TAG DES FLÜCHTLINGS 1989
Grußwort der Bundesarbeitsgemeinschaft
der Freien Wohlfahrtspflege
Die Würde des Menschen ist Verletzbar
INHALT
- Grußwort des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (1989)
- Grußwort der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (1989)
ANALYSEN
- Der Parlamentarische Rat und das Asylrecht
- „Festung Europa“ – zur neueren Entwicklung der Asylpolitik in der Europäischen Gemeinschaft
- 40 Jahre Grundrecht auf Asyl – ein Pfeiler unserer Verfassung
- Die Saat geht auf: Ausländerhaß
- Visumpflicht für Kinder?
- Verfolgt, weil Frau – kein Asylgrund?
- Asyl in der Kirche – Erfahrungen aus Berlin
- Abschiebungen in den Libanon?
BEISPIELE UND ANREGUNGEN
- Nicht politisch verfolgt? – Cengiz Dogu, ein Flüchtlingsschicksal
- Offener Brief an den Bundesinnenminister
- „Ich war fremd und obdachlos … und ihr habt mich aufgenommen“
- Stein des Anstoßes
- Container-Nacht-Aktion als Auftakt des Tages des Flüchtlings 1988 in Stuttgart
- Der Kölner Flüchtlingsrat zur Aussiedlerdiskussion
- Resolution der „Flüchtlinge in Berlin“
- Ökumenische Aktion in der Fußgängerzone
- Speisezettel weist den Weg aus der Isolation
- Nur Platz für Bett und zwei Stühle
- Statistik
- Materialhinweise / Adressen
Die Verletzbarkeit der Menschenwürde zeigt sich auf vielfältige Weise: In ungerechten Machtstrukturen, in bis heute unausrottbaren Folterungen, in der Vorenthaltung grundlegender Freiheitsrechte, in Kriegen und Bürgerkriegen mit ihren fatalen Folgen für die Zivilbevölkerung, in der Unterdrückung von Frauen. Dies sind gleichzeitig die wesentlichen Gründe für die Flucht vieler Menschen in rechtsstaatliche, demokratische und freie Gesellschaftsformen, so auch zu uns in die Bundesrepublik Deutschland.
Den Vätern unserer Verfassung war diese Verletzbarkeit der Menschenwürde bewußt. Sie formulierten deshalb in Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Eine Ausformung dieses Leitsatzes enthält Artikel 16 des Grundgesetzes: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“.
Flüchtlinge sind in besonderem Maße verletzbar. Flucht bedeutet zumeist die Trennung von Familie und Freunden, Beruf und Besitz, von der vertrauten Umgebung. Flüchtende sind nicht selten skrupellosen „Helfern“ ausgeliefert, durchleben Angst und Unsicherheit auf ihren Fluchtwegen, bemühen sich oft erfolglos um ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben.
Im Bewußtsein dieser besonderen Verletzbarkeit und Abhängigkeit des Flüchtenden hat die verfassungsgebende Versammlung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 für Asylsuchende das subjektive Recht auf Asyl geschaffen, abgesichert durch eine umfassende Rechtsschutzgarantie.
Nach 40jährigem Bestand ist dieses wichtige Grundrecht jedoch heute in Gefahr: eine immer engere Auslegung des Begriffs der politischen Verfolgung schließt zunehmend Flüchtlinge vom Asylrecht aus, durch neue Bestimmungen des Asylverfahrensgesetzes haben bestimmte Personengruppen keinen Asylanspruch mehr, eine förmliche Änderung des Grundgesetzes ist im Gespräch. Es darf nichts unversucht bleiben, durch Maßnahmen unterhalb einer solchen Grundgesetzänderung der tatsächlichen Schwierigkeiten Herr zu werden.
Die Zahl der Asylsuchenden ist in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen. Dazu müssen gegenwärtig für eine ungewöhnlich große Zahl von Aussiedlern und DDR-Zuwanderern Wohnungen, Arbeit und Ausbildungsmöglichkeiten bereitgestellt werden. All dies verlangt höchste Anstrengungen von den Verantwortlichen. Länder, Landkreise und Gemeinden fühlen sich vielfach überfordert.
Zahlreiche Gruppen und Einzelpersonen bemühen sich darum, die neuen Mitbürger und Gäste gastfreundlich aufzunehmen, sie in menschenwürdigen Verhältnissen unterzubringen und gegebenenfalls in unser gesellschaftliches Leben einzugliedern. Diese Bemühungen müssen unterstützt und gefördert werden, von Bürgern, politisch Verantwortlichen und Medien.
Die freien Wohlfahrtsverbände sehen eine große Aufgabe darin, in dieser Situation zu helfen, zu beraten und die gesamte Bevölkerung zu ermutigen.
Dr. Georg Hüssler
Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V., Bonn
Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft sind: Arbeiterwohlfahrt – Bundesverband –, Deutscher Caritasverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband –, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.