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TAG DES FLÜCHTLINGS 1996

Kann man Folter übersehen?

Bernd Mesovic

Der Nigerianer George B. (Name geändert) kommt am 31. Dezember 1995 auf dem Rhein-Main-Flughafen an. Er stellt dort einen Asylantrag. Bei der Erstbefragung durch den Bundesgrenzschutz schildert er seine politischen Aktivitäten, die ihn nach seinen Angaben ins Blickfeld der nigerianischen Staatssicherheitsorgane geraten ließen. Man habe ihn Mitte 1995 ohne Haftbefehl in seiner Wohnung festgenommen, in den Kofferraum eines Fahrzeuges der Staatssicherheit geworfen und in einem Untergrundgefängnis eingesperrt. Wörtlich: »Diese Art der Inhaftierung ist berüchtigt und wird als >Angola< in Nigeria bezeichnet. Es gab kein Bett in diesem Zimmer und ich mußte auf dem nackten Boden schlafen. Alle drei Tage wurde ich gefoltert, indem sie Holzsplitter eines Besens in meinen Penis eingeführt haben. Sie drehten diese um, um mir Schmerzen zu bereiten und sagten mir, daß ich das nächste Mal nicht mehr so etwas über die Regierung schreiben würde.« Vor seiner Freilassung habe man ihm angedroht, wenn er seine regierungsfeindlichen Flugblattaktionen fortsetze, dann werde er »der Geschichte angehören «. Im Dezember 1995 habe er gesehen, wie sich Soldaten vor seinem Haus postierten. Diese hätten bei ihrem Abzug den Befehl hinterlassen, er solle sich sofort im Büro der Staatssicherheit melden. Daraufhin sei er über Frankfurt in ein karibisches Commonwealth-Land geflohen. Man habe dort aber seinen Asylantrag nicht angenommen. Deshalb sei er schließlich auf dem Rückflug in Frankfurt gelandet, weil sein Rückflugticket über Frankfurt ging. Der Bundesgrenzschutz stellt B.'s Paß sicher, weil er unterstellt, der Paß sei durch die Auswechslung von Seiten gefälscht. Der von PRO ASYL eingeschaltete Anwalt sieht hierfür keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil: B. hat eine Fülle von Stempeln im Paß, sogar ein Visum der Schengen-Länder, und erklärt überzeugend, daßer mit diesem Paß sogar schon einmal als Transitpassagier in Deutschland war. Man möge dies doch nachprüfen, denn bereits damals sei der Paß kontrolliert worden. Darüber hinaus übermittelt er seinem Anwalt Fingerabdrücke, die mit den Klebemarken im Paß verglichen werden können. Warum ist die Frage, ob der Paß echt ist, so wichtig? Weil das Asylverfahrensgesetz vorsieht, daß nur die Asylanträge derjenigen, die über einen sicheren Drittstaat oder ohne echten Paß einreisen, im Schnellverfahren zu prüfen sind, das noch auf dem Flughafen durchgeführt wird. In diesem Flughafenverfahren gelten verkürzte Fristen, die eine sorgfältige Aufklärung der von Asylsuchenden behaupteten Sachverhalte erschweren. Rechtsanwälte, so es gelingt, überhaupt Anwälte zu finden, müssen innerhalb einer Dreitagesfrist notwendige Informationen zur Situation im Herkunftsland beschaffen, einen Schriftsatz verfertigen und an das Gericht senden. Ein Gespräch mit dem Mandanten, das eigentlich Grundlage einer sorgfältigen Klagebegründung wäre, ist kaum möglich. In der Hektik dieses Flughafenverfahrens gehen oft zentrale Informationen unter; wichtige Angaben bleiben ungeprüft. So auch im Fall B. Obwohl der Bundesgrenzschutz ausführlich seine Angaben zur erlittenen Folter protokolliert hatte, schert sich der Entscheider des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auf