TAG DES FLÜCHTLINGS 1988
„Zuflucht gewähren!“
Grußwort der Bundesarbeitsgemeinschaft
der Freien Wohlfahrtspflege
INHALT
- Grußwort der Vertreterin der Hohen Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen (UNHCR) in der Bundesrepublik Deutschland
- Entwicklung der Asylpolitik in Europa
- Frauenspezifische Verfolgungsgründe
- Der Einzelfall zählt
- Statt Asyl: Auslandsschutzbrief und Nichtverfolgungsbescheinigung – Verfassungsgericht glaubt der Selbstauskunft von Diktatoren
- Gibt es Kettenabschiebungen?
- »In meinem Kopf ist immer die Frage: Was kommt später?« – Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge
- Kann man Folter übersehen?
- Der Präsident erhöht die Schlagzahl
– Druck auf die Mitarbeiter des Bundesamtes verschlechtert die Qualität der Asylentscheidungen - »…daß hier allzu leichtfertig mit dem Schicksal eines Menschen umgegangen wird.«
Später Erfolg für die kurdische Familie Simsek im Petitionsausschuß1988 - Brennpunkt Flughafen
- Nach Einreise: Abschiebehaft
- Für Härtefallregelungen
- Gegen die inhumane Abschiebepraxis in Deutschland
- Illegalität fällt nicht vom Himmel
- Beispiele und Anregungen
- Zehn Jahre PRO ASYL
- Adressen
- Statistik
Aus vielen Ländern mit unterschiedlichen Kulturkreisen und politischen Systemen kommen Flüchtlinge nach Deutschland. Sie fliehen vor Krieg, Hunger und Folter, vor politischer, rassischer und religiöser Verfolgung. Sie hoffen auf menschliche Anteilnahme und Sicherheit in der Bundesrepublik.
Durch Veränderungen des Asylverfahrensrechts wurde es Flüchtlingen schwieriger gemacht, Zuflucht in unserem Land zu finden. So ist es möglich, schon an der Grenze die Einreise zu unterbinden. Die Verbände haben wiederholt darauf hingewiesen, daß damit die Gefahr einer Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl nach Artikel 16 Absatz 2 GG besteht. Darüber hinaus werden viele Flüchtlinge bei uns nur noch geduldet, ohne sie als politisch Verfolgte anzuerkennen. Trotz Gefährdung für Leib und Leben können sie in ihr Heimatland abgeschoben werden, wie es bereits in Einzelfällen geschehen ist.
Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege fordern die politisch Verantwortlichen auf, alles zu tun, um zu verhindern, daß Flüchtlinge in Kriegs‑ und Krisengebiete sowie in Länder abgeschoben werden, in denen sie Folterungen zu befürchten haben. Statt eines unsicheren, „geduldeten“ Aufenthalts sollte diesen Menschen vielmehr Rechtssicherheit gewährt werden.
Seit Jahren setzen sich die Spitzenverbände für die Flüchtlinge ein und versuchen, ihnen in ihrer schwierigen Situation zu helfen. Die sogenannten abschreckenden Maßnahmen, wie z. B. die Unterbringung in Sammellagern, das bis zu fünfjährige Arbeitsverbot und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in Verbindung mit langwierigen Anerkennungsverfahren widersprechen humanitären Grundsätzen, die auch für Flüchtlinge gelten müssen. Die Verbände sind besorgt über die soziale und psychische Verfassung vieler Flüchtlinge, die sich seit mehreren Jahren in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Viele leiden unter Perspektivlosigkeit, Isolation und Einsamkeit, die sich sowohl durch Depressionen oder Aggressionen äußern können.
Die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege rufen daher die Menschen in unserem Land auf, Flüchtlinge und ihre Fluchtgründe ernst zu nehmen. Flüchtlinge brauchen unsere Solidarität und Unterstützung. Der Tag des Flüchtlings, der am 1. Oktober 1988 bundesweit unter dem Motto „Zuflucht gcwähren“ stattfindet, soll hierzu weiteren Anstoß geben.
Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. Bonn
Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft sind:
Arbeiterwohlfahrt ‑ Bundesverband ‑, Deutscher Caritasverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband-Gesamtverband ‑, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.
Zuflucht gewähren!
Immer weniger Flüchtlinge finden in der Bundesrepublik Deutschland Zuflucht. Vor allem die Zahl der Asylsuchenden aus der Dritten Welt nimmt ab. Waren es 1986 noch 77 Prozent von insgesamt fast einhunderttausend Asylsuchenden, so waren es 1987 nur noch 34 Prozent von knapp sechzigtausend Asylsuchenden. Immer mehr werden die Grenzen europäischer Länder zu einem unüberwindbaren Hindernis.
Immer weniger Flüchtlinge erhalten einen sicheren Aufenthaltsstatus als Asylberechtigte. Krieg, Bürgerkrieg, selbst Folter sind keine Gründe, um das Recht auf Asyl zuerkannt zu bekommen. Auch wer bei der Flucht ein Drittland berührt, ist nach dem Willen des Gesetzgebers nicht ohne weiteres asylberechtigt. Und wer kann schon aus seinem Heimatland direkt in die Bundesrepublik fliehen?
Der Ökumenische Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger sieht diese Entwicklung mit größter Sorge. Die Zahl der Flüchtlinge, die ohne Zukunftsperspektive am Rande der sozialen und psychischen Verelendung in der Bundesrepublik leben, ist im Wachsen. Selbst vor Abschiebungen, sogar in Krisengebiete, sind sie nicht überall im Bundesgebiet sicher. Der Ökumenische Vorbereitungsausschuß bittet den Gesetzgeber eindringlich, diesen bisher lediglich „geduldeten“ Flüchtlingen ein gesichertes Aufenthaltsrecht zu gewähren und ein von fremder Hilfe freies und selbstgestaltetes Leben zu ermöglichen. Kirchengemeinden werden gebeten, sich verstärkt diesen Flüchtlingen zuzuwenden und ihnen Zuflucht zu gewähren.
Für den Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger:
Dr. Raimund Amann,
Zentralstelle Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz
Dr. Jürgen Micksch
Evangelische Akademie Tutzing
Michael Mildenberger,
Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland
Sokratis Ntallis,
Griechisch-Orthodoxe Metropolie