TAG DES FLÜCHTLINGS 1988
Aufruf des Flüchtlingsrates Berlin
zu einem „Berliner Edikt“
- Grußwort des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen 1988
- Grußwort der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege
- Zuflucht gewähren!
Ökumenischer Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger - Susan, Yilmaz, Fadel, Kristina und Ruhollah: de‑facto‑Flüchtlinge Victor Pfaff
- Offene Grenzen oder ein neuer Flüchtlingsbegriff Herbert Leuninger
- Kinder und Jugendliche im Asylverfahren Klaus Wolken
- Flüchtlingsschicksale
- Bausteine für einen Gottesdienst – Predigt am Tag des Flüchtlings 1987 in Berlin
- Keine Abschiebung in den Libanon – Aktion Riesenpostkarte an den Berliner Innensenator
- Für mehr Menschlichkeit – Demonstration zum Tag des Flüchtlings in Siegen
- Der Kunst Asyl geben – Flüchtlinge melden sich zu Wort mit Gedichten, Bildern und Skulpturen
- Tag des Flüchtlings im Kino – Filmwoche zum Thema Asyl
- (Sechs Tore zum Tag des Flüchtlings)
- Aufruf des Flüchtlingsrates Berlin zu einem „Berliner Edikt“
- Tag des Flüchtlings oder Tag der Flüchtlingsbetreuer?
- Heimat ist, wo ich wachsen kann ‑ Kultur im Exil
- Stellungnahmen
Der Tag des Flüchtlings im Oktober 1987 veranlaßte uns, den Regierenden Bürgermeister und den Senat von Berlin zu bitten, daß sie zum Wohle und für die Zukunft dieser Stadt für die Flüchtlinge ein „Berliner Edikt“ erlassen.
Das Potsdamer Edikt von 1685 durch den Großen Kurfürsten verschaffte auf grobzügige Weise zahlreichen Flüchtlingen aus Frankreich eine Zuflucht und ein Lebensrecht in dieser Stadt. Diese Entscheidung hat sich für Berlin sehr segensreich ausgewirkt.
Ein Berliner Edikt, irn Rahmen der 750-Jahr-Feier von Berlin, sollte den Asvlsuchenden und Flüchtlingen in unserer Stadt ein Lebensrecht sichern, welches ihnen erlaubt, ohne Angst zu leben und ihre Fähigkeiten und Kräfte zum Blühen und Wachsen dieser Stadt einzubringen. Dieses Edikt enthält folgende Bestimmungen:
Das Potsdamer Edikt von 1685
1. und 2. Beauftragte des Kurfürsten sollen die französischen Flüchtlinge in Holland, Frankfurt oder Köln erwarten, sie mit Geld und Pässen versorgen und ihre Weiterreise nach Brandenburg-Preußen sicherstellen.
3. Flüchtlinge dürfen sich einen Ort ihrer Wahl aussuchen, wo sie frei leben und ihren erlernten Beruf ausüben können.
4. Mitgebrachte Waren und Gegenstände dürfen steuer- und abgabenfrei eingeführt werden.
5. Flüchtlinge können verfallene Häuser, die von den Eigentümern nicht instandgesetzt werden können, zum Eigentum erhalten. Der Staat gibt ihnen zur Instandsetzung kostenlos Baumaterialien und gewährt für sechs Jahre Steuervergünstigung. Er zahlt an die Eigentümer eine Entschädigung.
6. Die Flüchtlinge erhalten zum Bau eines Hauses Grundstücke und kostenlos Baumaterialien. Eine Steuervergünstigung gilt für zehn Jahre. Bis zum Bezug des neuen Hauses sind die Kommunen verpflichtet, für vier Jahre Wohnungen mietfrei zur Verfügung zu stellen.
7. Die Flüchtlinge erhalten wie die Einheimischen das Bürgerrecht und sie werden ohne besondere Bedingungen in die Zünfte aufgenommen.
B. Wollen Flüchtlinge eine Manufaktur errichten, erhalten sie Steuerfreiheit und andere finanzielle oder sonstige Unterstützung.
