TAG DES FLÜCHTLINGS 1996
Zehn Jahre PRO ASYL
Jürgen Micksch
INHALT
- Grußwort der Vertreterin der Hohen Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen (UNHCR) in der Bundesrepublik Deutschland
- Entwicklung der Asylpolitik in Europa
- Frauenspezifische Verfolgungsgründe
- Der Einzelfall zählt
- Statt Asyl: Auslandsschutzbrief und Nichtverfolgungsbescheinigung – Verfassungsgericht glaubt der Selbstauskunft von Diktatoren
- Gibt es Kettenabschiebungen?
- »In meinem Kopf ist immer die Frage: Was kommt später?« – Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge
- Kann man Folter übersehen?
- Der Präsident erhöht die Schlagzahl
– Druck auf die Mitarbeiter des Bundesamtes verschlechtert die Qualität der Asylentscheidungen - »…daß hier allzu leichtfertig mit dem Schicksal eines Menschen umgegangen wird.«
Später Erfolg für die kurdische Familie Simsek im Petitionsausschuß - Brennpunkt Flughafen
- Nach Einreise: Abschiebehaft
- Für Härtefallregelungen
- Gegen die inhumane Abschiebepraxis in Deutschland
- Illegalität fällt nicht vom Himmel
- Beispiele und Anregungen
- Das Asylbewerberleistungsgesetz ein Schreckgespenst für Flüchtlinge und Asylsuchende
- Ärzte-Netzwerk »Medizinische Hilfe«
- Erste Erfahrungen einer Abschiebehaft-Gruppe
- Begegnung mit Flüchtlingen suchen
- Wir wollen, daß ihr bleiben könnt!
- Was ist los in Zaire?
- Gruppenasyl in Regensburg für togoische Flüchtlinge
- Unzureichende Altfallregelung – künftig kaum noch Abschiebestopps
- Zehn Jahre PRO ASYL
- Adressen
- Statistik
Gelegentlich wird PRO ASYL als »klassische« Flüchtlingsorganisation bezeichnet. Nur wenigen ist bekannt, daß es diese Arbeitsgemeinschaft erst seit zehn Jahren gibt. Die Anfänge gehen auf ein Gespräch zwischen René van Rooyen, dem damaligen Vertreter des Hohen Flüchtlingskommis- sars der Vereinten Nationen in der Bundesrepublik Deutschland und mir zurück, das wir am 30. November 1985 in Hof nach einer Asyltagung der Evangelischen Akademie Tutzing führten. Dabei war deutlich, daß künftig mit einem härteren politischen Vorgehen gegen Asylsuchende zu rechnen sei. Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Menschen- rechtsorganisationen haben sich zwar vereinzelt kritisch zur politischen Stimmungsmache gegen Asylsuchende ausgesprochen – dies war jedoch nicht koordiniert und wurde kaum beachtet. Zuvor gab es bereits Bemühungen um ein besseres Zusammenwirken in der Flüchtlingsarbeit – sie scheiterten aber an Verbandsinteressen. Nötig erschien uns so etwas wie ein Flüchtlingsrat, der sich engagiert und wirksam für Flüchtlinge einsetzt.
Nach weiteren Vorgesprächen haben wir für den 30. Juni 1986 zu einer Konsultation in die Evangelische Akadamie Tutzing eingeladen, um diese Überlegungen mit Persönlichkeiten aus Kirchen, Wohlfahrtsorganisationen, Menschenrechtsorganisationen und der Politik zu erörtern. Im Ergebnisprotokoll der Tutzinger Beratung hieß es dann u.a.: »Nach einer ausführlichen Aussprache besteht Konsens, daß ein Flüchtlingsrat für die Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) gegründet wird. Der Flüchtlingsrat arbeitet in Verbindung mit dem Vertreter des UNHCR in der Bundesrepublik Deutschland. Aufgabe des Flüchtlingsrates ist es, für die Belange der in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) lebenden Flüchtlinge entsprechend den Ansprüchen des Grundgesetzes einzutreten und die dafür erforderliche Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Dazu gehört u.a. die Koordination von Initiativen für den bundesweiten Tag des Flüchtlings. Durch den Flüchtlingsrat sollen Selbstorganisationen von Flüchtlingen, Flüchtlingsräte und ähnliche Initiativen unterstützt werden.
Die Mitglieder des Flüchtlingsrates werden ad personam im Benehmen mit dem Vertreter des UNHCR in der Bundesrepublik Deutschland berufen. (…)
Burkhardt wird gebeten, die Geschäftsführung wahrzunehmen. Herr Pfaff (federführend), Herr Grenz und Herr Leuninger sollen als Sprechergruppe tätig werden. Die Zusammensetzung der Sprechergruppe ist spätestens nach einem Jahr zu überprüfen. Herr Micksch wird gebeten, den Vorsitz bei Sitzungen des Flüchtlingsrates zu übernehmen.«
Bis heute sind diese Personen und der UNHCR für PRO ASYL tätig. Für Rechtsanwalt Victor Pfaff wurde allerdings schon bald die Beanspruchung durch die Öffentlichkeitsarbeit so stark, daß er diese Funktion abgab und sich auf die Erarbeitung juristischer Stellungnahmen konzentrierte. Seitdem war Herbert Leuninger der Sprecher, dem 1995 Heiko Kauffmann folgte.
