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TAG DES FLÜCHTLINGS 1996

Statt Asyl: Auslandsschutzbrief
und Nichtverfolgungsbescheinigung

Das Verfassungsgericht
glaubt der Selbstauskunft von Diktatoren

Bernd Mesovic/Victor Pfaff

Darf man Regimen, von denen bekannt ist, daß sie schwerste Menschenrechtsverletzungen begehen, etwa Folter systematisch anwenden, vertrauen? Solange Bundeskanzler Kohl sich mit Chinas starkem Mann Li Peng, Geheimdienstkoordinator Schmidtbauer sich mit dem iranischen Geheimdienstfachmann Fallahian oder Außenminister Kinkel sich zur stillen Diplomatie mit Vertretern der türkischen Regierung trifft, mag dies eine Frage diplomatischer Einschätzungen oder wirtschaflicher Opportunität sein: deutsche Außenpolitik eben. Manchmal stellt sich die Frage allerdings weniger abstrakt – eher hautnah. Dann nämlich, wenn sie Flüchtlinge betrifft, die in Deutschland Asyl suchen und aus einem der nicht eben wenigen Staaten geflohen sind, wo Folter oder Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind.

Im Asylverfahren ist nicht nur zu klären, ob sie politisch verfolgt sind, sondern auch, ob sie Menschenrechtsverletzungen erlitten haben oder ihnen solche drohen. Dabei haben sich die hierfür zuständigen Behörden aller ihnen zugänglichen Erkenntnisse zu bedienen, die es ihnen erlauben, die Glaubhaftigkeit des Flüchtlings zu beurteilen. Selbstverständlich, so sollte man unterstellen, ist dabei nicht daran gedacht, sich bei den Behörden des Verfolgerstaates Auskünfte im Zusammenhang mit dem konkreten Fall zu besorgen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies bis vor kurzem so gesehen und zum Beispiel in einer Entscheidung vom 2. Mai 1984 ausgeführt, die »Einholung einer Auskunft türkischer Stellen wäre möglicherweise geeignet gewesen, die Gefahr politischer Verfolgung heraufzubeschwören. Die begehrte Auskunft dürfte daher als absolut ungeeignetes Beweismittel angesehen werden.«

Nicht nur wird die Gefahr einer politischen Verfolgung heraufbeschworen, sondern auch eine Gefährdung im Herkunftsland lebender Verwandter, etwa durch Sippenhaft oder durch polizeiliche Verhöre, ist denkbar. Es ist deshalb auch internationale Praxis, daß während laufender Asylverfahren kein Kontakt mit dem Herkunftsstaat aufgenommen wird.

In Deutschland scheinen jedoch inzwischen alle Dämme zu brechen. Begonnen hat der Trend flüchtlingsfeindlicher Kollaboration mit einem Briefwechsel des deutschen und des türkischen Innenministers. Es ging dabei um türkische Staatsangehörige, die sich an Straftaten im Zusammenhang mit der PKK und anderen Terrororganisationen in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt haben sollen.

Vereinbart wurde, daß die deutschen Behörden vor der Abschiebung von Türken, die diesem Personenkreis zugerechnet werden, bei den türkischen Behörden anfragen, ob ihnen in der Türkei eine Strafverfolgung oder Strafvollstreckung droht. Inzwischen sind Durchführungserlasse mehrerer Bundesländer bekannt geworden, in denen klargestellt wird, daß diese Anfrage noch während eines laufenden Asylverfahrens vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durchgeführt wird. Das Bundesinnenministerium hat im November 1995 zugegeben: Anfragen können ohne das Einverständnis des Asylbewerbers erfolgen. Dieses Verfahren diene der Ermittlung von Abschiebungshindernissen. Aus den Anfragen sei für die türkische Seite aber nicht ersichtlich, daß sie vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge stammten.

Die deutsche Vertretung des Hohen Flüchtlingskommissariates nimmt zu dieser Praxis eindeutig Stellung: »Vorsorglich möchten wir in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Entscheidung, ob ein Asylsuchender „wohlbegründete Verfolgungsfurcht“ i.S. des Art. 1a Abs.2 GFK hat, nicht zur Disposition des potentiellen Verfolgerstaates stehen darf. Die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1a Abs.2 der Genfer Flüchtlingskonvention, die in Deutschland im Rahmen des § 51 Abs. 1 AuslG erfolgt, darf deshalb nicht auf einer Auskunft des möglichen Verfolgerstaates basieren.«

Der eklatante Verstoß gegen internationales Flüchtlingsrecht schert Bundesamt und Innenministerium wenig. Der Anfragevorgang wird für die türkische Seite durch ein Formular bequem gemacht.

Der Botschafter des Verfolgerstaates soll erklären, daß der Betreffende nicht verfolgt werde und im Falle einer strafrechtlichen Verfolgung zumindest einen Rechtsbeistand erhalten kann. Die Arbeit des Bundesamtes und der Gerichte wird dadurch erleichtert. Eine aufwendige Anhörung des Flüchtlings und eine Prüfung der Situation im Herkunftsstaat ist wohl nicht mehr nötig, wenn man Verfolgerstaaten nach Selbstauskunft glaubt. Nicht wenige Staaten werden bereit sein, entsprechende Erklärungen blanko und auf Vorrat abzugeben. Selbst das Dritte Reich hat schließlich die systematische Verfolgung der Juden bestritten und als »Schutzhaft« schöngeredet.