9. Bauern erhalten Land und andere notwendige Unterstützungen.
10. Bei Streitigkeiten zwischen Franzosen sprechen besonders gewählte Franzosen Recht. Deutsche Behörden werden zuständig, wenn auf diesem Wege keine Einigung erzielt wird und wenn es zwischen Deutschen und Franzosen zu Streitigkeiten kommt. Die gewählten Franzosen werden dann zur Rechtsprechung hinzugezogen.
11. Den Flüchtlingen wird in jeder Stadt eine Predigtstätte gegeben. Sie haben das Recht, ihre Gottesdienste in ihrer Sprache und nach ihrer Ordnung zu halten.
12. Der französische Adel wird dem deutschen Adel gleichgestellt.
13. Alle Bestimmungen gelten auch für die französischen Flüchtlinge, die vor der Veröffentlichung des Potsdamer Ediktes nach Brandenburg-Preußen gekommen sind.
14. Besonders eingesetzte Kommissare sollen die ankommenden Flüchtlinge beraten und in jeder Hinsicht unterstützen. Die Behörden werden angewiesen, daß sie dafür sorgen, daß die Bestimmungen dieses Ediktes und ergänzende Verordnungen erfüllt werden.
So geschehen zu Potsdam, den 29. Oktober 1685
Friedrich Wilhelm
Churfürst
Das Berliner Edikt von 1987
1. Politisch Verfolgte und Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, die in ihren Heimatländern um ihr Leben fürchten müssen, erhalten freien Zugang zu Berlin. Hindernisse, die diesen Zugang erschweren, werden beseitigt.
2. Niemand wird in Kriegs- oder Krisengebiete abgeschoben, in denen die Betroffenen um ihr Leben fürchten müssen.
3. Familien dürfen nicht auseinander gerissen werden. Flüchtlinge genießen Freizügigkeit in Berlin-West und der Bundesrepublik.
4. Flüchtlinge, die nicht arbeiten können, erhalten wie Berliner Bürger die gesetzlich festgelegte Sozialhilfe.
5. Der Berliner Senat stellt die notwendigen Mittel und die erforderliche Unterstützung den Flüchtlingen zur Verfügung, die abrißgefährdete Häuser oder Wohnungen, die in ihrer Substanz erhaltenswert sind, instand setzen wollen.
6. Flüchtlinge erhalten die Möglichkeit und die notwendige Unterstützung, auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung zu beziehen.
7. Das fünfjährige Arbeitsverbot wird aufgehoben. Flüchtlinge werden rechtlich den Arbeitnehmern aus den EG-Ländern gleichgestellt. Niemand wird zur Untätigkeit verurteilt, wodurch er körperlich und seelisch krank wird.
8. Flüchtlinge, die sich unternehmerisch betätigen wollen, erhalten nach den geltenden Richtlinien finanzielle Unterstützung und Steuervergünstigungen.
9. Jugendliche Flüchtlinge erhalten die Möglichkeit einer praktischen und theoretischen Aus- und Fortbildung, die ihren Wissensstand und ihre Fähigkeiten fördert.
10. Bei Verhandlungen mit deutschen Behörden oder Gerichten werden von Flüchtlingen gewählte Vertreter als Berater und Dolmetscher hinzugezogen.
11. Flüchtlingen wird jede finanzielle Unterstützung und Hilfe gegeben, ihre Kultur und Sprache zu pflegen und zu fördern.
12. Alle Maßnahmen und Vorschriften, die Flüchtlinge gegenüber deutschen Bewohnern diskriminieren oder benachteiligen, werden abgeschafft.
13. Diese Bestimmungen gelten für europäische und außereuropäische Flüchtlinge in gleicher Weise.
14. Die Behörden werden angewiesen, die Bestimmungen zu erfüllen. Der Berliner Senat wird alles tun, um die weitverbreitete Ausländerfeindlichkeit zu überwinden und die Verständigung zwischen Deutschen und Flüchtlingen zu stärken und zu verbessern.
So geschehen zum 750jährigen Jubiläum von Berlin, im Oktober 1987
Der Regierende Bürgermeister und der Senat von Berlin-West