dem Flughafen keinen Deut um diese Angaben. Im zehnseitigen Befragungsprotokoll findet sich keine einzige Frage zur Folter. Schlimmer: Der Flüchtling greift seine früheren Schilderungen nicht noch einmal selbst auf, weil er unterstellen muß, daß die deutschen Behörden den Sachverhalt als wahr unterstellen. Es wäre ein leichtes für das Bundesamt, eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. Es müßte sich, so ein Arzt zu PRO ASYL, durch eine Untersuchung der Harnröhre herausfinden lassen, ob B. tatsächlich auf die von ihm angegebene Weise gefoltert worden ist. Nichts dergleichen veranlaßt das Bundesamt. Statt dessen wird B.'s Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Abschiebungshindernisse liegen angeblich ebenfalls nicht vor. Die Ablehnung stützt sich im wesentlichen auf die insgesamt anzuzweifelnde Glaubwürdigkeit des Antragstellers. So habe er doch nur Informationen auf seinen Flugblättern verteilt, die allgemein zugänglich gewesen seien. Die Flugblätter beträfen »nur Dritte und nie ihn persönlich, so daß ein Anspruch auf Erfolg des Asylbegehrens verneint werden muß«. An mehreren Stellen ähnlich absurd und sprachlich unverständlich setzt sich die Bundesamtsentscheidung überhaupt nicht mit B.'s Angaben zur Folter auseinander. PRO ASYL entscheidet sich, die Kosten für eine erste ärztliche Untersuchung zu übernehmen. Sie erbringt aber nur einen unklaren Teilbefund, weil B. bereits bei der ersten Untersuchung seiner Harnröhre mit Hilfe eines Katheters starke Schmerzen empfindet. Die notwendige Harnröhrenspiegelung kann aber nur in einer Klinik durchgeführt werden, wo es die nötigen Geräte gibt. Die entsprechende Untersuchung beantragt der Rechtsanwalt inzwischen beim Verwaltungsgericht Frankfurt, das auch über den Asylantrag zu entscheiden hat. PRO ASYL erhebt in der Öffentlichkeit schwere Vorwürfe gegen das Bundesamt: »Der Entscheider und seine Vorgesetzten kommen ihren Pflichten nicht nach. Selbstverständlich hätte in diesem Fall das Bundesamt den Schilderungen sorgfältig nachgehen und von sich aus eine ärztliche Untersuchung veranlassen müssen. Das ergibt sich bereits aus der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung. Die Rechtsprechung geht davon aus, daß das Bundesamt darüber hinaus zur Beweiserhebung zumindest dann verpflichtet ist, wenn sich solche Beweise aufdrängen. Dies ist hier ohne Zweifel der Fall.« Eine zweite ärztliche Untersuchung in einer Klinik, wiederum nicht von Amts wegen veranlaßt, erbringt jedoch erneut kein klares Ergebnis, weil die notwendige Harnröhrenspiegelung nicht durchgeführt wird. Der Oberarzt, über die Bedeutung der Untersuchung offensichtlich nicht genau unterrichtet, erklärt, eine Harnröhrenspiegelung hätte nur dann Sinn gemacht, wenn B. tatsächlich akute Beschwerden gehabt hätte. Ob B. Folternarben in seiner Harnröhre hat, bleibt weiter offen. Am 24. Januar 1996 übermittelt das Verwaltungsgericht Frankfurt ein Schreiben des Bundesgrenzschutzpräsidiums Mitte. Darin wird festgestellt, daß sich der Verdacht, B.'s Paß sei gefälscht, nicht erhärtet hat. B. hätte also nicht ins Flughafenasylverfahren hineingehört. Der echte Paß müßte eigentlich auch als Indiz für B. 