Diesem flüchtlingspolitischen Elend hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluß vom 23. März 1995 Tür und Tor geöffnet. Seinerzeit war die Abschiebung des kurdischen Asylbewerbers Simsek in die Türkei für zulässig erklärt worden, weil das Bundesinnenministerium eine Zusicherung der Türkei einzuholen versprach, wonach Simsek nicht politisch verfolgt werde. Der türkische Botschafter hatte dem bayerischen Staatsministerium des Inneren folgende Information zukommen lassen: »Die zuständigen türkischen Stellen teilen mit, daß Herr Fariz Simsek kein Strafregister hat und auch nicht auf der Fahndungsliste steht. Er werde bei Einreise in die Türkei nach der üblichen Befragung freigelassen.« Was dann später geschieht, wäre wohl nicht mehr in der Verantwortung der türkischen Regierung: Ein eventuelles Verschwinden, eine Inhaftierung unter dem Vorwand einer nach der Einreise begangenen Straftat, ein »Unfall«.

Was das Bundesverfassungsgericht in seiner Simsek-Entscheidung praktizierte, entwickelte es in einem zweiten Fall zu einer regelrechten Theorie. Sieben Flüchtlinge aus dem Sudan, darunter mehrere Menschen mit Foltermalen, hatten auf dem Rhein-Main-Flughafen Frankfurt einen Asylantrag gestellt und waren im verkürzten Flughafenverfahren rechtskräftig abgelehnt worden, ohne daß sich das Verwaltungsgericht ernsthaft mit den vorgebrachten Asylgründen auseinandergesetzt oder eine ärztliche Untersuchung zur Klärung der Frage der Folter veranlaßt hätte. Zwar wurde der Termin der Zurückschiebung ins Heimatland mehrmals verschoben, weil sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Fall genauer befassen wollte. Dennoch prüfte Karlsruhe schließlich nicht die Frage der Folter oder der eventuellen Grundrechtsverletzung. Die Rechtmäßigkeit des Verfahrens beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und der vorangegangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen spielte keine Rolle mehr. Es ging allein noch um die Frage: Ist den Flüchtlingen eine Rückkehr in den Sudan zumutbar oder ist der Bundesrepublik die Einreise der Flüchtlinge zumutbar? Im Widerstreit von staatlichen Interessen und Grundrechtsschutz unterlagen schließlich die Flüchtlinge.

Noch während des laufenden Verfahrens versuchte die deutsche Botschaft in direktem Kontakt mit der sudanesischen Regierung abzuklären, unter welchen Bedingungen die sieben in den Sudan zurückgeführt werden könnten. Am 11. September 1995 beehrt sich das Außenministerium des Sudans »mitzuteilen, daß der Sudan entgegen der von gewissen Kreisen verbreiteten Propaganda eine prinzipielle Position einnimmt, wonach er von jeder Art der Mißhandlung, der Folter oder der unberechtigten Festnahme von Einzelpersonen Abstand nimmt und solche bösartigen Unterstellungen zurückweist. Auf eine Anfrage seiner Exzellenz, Botschafter Mendes, wünscht das Ministerium mitzuteilen, daß es keine Einwände gegen die Rückkehr der sudanesischen Staatsbürger gibt, die bald auf dem Flughafen Karthoum eintreffen sollen. Darüber hinaus stellt das Ministerium fest, daß ihnen keine Verfolgung, keine Haft, keine Strafverfolgung wegen ihres Verhaltens in Deutschland und ihres Antrages auf politisches Asyl drohen.«

Was Versicherungen des für seine systematischen Menschenrechtsverletzungen bekannten Regimes im Sudan bedeuten, ist offenkundig. Sudan hat wiederholt bindende internationale Abkommen gebrochen und ist wegen schwerster Menschenrechtsverletzungen, wegen Folter und Massenexekutionen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verurteilt worden. Die sudanesische Regierung hat die Zusammenarbeit mit dem Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen aufgekündigt, als dieser zu dem Schluß kam, daß »alle Gruppen und Schichten der Bevölkerung potentiell von Menschenrechtsverletzungen durch Regierungsstellen betroffen sind«. Aber auch in Deutschland ist die Lage ohne Zweifel bekannt: Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Sudan wegen der katastrophalen Menschenrechtslage im Jahre 1996 beenden. Und auch im Kreis der afrikanischen Staaten ist der Sudan berüchtigt: Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) hat den Sudan am 12. September1995 aufgefordert, internationale terroristische Aktivitäten nicht mehr zu unterstützen – ein Novum in der Geschichte der OAu. Bösartige Unterstellungen?

