TAG DES FLÜCHTLINGS 1989
Nicht politisch verfolgt?
Cengiz Dogu, ein Flüchtlingsschicksal
INHALT
- Grußwort des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (1989)
- Grußwort der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (1989)
ANALYSEN
- Der Parlamentarische Rat und das Asylrecht
- „Festung Europa“ – zur neueren Entwicklung der Asylpolitik in der Europäischen Gemeinschaft
- 40 Jahre Grundrecht auf Asyl – ein Pfeiler unserer Verfassung
- Die Saat geht auf: Ausländerhaß
- Visumpflicht für Kinder?
- Verfolgt, weil Frau – kein Asylgrund?
- Asyl in der Kirche – Erfahrungen aus Berlin
- Abschiebungen in den Libanon?
BEISPIELE UND ANREGUNGEN
- Nicht politisch verfolgt? – Cengiz Dogu, ein Flüchtlingsschicksal
- Offener Brief an den Bundesinnenminister
- „Ich war fremd und obdachlos … und ihr habt mich aufgenommen“
- Stein des Anstoßes
- Container-Nacht-Aktion als Auftakt des Tages des Flüchtlings 1988 in Stuttgart
- Der Kölner Flüchtlingsrat zur Aussiedlerdiskussion
- Resolution der „Flüchtlinge in Berlin“
- Ökumenische Aktion in der Fußgängerzone
- Speisezettel weist den Weg aus der Isolation
- Nur Platz für Bett und zwei Stühle
- Statistik
- Materialhinweise / Adressen
Cengiz Dogu ist türkischer Staatsangehöriger. Cengiz Dogu beantragt im Januar 1982 Asyl. Er lebt zur Zeit in Neuburg an der Donau in Bayern. Ihm droht die Ausweisung in die Türkei.
Zur Begründung seines Asylantrages trägt er vor, daß er in der Türkei als Mitglied einer marxistisch-kommunistischen Organisation aktiv war. Wegen seinem Engagement in dieser Organisation müsse er mit Verfolgung rechnen. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnt seinen Antrag ab. Gegen diesen Bescheid klagt Cengiz Dogu.
Seit 1983 veröffentlicht er Gedichte, die sich mit der Situation von Asylsuchenden in der Bundesrepublik Deutschland und der politischen Situation in der Türkei befassen. Sie sind in der türkischen Zeitung „Türkiye Postasi“, in dem im Signal-Verlag erschienenen „Lesebuch Asyl – Ein Platz zum Leben gesucht“ und in mehreren lokalen Zeitungen abgedruckt worden. Ein eigener Gedichtband ist unter dem Titel „Das Lager gleicht nicht den Kerkern Anatoliens“ im Verlag Schanzer Journal erschienen. Bei verschiedenen Lesungen ist Cengiz Dogu öffentlich aufgetreten.
Mit Urteil vom 12. März 1987 lehnt das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach seine Klage ab. Bei seiner literarischen Tätigkeit handele es sich um einen subjektiven Nachfluchttatbestand, der für eine Asylanerkennung nicht in Betracht gezogen werden könne. Auch wenn er in der Türkei wegen kommunistischer Propaganda mit einem Strafverfahren rechnen müßte, wäre ein politischer Verfolgungsbeweggrund nicht ersichtlich, da es sich dann um eine Verfolgung eines Staatsschutzdeliktes handeln würde.
Auch die Berufung bleibt erfolglos. Nach Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs handelt es sich bei den Gedichten zum Teil um durchaus unpolitische Gedichte, in denen allenfalls mittelbar eine Einstellung gegen die Regierung der Türkei erkennbar werde.
Auch der Antrag auf Duldung beim Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen wird abgelehnt. Die Abschiebung ist für Juli 1988 vorgesehen.
Amnesty international ruft zu einer Briefaktion an den Bayerischen Innenminister und den zuständigen Landrat auf, da bei einer Abschiebung die Gefahr der Inhaftierung und der Folter bestehe. Cengiz Dogu ist besonders gefährdet, da er in seinen Gedichten Menschenrechtsverletzungen in der Türkei anprangert. Die vielfältigen Proteste haben bisher die Abschiebung von Cengiz Dogu verhindert. Wir dokumentieren eines der „unpolitischen“ Gedichte von Cengiz Dogu.
Über Folter
gedacht
wie ihr über eure kaputten Schuhe
nachdenken würdet
wie ihr über eure Miete und euer Brot
nachdenken würdet,
wenn ihr arbeitslos wärt, ohne Geld in
euren Händen? . . .
Zum Beispiel, wenn sie auf der Polizei-
station Strom schicken
durch einen Menschenkörper, jung und
voller Leben,
oder Zigaretten ausdrücken auf der
Haut,
regt euch das zum Denken an wie euer
Liebeskummer? . . .
Oder wenn sie Tag und Nacht
Bastonnaden schlagen
auf die dicken, zerplatzenden Fuß-
sohlen voller Blutergüsse
oder in einer Zeile die Stimme eines
Menschen erwürgen,
überlegt ihr euch da die Dimensionen
des Schmerzes?
Habt ihr jemals über Folter nach
gedacht,
wer sie als erste befohlen hat und
warum,
daß sie sich hinzieht wie ein blutiger
Weg
von den dunklen Seiten der Vergangen-
heit bis zum heutigen Tag? . . .
aus: Das Lager gleicht nicht den Kerkern Anatoliens, Verlag Schanzer Journal