's Glaubwürdigkeit gewertet werden, der sich seit Beginn des Asylverfahrens alle erdenkliche Mühe gegeben hat, weitere Indizien für die Echtheit des Passes zu liefern. Weit gefehlt! Am sei ben Tag entscheidet die zuständige Einzelrichterin der 14. Kammer des Verwaltungsgerichtes Frankfurt. Sie bestätigt die Entscheidung des Bundesamtes. Obwohl der Fall belegt, wie schwierig es ist, innerhalb der kurzen Fristen auf dem Flughafen Sachverhalte zu überprüfen, bagatellisiert die Richterin den Vorgang: Es handele sich lediglich um einen unerheblichen Verfahrensfehler im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Denn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bundesamtsent- scheidung bestünden nicht. Auch eine weitere urologische Untersuchung unter Narkose sei nicht nötig, weil »deren Ergebniseinen ansonsten nicht glaubhaften Verfolgungszusammenhang nicht isoliert begründen könnte«. Ob die Richterin wirklich den Mut gehabt hätte, B. zurückzuweisen, wenn eine ärztliche Untersuchung Narbengewebe in der Harnröhre gezeigt hätte? B.'s Rechtsanwalt unternimmt einen letzten verzweifelten Versuch und stellt einen Antrag auf Abänderung der Verwaltungsgerichts-entscheidung. Am 26. Januar 1996 um 13.15 Uhr entscheidet die Verwaltungsgerichtskammer mit drei Berufsrichtern, auch diesen Antrag zurückzuweisen. Den Angaben des Flüchtlings, er habe in seinem Asylantrag einige Daten verwechselt, weil er bei der Befragung unter einem enormen Druck gestanden habe, wertet die Kammer als Schutzbehauptung. Dem Flüchtling, der den Schaden zu tragen hat, wird der Spott von den Richtern gleichmitgeliefert: Weshalb der Antragsteller unter einem enormen Druck gestanden haben wolle, sei überhaupt nicht nachzuvollziehen. Immerhin sei er doch mit einem gültigen Reisepaß und einem gültigen Einreisevisum angekommen, »so daß es für ihn nur eine Frage der Zeit sein mußte, wann sich die Zweifel um die Gültigkeit seines Reisepasses klären ließen«. Tatsächlich hatte der Flüchtling zuvor mehr als drei Wochen um die Anerkennung der Echtheit seines Passes gekämpft. Bis die Entscheidung übermittelt wird, befindet sich B. schon im Gewahrsam des Bundesgrenzschutzes. Um 14.15 Uhr wird er abgeschoben. Ein Fazit zieht der Sprecher von PRO ASYL, Heiko Kaufmann, noch am Abschiebetag: »Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtes Frankfurt ermöglicht es dem Bundesgrenzschutz, mit der bloßen Behauptung, ein Paß sei gefälscht, jeden auf dem Flughafen ankommenden Asylsuchenden in das Flughafenverfahren hineinzumanipulieren.« Ein weiteres Fazit ist zu ziehen: Dies ist nicht das einzige Asylverfahren, in dem Folter nicht gesehen oder ausgeblendet wird. Was der Bundesgrenzschutz zum Teil sorgfältig protokolliert, wird in keiner Weise vom Bundesamt aufgegriffen und geprüft. Elementare Verfahrens regeln werden mißachtet, selbst wenn die Gefahr besteht, daß jemand seinen Folterern ausgeliefert werden könnte. Auf diesen und weitere Fälle angesprochen, erklärt ein anderer Verwaltungsrichter einem Mitarbeiter von PRO ASYL am Rande einer Diskussionsveranstaltung, man könne auf Folterbehauptungen nicht viel geben. Schließlich komme z. B. fast jeder Kurde mit der Behauptung, er sei in seinem Heimatland gefoltert worden. Während die wenigen Institutionen, die gefolterte Flüchtlinge in Deutschland behandeln können, lange Wartelisten haben, stumpfen Teile der Richterschaft ab, verschanzen sich in den Burgen juristisch kultivierter Vorurteile.


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