechen kann, es sei notwendig, das Asylrecht einzuengen, das geht weit über mein Begriffsvermögen hinaus.

Ein letztes Wort. Man soll sich hüten, den Begriff „politischer Emigrant“ irgendwie einzuengen. Die Praxis hat bewiesen, daß ein großer Teil der in der Nazizeit aus Deutschland geflüchteten Emigranten im Asylland von Deutschland her mit irgendeiner kriminellen Beschuldigung belastet wurde. Die Nazibehörden haben sozusagen an einem jedem von uns irgend etwas Kriminelles entdeckt. Sie haben auf Grund dieser Entdeckungen zum Beispiel einem Gewerkschaftler, der dafür gesorgt hat, daß das Geld der Gewerkschaften ins Ausland kam, daß unser ehrliches Geld nach drüben kam und nicht Hitler in den Rachen fiel, einen Prozeß wegen Unterschlagung angehängt. Das müssen Sie doch wissen. Man hat es also in den allermeisten Fällen verstanden, den Begriff politischer Emigrant mit dem Begriff krimineller Flüchtling zu vermengen. Deswegen muß man jede Einengung des Begriffs politischer Emigrant vermeiden. Man muß schlechthin von politischer Emigration und politischem Asylrecht sprechen, sonst gerät man in des Teufels Küche.

Am 6. Mai 1949 wurde im Plenum des Parlamentarischen Rates das Recht auf Asyl mit großer Mehrheit in das Grundgesetz der Bundesrepublik aufgenommen.

Aus: Hans Kreuzberg (Hg.), Grundrecht auf Asyl, Materialien zur Entstehungsgeschichte, Carl Heymanns Verlag, Köln 1984

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