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TAG DES FLÜCHTLINGS 1996

Gibt es Kettenabschiebungen?

Ein »Literaturproblem«

Die Tage der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht, in denen es um das neue Asylrecht geht: Zur Debatte steht auch die Frage, ob Flüchtlinge, die durch die Neuregelung des Asylrechts nicht zur AsylantragsteIlung zugelassen werden, weil sie einen angeblich sicheren Drittstaat durchquert haben, in diesen Staaten nach einer Zurückschiebung aus Deutschland Rechtsschutz genießen oder ob sie Gefahr laufen, von einem Staat in den anderen weitergeschoben zu werden. Fälle werden geschildert.

Der Prozeßvertreter der Bundesregierung erklärt allerdings, das Ganze sei »ein reines Literaturproblem«. Ein Literaturproblem des Rechtes ist etwas, das es nur in juristischen Kommentaren gibt. Die im folgenden geschilderte Kettenabschiebung gab es in der Realität. Betroffen war ein kosovo-albanisches Ehepaar und seine Kinder. In einem Brief schilderten sie ihre Erlebnisse:

Am 18.5.1994 um 4.40 Uhr drangen zwei Mitarbeiter, vermutlich der Ausländerbehörde, in unser Zimmer auf dem Schiff in Düsseldorf ein. Es waren eine Frau und ein Mann. Sie kamen mit viel Schwung und Kraftaufwand ins Zimmer, da wir einen Stuhl vor die Tür gestellt hatten. Das hatten wir getan, um uns vor Diebstahl auf dem Schiff zu schützen. Diese beiden Menschen stellten sich nicht vor, zeigten keine Dienstausweise, erklärten nichts, sondern sagten lediglich, dass wir jetzt Transfer hätten. Sie erklärten wirklich überhaupt nichts. Nicht, daß wir keinen Asylantrag machen könnten, nicht, daß ich nach Tschechien abgeschoben würde. Ich habe dann die Frau auf Englisch angesprochen und gefragt, was geschehen würde. Sie antwortete, daß wir Transfer hätten. Ich sagte ihr, daß keiner von den anderen Flüchtlingen auf dem Schiff nachts um 4.40 Uhr Transfer hätte, Transfers würden im Laufe des Vormittags stattfinden, nicht in der Nacht.

Dann verschwanden die beiden aus dem Zimmer. Nach ca. 10 Minuten kamen zwei Polizisten in Uniform ins Zimmer. Einer der beiden hatte lässig seine Daumen im Hosenbund und ging durchs Zimmer. Der andere hob die Arme und Fäuste und kam auf mich zu. Instinktiv hob ich die Arme zum Schutz vor den Kopf. In dem Moment wurden mir die Arme auf den Rücken gedreht und Handschellen angelegt. Sie packten mich in ein Kombiauto. Meine Frau und die Kinder ebenfalls. Mit dem Kombi fuhren wir bis an die tschechische Grenze. Die ganze Zeit, die ganze Fahrt hielten sie mich mit den Händen auf dem Rücken gefesselt. Ich bat einen der Beamten, mir die Handschellen im Auto zu lösen, aber das wurde mir verwehrt. Die Begründung war, daß ich ja ohne Handschellen Probleme machen könnte. Die deutsch-tschechische Grenze erreichten wir gegen 15.00 Uhr.

Der Mann aus Düsseldorf, der mit uns gefahren war, führte mich und meine Familie in ein Gebäude an der Grenze. Wir warteten dort 10 Minuten. Dann wurden wir in ein Zimmer gebracht. Dort wurden wir aufgefordert, Dokumente zu unterschreiben. Auf Nachfrage erklärte dieser Mann mir, daß es mir und meiner Familie untersagt sei, während der nächsten 10 Jahre in die Tschechische Republik einzureisen. Ich bat ihn um eine weitere Erklärung, die ich aber nicht erhielt. Unter dem Druck, unter dem ich an diesem Tag stand, unterschrieb ich das Papier. Nach ca. 15 Minuten wurden wir aufgefordert zu gehen. Ein Mann begleitete uns. Er hatte auch alle unsere Dokumente aus Deutschland bei sich. Wir, d.h. meine Familie, der Mann und ich, fuhren mit einem öffentlichen Bus nach Teplice, einer tschechischen Stadt. Dort angekommen, versuchte ich den Mann davon zu überzeugen, daß ich zur Polizei gehen müßte. Er versagte mir das. Als ich noch einmal sagte, daß ich dahin gehen müßte, fanden wir ein Agreement. Ich ging zur Polizeistation, und er blieb bei meiner Familie. Falls ich nicht wiederkommen würde, würde er meine Familie allein abschieben.

Dann bin ich zur nächstgelegenen Polizeistation gegangen. Falls gewünscht, kann ich den Weg auch beschreiben.

