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TAG DES FLÜCHTLINGS 1996

Nach Einreise: Abschiebehaft

Bernd Mesovic

Wahllos, zu häufig und zu lang wird Abschiebehaft verhängt. Das sind die Erfahrungen von Flüchtlingsinitiativen und Kirchen, deren Berichte aus der Praxis auch durch Rechtsgutachten und durch Äußerungen eines Teils der Richterschaft untermauert werden. Obwohl dem größten Teil der in Abschiebehaft inhaftierten Flüchtlinge keine Straftaten zur Last gelegt werden, leben sie häufig unter Umständen, wie sie auch für Straftäter gelten: beschränkte Besuchszeiten, limitierter Kontakt zur Außenwelt, beschränkter Hofgang, vergitterte Fenster. Abschiebehaftanstalten sind Orte der Verzweiflung. Viele Abschiebehäftlinge sind suizidgefährdet. Nur vollendete Selbsttötungen werden mit einiger Sicherheit bekannt.

Nun beabsichtigt der Bundesrat, diesen elenden Zustand noch zu vermehren. Er hat einem Gesetzesantrag des Freistaates Bayern zur Mehrheit verholfen, durch den das Asylverfahrensgesetz geändert werden soll. Die Brisanz der Pläne wird aus dem Wortlaut der Bundesratsdrucksache 401/95 auf den ersten Blick kaum deutlich: »(4) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 steht die AntragsteIlung der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegen. Die Abschiebungshaft endet mit Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes, soweit nicht der Asylantrag als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde.«

Im Klartext bedeutet dies: Stellt ein Asylsuchender, der sich – aus welchen Gründen auch immer – in Gewahrsam oder Haft befindet, einen Asylantrag, so kann trotzdem Abschiebungshaft angeordnet bzw. aufrechterhalten werden. Erst die Zustellung einer Entscheidung des Bundesamtes soll zur Entlassung führen. Wird allerdings der Asylantrag als »unbeachtlich« oder »offensichtlich unbegründet« abgelehnt, so kann die Abschiebungshaft aufrechterhalten werden, auch wenn Rechtsmittel eingelegt sind. Machen die zuständigen Gerichte von dieser harten Linie Gebrauch, könnte die Abschiebehaft bis zum Vollzug der Abschiebung zur Regel werden.

Nach der bisherigen Rechtslage werden Menschen, die aus der Abschiebehaft heraus erstmals einen Asylantrag stellen, entlassen und durchlaufen das normale Asylverfahren. In der Begründung zum Gesetzesantrag des Bundesrates wird die pauschale Vermutung aufgestellt, Asylanträge aus der Abschiebehaft würden häufig nur aus asylfremden Gründen und taktischen Erwägungen gestellt. Deshalb soll diesen Asylantragstellern die Möglichkeit des Untertauchens genommen werden. So pauschal die Vermutung, so pauschal die Inhaftierung.

Betrachtet man den Wortlaut des Gesetzesentwurfes näher, so stellt man fest, daßdie beabsichtigte Inhaftierung gar nicht auf diese besonderen Fälle begrenzt ist. Von der Neuregelung wären z.B. auch Flüchtlinge betroffen, die – ohne Paß und Visum – unerlaubt nach Deutschland eingereist sind, die einzige Chance, die die meisten Flüchtlinge haben. Sie könnten nun, bevor sie ihre Absicht, einen Asylantrag zu stellen, verwirklichen können, unmittelbar nach ihrer Einreise in Abschiebehaft genommen werden, etwa wenn man sie bei einer Personenkontrolle auf dem Bahnhof festnimmt. Stellen sie dann ihren Asylantrag, soll die Abschiebehaft trotzdem andauern.