Als die in Tutzing gebildete »Initiative zur Gründung eines Flüchtlingsrates« zur konstituierenden Sitzung am 8. September 1986 nach Frankfurt einlud, wurden von verschiedenen Seiten Bedenken ausgesprochen. Die Bildung eines Flüchtlingsrates mache einen zu offiziellen Eindruck, sei verfrüht und solle verschoben werden. Zwar haben solche Argumentationen nicht überzeugt, der Hinweis auf Mißverständnisse beim Begriff eines Flüchtlingsrates wurde jedoch zum Anlaß genommen, nach einem anderen Namen zu suchen. Der Name »PRO ASYL« war eine überzeugende, klare und aktionsbezogene Alternative. Er fand breite Zustimmung.
Bei der konstituierenden Sitzung wurde dazu aufgerufen, einen Flüchtlingstag in der Woche der ausländischen Mitbürger durchzuführen. Dafür wurden Materialien erstellt, die jedes Jahr mit den plakaten und Heften für die Interkulturelle Woche an Kirchengemeinden, Wohlfahrtsorganisationen, Gewerkschaften, Kommunen und Bürgerinitiativen verschickt werden. Hunderte Veranstaltungen finden inzwischen jährlich zum Flüchtlingstag statt.
Ein weiterer Schwerpunkt wurde die Erarbeitung von Stellungnahmen zu Asylfragen. Das Konzept war, diese Stellungnahmen über die großen Verbände zu verbreiten. Sie wurden teilweise gemeinsam mit dem DGB, Menschenrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden oder kirchlichen Stellen herausgegeben. Die Herausgabe von Schriftenmaterial wurde begleitet durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, die von Herbert Leuninger mit beispielhaftem Engagement ehrenamtlich aufgebaut wurde.
Schließlich wurde der Aufbau von regionalen und kommunalen Flüchtlingsräten gefördert, seit 1990 auch in den neuen Bundesländern. Heute gibt es in allen Bundesländern Flüchtlingsräte bzw. Initiativen, die bei PRO ASYL mitarbeiten und konzeptionell wie finanziell unterstützt werden.
Die zunehmende Arbeit machte eine eigenständige Finanzierung erforderlich. 1988 wurde der Förderverein PRO ASYL e.V. gegründet, der eine finanziell unabhängige Tätigkeit ermöglichen sollte. Über 5.000 Mitglieder und einige tausend Spenderinnen und Spender tragen nun die Arbeit.
Bis 1994 hatte die Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL keinerlei Satzung. Jährlich fanden Wahlen des Sprechers, des Vorsitzenden und des Schatzmeisters statt. Aus organisatorischen Gründen wurde im Jahr 1995 die Arbeitsgemeinschaft in einen eingetragenen Verein überführt, der aus etwa 40 Mitgliedern besteht: Gründungsmitgliedern und Persönlichkeiten aus Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrts- und Menschenrechtsorganisationen, je einer Vertretung der landesweiten Flüchtlingsräte und dem Vorstand des Fördervereins PRO ASYL e.V.
Gleichzeitig wurde die Geschäftsstelle in Frankfurt personell verstärkt. Über Jahre hat Günter Burkhardt mit Sabine Peschke die anfallenden Arbeiten geleistet. Inzwischen sind acht Mitarbeitende hauptamtlich und weitere Personen aushilfsweise beschäftigt.
Seit September 1994 hat Herbert Leuninger ehrenamtlich die Funktion eines Europareferenten übernommen, da eine wirksame Flüchtlingsarbeit auf Dauer einer besseren europäischen Vernetzung bedarf. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Bündnisarbeit mit Menschenrechts- und Wohlfahrtsorganisationen – der Abbau von Rechten bei Asylsuchenden war der Anfang eines Sozialabbaues, der auch andere sozial Schwache trifft. Darauf wurde häufig hingewiesen.
In den zehn Jahren fand PRO ASYL ein beachtliches öffentliches Echo. Erfolgreich war der Einsatz für einzelne Asylsuchende und manche Verbesserungen – trotz Demonstrationen, Kundgebungen, Klagen, Gutachten und Dokumentationen konnte allerdings die erbärmliche politische Kampagne gegen Asylsuchende nicht verhindert werden, die 1993 zu den grundlegenden Einschränkungen des Grundgesetzes und der Genfer Flüchtlingskonvention führte. Dieser Abbau des Asylrechts erfolgt inzwischen europaweit und macht die Menschenrechtsarbeit von PRO ASYL künftig dringender als je zuvor.