Unglaublich: Das Bundesverfassungsgericht wertet die Zusicherung der sudanesischen Regierung im Fall der sieben Sudanesen in Frankfurt als eine völkerrechtlich verbindliche Erklärung und Zusicherung an die Bundesrepublik Deutschland. »Das Bundesverfassungsgericht sieht auf dieser tatsächlichen Grundlage als ausreichend gewährleistet an, daß den Antragstellern in Folge ihrer Rückführung in den Sudan staatliche Verfolgung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit droht.« Die Einschätzung und Beurteilung, ob eine solche Absprache mit der sudanesischen Regierung ein geeignetes Mittel darstelle, falle in den Bereich der außenpolitischen Kompetenz der Bundesregierung. Es sei nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtes, diese Zusicherungen ohne nähere Anhaltspunkte in Zweifel zu ziehen, weil dadurch die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik empfindlich gestört werde.

Damit akzeptiert das Bundesverfassungsgericht, daß während eines noch anhängigen Asylverfahrens Kontakt mit dem Verfolgerstaat aufgenommen wird. Mehr noch: Die windigen Zusicherungen des sudanesischen Folterregimes werden zu einem völkerrechtlichen Vertrag aufgewertet, der sich schließlich als Angelegenheit der Außenpolitik der Kontrolle des Verfassungsgerichtes entzieht. Damit wird in der Tat der Grundgedanke der Asylgewährung auf den Kopf gestellt. Nach allgemeinem Völkerrecht ist jeder Staat kraft seiner Souveränität und der aus ihr folgenden Gebietshoheit befugt, beliebigen Personen den Zutritt und Aufenthalt in seinem Staatsgebiet zu gewähren. Handelt es sich um politisch verfolgte Personen, so übt mit der Aufenthaltsgewährung der Staat sein Asylrecht aus. Die Asylgewährung ist ein Akt der Ausübung staatlicher Souveränität, die vom Herkunftsstaat nicht als »unfreundlicher Akt« (im Sinne des Völkerrechts) angesehen und nicht mit völkerrechtlichen Sanktionen beantwortet werden darf. Wird nun, wie im vorliegenden Fall, der Herkunftsstaat um eine Garantieerklärung gebeten und diese schließlich abgegeben, dann besteht in der Tat die Gefahr völkerrechtlicher Verwicklungen, sei es dadurch, daß Asyl gewährt wird, obwohl der Herkunftsstaat Verfolgungsfreiheit zugesichert hat, sei es dadurch, daß die Schutzsuchenden zurückgeschickt und dann trotz Garantieerklärung verfolgt werden (oder man sich statt dessen an den Angehörigen vergreift). Jedenfalls begibt sich der Staat seiner Möglichkeit, souverän über die Aufenthaltsgewährung zu entscheiden. Er bindet sich die Hände, die Exekutive bindet auch der Justiz die Hände. Dies kommt in der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung deutlich zum Ausdruck, wenn dort von der Gefahr einer »empfindlichen Störung« der Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik gegenüber dem Sudan die Rede ist. Das Asylrecht verliert faktisch seinen Schutzcharakter als Grundrecht und wird zum Spielball außenpolitischer Interessen.

Das ganze Asylrecht kann so eigentlich ersetzt werden durch Formulare, auf denen Verfolgerregime zusichern, nicht zu verfolgen. Daß das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung dem Asylrecht das Sterbeglöcklein geläutet hat, hat freilich auch einer der Verfassungsrichter in seinem abweichenden Votum deutlich formuliert: »Damit verneint der Senat implizit den durch Aufenthaltsgestattung oder Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung (…) zu befriedigenden Anspruch auf Schutz für politisch Verfolgte, weil es dessen aufgrund einer Zusicherung des (potentiellen) Verfolgerstaates nicht mehr bedürfe. Denkt man dies zu Ende, so kann sich daraus eine grundlegende Umgestaltung des geltenden Asyl- und Flüchtlingsrechtes ergeben.« Auch bei der Abwägung zwischen Grundrechtsschutz und Außenpolitik bleibt Verfassungsrichter Sommer verfassungstreu: »Abgesehen davon wögen nach meiner Auffassung die den Antragstellern drohenden Gefahren für Leib, Leben oder persönliche Freiheit schwerer als mögliche Störungen im Verhältnis zum Sudan.«

Als das Bundesverfassungsgericht aufgerufen war, die Würde des Menschen zu schützen, hat es seine Verantwortung nicht wahrgenommen. Es hat den Zusicherungen eines diktatorischen Regimes vertraut: Asylrecht nur noch von Diktators Gnaden. Statt des Asyls in Deutschland erhielten die Sudanesen nach ihrer Zurückschiebung in den Sudan einen »Schutzbrief« der deutschen Botschaft mit der Überschrift» To whom it may concern«. Darin heißt es, sie seien gebeten, sich selbst in der näheren Zukunft regelmäßig bei der deutschen Botschaft einzufinden. Alle einschlägigen Autoritäten werden auf dem Papier freundlich gebeten, ihren Zugang zur Botschaft zu erleichtern, wie es mit der Regierung des Sudans vereinbart worden sei. Auslandsschutzbriefe und Nichtverfolgungsbescheinigungen – die bittere bürokratische Realität des deutschen Asylrechts heute.


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