Die Bonner Vertretung des UNHCR hat im Februar 1996 in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, daß von der geplanten Gesetzesänderung eine große Zahl schutz bedürftiger Personen betroffen sein können: »Dies hätte zur Folge, daß schutz bedürftige Personen auf die in der Abschiebungshaft regelmäßig nur begrenzten Möglichkeiten der ordnungsgemäßen Vorbereitung und Durchführung eines Asylverfahrens verwiesen werden. Damit würde die Inhaftierung von Asylsuchenden über die völkerrechtlich zulässigen Ausnahmefälle hinaus ausgedehnt werden.« Sollte allein die Tatsache der Einreise ins Bundesgebiet ohne Paß und Visum in der Regel genügen, Flüchtlinge zu inhaftieren, so wäre die große Mehrzahl aller neu ankommenden Flüchtlinge von längerer Abschiebehaft bedroht. Der UNHCR hat darauf hingewiesen, daß solche Folgen einer möglichen Gesetzesänderung Sinn und Zweck des Art. 31 Absatz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention widersprechen. Art. 31 GFK verbietet die Bestrafung von Flüchtlingen wegen illegaler Einreise. Das Exekutivkomitee des UNHCR hat mit Zustimmung der Bundesrepublik aus dieser Bestimmung geschlossen, daß Flüchtlinge nur ausnahmsweise inhaftiert werden dürfen, »wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung absolut notwendig erscheint« (Beschluß Nr.7 [XXVIII] Abschnitt e). Sollte der Bundestag das Gesetz beschließen, so droht eine flagrante Verletzung des Völkerrechtes. UNHCR: »Die völkerrechtliche Maßgabe, nach der die Inhaftierung von Asylsuchenden nur in Ausnahmefällen zulässig ist, könnte mit dem Gesetzentwurf zum Regelfall werden.« Die Konsequenz: Die Chancen der AsylantragsteIler im Asylverfahren werden noch geringer. Denn aus der Haft heraus ist ein ordnungsgemäßes Asylverfahren kaum noch zu führen.

Ein erschreckendes Szenario: Denkbar sind riesige Abschiebehaftanstalten in Grenznähe, zu denen dann die Entscheider des Bundesamtes anreisen müßten. Denkbar wäre auch die Installierung von Abschiebehaftanstalten direkt bei den AußensteIlen des Bundesamtes. Anwaltlicher Rat, schon heute in der Abschiebehaft nicht gewährleistet, wird unerreichbar. Die Logik des Gesetzentwurfs setzt weitere Zahnräder der Abschiebungsmaschinerie in Bewegung: Da dem Wortlaut nach die Fortdauer der Abschiebungsmaschinerie auf offensichtlich unbegründete Asylanträge beschränkt sein soll, ergibt sich ein Anreiz für das Bundesamt, im Zweifelsfall einfach »unbegründete« Asylanträge als »offensichtlich unbegründet« abzulehnen. UNHCR hat darauf hingewiesen, daß eben dieses heute schon im Flughafenschnellverfahren passiert. Auch dort nämlich bedeutet die Einstufung eines Asylantrages als lediglich »unbegründet« die vorläufige Einreise und den Zugang zu einem Asylverfahren im Inland, die Ablehnung als »offensichtlich unbegründet« jedoch die Zurückweisung.

Erst inhaftieren, dann entscheiden, so die Devise. Vielfach kritisierte Praxis ist dies bereits in Österreich, wo viele AsylantragsteIler während des laufenden Asylverfahrens die Abschiebehaft, dort Schubhaft genannt, kennenlernen. Machbar ist vieles, besonders wenn man das staunende Publikum kaltblütig belügt: »Kosten: Keine.« So heißt es in der Bundesratsdrucksache. Die Wahrheit: Die Inhaftierung eines Menschen kostet in Abschiebehaftanstalten zwischen 100 und 200 DM pro Tag. Inhaftierte Flüchtlinge sind so um ein Vielfaches teurer als würden sie in Freiheit Sozialhilfe oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.

Gegen die inhumane Abschiebepraxis in Deutschland

Rede bei der Kundgebung am 18. August 1995 in Hannover «Trauer um Louis I.«

Wir sind heute hier zusammengekommen, weil wir um Louis I. trauern, der in seiner Verzweiflung in einer existentiellen Lebenssituation allein gelassen wurde. Wir sind traurig und empört darüber, daß wieder ein Mensch sterben mußte, der nicht hätte sterben dürfen, der nicht hätte sterben müssen, wenn rechts staatliche Grundsätze und Menschlichkeit den Umgang und das Verhalten Deutschlands und deutscher Behörden mit Flüchtlingen, MigrantInnen und Menschen anderer Herkunft bestimmen würden. Wir sind fassungslos und empört über das fast routinemäßige Einsperren von Menschen, die keine Straftat begangen haben, in Abschiebeknäste, die sich immer mehr zu den finstersten Orten unserer Demokratie entwickeln.