Auf der Polizeistation sprach ich mit einem Beamten. Er sprach eine Frau der Station an, die mir dann den Hintergrund dieser Aktion erklärte. Die Frau sagte, daß es ein Übereinkommen zwischen Deutschland und der Tschechischen Republik gäbe, wonach die Tschechische Republik keine Asylanträge von Leuten akzeptiert, die in Deutschland abgelehnt worden seien. Weiterhin erklärte die Frau mir, dass ich zwei Tage Zeit hätte, die Tschechische Republik zu verlassen. Ich glaubte ihr das. Obwohl mein Asylantrag in Deutschland nicht abgelehnt worden war.

Um 21.20 Uhr fuhren wir mit einem Zug, aus Richtung Berlin – Dresden kommend, nach Bratislava. Dieser Mann war immer dabei. Wie er heißt, weiß ich nicht. Er sprach nicht mit uns. Am 19.5.1994 um 5.00 Uhr erreichten wir Bratislava. Unser Begleiter ging zur Polizei des Bahnhofs. Nach einer Weile kam ein Polizist in Zivil. Dieser Polizist erklärte mir, dass Flüchtlinge, die nicht in Deutschland und auch nicht in der Tschechischen Republik anerkannt würden, ebenfalls in der Slowakei nicht als Flüchtlinge akzeptiert würden. Dazu käme noch das Verbot der Einreise in den nächsten 10 Jahren für unsere Familie nach Tschechien. Weiter sagte er zu mir, daß wir nach Ungarn müßten. Ich fragte noch einmal nach, ob es wirklich keine andere Möglichkeit gäbe zu bleiben. Er verneinte. Dieser Mann hatte unsere Papiere bei unserem Gespräch in der Hand. Ich bat ihn um unsere Papiere, doch er entgegnete mir, daß ich die an der slowakisch-ungarischen Grenze bekommen würde. An der Grenze würde mir die ein Beamter geben.

Den ganzen Tag warteten wir auf dem Bahnhof auf den Zug. Um 20.58 Uhr fuhr der Zug nach Belgrad. So hatte man uns das gesagt.

An der Grenze kam in der Tat ein Beamter. Er guckte sich alle unsere Papiere an. Dann erkundigte er sich nach dem einen Papier. Er meinte das tschechische Papier, welches uns die Einreise für die kommenden 10 Jahre verbietet. Der Mann der Tschechischen Republik hatte es wohl behalten und nicht weitergeleitet.

Als nächstes kamen wir in Budapest an. Dort mußten wir dann noch umsteigen. Wir warteten dort mehr als eine Stunde auf den Anschlußzug. Der fuhr um 2.00 Uhr nachts am 20.5.94 nach Belgrad. In Subotica, der ungarisch-serbischen Grenzstadt, hielt der Zug, und ein Grenzbeamter kam mit unseren Papieren zu unseren Plätzen. Als ich die Papiere in den Händen des serbischen Beamten sah, wußte ich, was mich erwartet. Er öffnete den Paß und befahl mir, den Zug zu verlassen. Zwei Polizisten führten mich, meine Arme festhaltend, raus. Meine Familie mußte nach mir aussteigen. Wir wurden auf eine Polizeistation gebracht. Dort wurde ich von meiner Familie getrennt. Sie wurden in einen anderen Raum geführt als ich. Ich wurde dann verhört. Die serbischen Beamten fragten mich über meine Arbeit aus, warum ich in Deutschland gewesen bin und was ich dort gesagt hätte. Dann wollten sie wissen, was die Deutschen für mich getan hätten. Weiter spielten sie auf das Verhältnis der Serben und Deutschen während des Zweiten Weltkrieges an, beschimpften mich und die Deutschen als Nazis. Diese Beamten wollten auch wissen, welche Gruppen von Albanern die Deutschen ausbilden. Vermutlich meinten sie eine militärische Ausbildung. Diese Serben fragten mich viele Sachen, die mir völlig unsinnig erschienen. Sie beschimpften mich auch, in einer Weise, die ich hier nicht wiedergeben kann (…).

An diesem Freitag, dem 20.5.94, transportierten die Serben meine Familie und mich um 10.00 Uhr von Subotica nach Pristina. Auf der Fahrt fragten meine Kinder immer wieder, was diese Männer mit mir gemacht hätten. Mein Gesicht sah aus wie das eines Affen. Dick geschwollen, voller blauer Flecken. Die Polizisten hielten mich sechs Tage lang fest. Dann ließen sie mich mit der Auflage, für sie zu spionieren, frei.«

Der Familie gelang es später, zurück nach Deutschland zu fliehen. Die Fahrkarten für ihr »Literaturproblem« mußten sie selber bezahlen. Hinters Licht geführt fühlen sich Flüchtlinge auch vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Einen Tag vor der ersten Zurückweisung und damit dem Beginn der Odyssee hatte eine Flüchtlingsberaterin im Beisein der Familie telefonisch mit dem zuständigen Sachbearbeiter des Bundesamtes gesprochen und nach der ausstehenden Erteilung von Aufenthaltsgestattungen gefragt. Sie hatte die Auskunft erhalten, daß es damit keine Probleme gebe. Diese Illusion fand dann im Morgengrauen des 18.5.94 ein jähes Ende.


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