Rechtsstaatliche Grundsätze – welchen Wert messen die Verantwortlichen den obersten Verfassungsprinzipien – der Menschenwürde, der Rechtsstaatlichkeit, der Verhältnis mäßigkeit – bei angesichts dieser legalisierten Barbarei und der organisierten Unmenschlichkeit der gegenwärtigen deutschen Abschiebepraxis?! Eine Verfassung ist so gut, wie ihr Kernbereich, ihre Leitwerte und Grundrechte für alle Menschen in gleicher Weise gelten und angewendet werden.

Wo Menschenschicksale hin- und hergeschoben werden, von einer Behörde zur anderen, von einer Instanz zur nächsten, da entscheiden dann Sachzwänge, Erlasse, da übernimmt niemand mehr persönlich Verantwortung, da richtet man sich dann angeblich strikt nach Recht und Gesetz und nach der Anordnung der Vorgesetzten. Da wird dann über »Fälle«, nicht mehr über Menschen entschieden – und hinterher will es niemand gewesen sein! Nein, Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben – wo aber in Bürokratien und Machtapparaten reibungsloses Funktionieren, Verordnungen, Mitläufertum, angepaßte Unterwürfigkeit wichtiger werden als Verantwottungsbereitschaft, Menschlichkeit und Zivilcourage, da wird Gewissen beiseite geschoben. Wenn eine irgendwie geartete Gefährdung nicht mit Sicherheit auszuschließen ist, dann darf ein Mensch nicht zurückgewiesen, an der Einreise gehindert oder aus einem demokratischen Rechtsstaat abgeschoben werden.

Heiko Kauffmann

Wir gedenken hier und heute der Menschen, die in Deutschland in den letzten zwei Jahren – seit Inkrafttreten der Asylrechtsänderung – Opfer dieser Abschiebepraxis, Opfer dieser für einen Rechtsstaat ungeheuerlichen Macht- und Gewaltdemonstration wurden, die jegliche Verhältnismäßigkeit vermissen läßt.

Wir gedenken der vielen Verzweifelten – auch der Namenlosen – die aus Angst vor der Abschiebung ihrem Leben selbst ein Ende setzten, heute besonders derer, die in der Abschiebehaft gestorben sind.

Und wir gedenken der über 50 Menschen, Flüchtlinge, Ausländer und Angehörigen von Minderheiten, die seit der Vereinigung Opfer rassistischer Gewalt wurden.

Mord durch die Gewalt der Straße oder Freitod als Folge der Gewalt des Staates: Hier zeigt sich eine verhängnisvolle und beunruhigende Kontinuität deutscher Geschichte. In der vermeintlichen Absicht, dem Rassismus den Boden zu entziehen, geht man nicht konsequent gegen Rassisten und ihre Hintermänner vor, sondern gegen die Flüchtlinge, die Opfer des Rassismus sind.

Wie müssen von Abschiebung und Ausweisung bedrohte Männer, Frauen, Kinder und Jugendliche fühlen und empfinden, wie aber wird auch deutschen Kindern und Jugendlichen Wert und Würde und Gleichheit des Menschen in einem demokratischen Verfassungsstaat vermittelt, wenn in den Ordnungsverfügungen und Ausreiseaufforderungen das kalte Herz der Bürokratie immer wieder Sätze formuliert wie» Durch Ihre Anwesenheit werden Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt.«?

Wie stark ist ein Staat, wie stark ist eine Demokratie, für die Zuflucht suchende Menschen und selbst Kinder eine öffentliche Gefahr darstellen, und die es nötig hat, Menschen abzuschieben in eine ungewisse Zukunft? Nicht die von Abschiebung und Ausweisung bedrohten Menschen sind eine öffentliche Gefahr, aus deren Anwesenheit sich eine, wie es im Behördendeutsch heißt, »erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit

ergibt«. – Nein, unsere Demokratie gerät in Gefahr, wenn Untätigkeit, Gleichgültigkeit, vorauseilender Gehorsam gegenüber technokratischen Gesetzen und Erlassen sich in Verwaltung und Politik auf diese Weise zum Schaden der Menschen durchsetzen würden.

Was sind das für Interessen eines mächtigen Landes und eines der reichsten Län


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