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TAG DES FLÜCHTLINGS 1987

Hilfe und Schutz für Flüchtlinge in Berlin

Jürgen Quandt

Jürgen Quandt

Eine Initiative: „Patenschaften für Flüchtlinge“

Seit dem Beschluß des Berliner Abgeordnetenhauses vom 9. Oktober 1986, den Abschiebestopp für den Libanon aufzuheben, hat sich die Lage für Libanonflüchtlinge in West‑Berlin teilweise dramatisch zugespitzt. Nachdem der Berliner Senat bereits zweimal in den Jahren 1983 und 1985 eine geplante Aufhebung des Abschiebestopps für den Libanon aufgrund öffentlicher Proteste und offensichtlicher Fehleinschätzung der Sicherheitslage im Libanon zurücknehmen mußte, sollte diesmal Härte und konsequentes Handeln demonstriert werden.

Eine 3tägige Reise des neuen Innensenators Kewenig im September 1986 brachte die gewünschten Ergebnisse. Es wurden keine Abschiebungshindernisse festgestellt, obwohl zur gleichen Zeit der Lagerkrieg gegen die Palästinenserlager wieder heftig entbrannte und in Beirut weiter geschossen und gebombt wurde.

Als Antwort auf den wachsenden Abschiebungsdruck entstand im kirchlichen Bereich die Initiative „Patenschaften für Flüchtlinge“ und seitens der Alternativen Liste die Kampagne „Fluchtburg Berlin“. Beide Aktionen zielen auf die unmittelbare Solidarität und Hilfe für Flüchtlinge bei drohender Abschiebung.

Vor allem die Kampagne „Fluchtburg Berlin“ hat starke Beachtung in der Öffentlichkeit gefunden und ist besonders deswegen sehr kontrovers diskutiert worden, weil dabei auch zum „Verstecken“ von Flüchtlingen aufgerufen wurde.

In den Kirchengemeinden, die bisher Flüchtlinge aufgenommen hatten bzw. haben oder im Notfall aufnehmen würden, wird eher von einer „öffentlichen Aufnahme“ gesprochen, die den zuständigen Behörden umgehend mitgeteilt wird. Das bedeutet jedoch nicht, daß in jedem Falle auch der Aufenhaltsort bekanntgegeben wird. Gleichwohl stellt sich auch hier die Frage, ob damit eine Verletzung bestehender Gesetze stattfindet. Da es sich bei öffentlichen Aufnahmen um den Versuch handelt, mit Behörden und Politikern eine legale Vermeidung von Abschiebungen auszuhandeln, unterstellen die beteiligten Kirchengemeinden eine gewissermaßen stillschweigende Duldung der Behörden, solange das Bemühen um eine Lösung andauert. Bisher ist es in keinem einzigen Fall zu einer Anzeige und Staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gekommen.

Allerdings ist den Beteiligten bewußt, daß es dabei nicht bleiben muß. Sie nähmen auch eine Bestrafung für ihr Handeln in Kauf.

Gegenwärtig (Stand März 1987) dürften es ca. 20 Kirchengemeinden in Berlin (West) sein, die im Bedarfsfall Flüchtlinge aufnehmen würden und deren Gemeindekirchenräte entsprechende Beschlüsse gefaßt haben. In der Forderung nach Wiedereinsetzung des Abschiebestopps ist sich die gesamte Berliner evangelische Kirche einig. Kirchliche und außerkirchliche Proteste hatten im Herbst des vergangenen Jahres immerhin bewirkt, daß eine Differenzierung bei den Libanonflüchtlingen eingeführt und eine Einzelfallprüfung durch den Senator selbst zugesagt wurde.

Die Klassifizierung verschiedener Flüchtlingsgruppen in mehr oder weniger Abzuschiebende ist jedoch unannehmbar. Selbst wenn für jedermann ersichtlich ist, daß Palästinenser im Libanon am stärksten gefährdet sind, kann nicht akzeptiert werden, daß Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen einem vergleichsweise geringeren „Restrisiko“ ausgesetzt werden. Die libanesische und kurdische Zivilbevölkerung ist von den Folgen des Bürgerkrieges ebenso hart betroffen.

Zugespitzt hat sich die Auseinandersetzung der letzten Monate auf die Frage der Abschiebung von sog. Pendlern und Straftätern.

Die Kategorie der Pendler und Straftäter, die trotz eines etwaigen Abschiebestopps abzuschieben sind, ist eine Erfindung des ehemaligen Innensenators Lummer. Danach ist der typische Pendler der ständig zwischen Beirut und WestBerlin hin‑ und herreisende junge Mann, der dabei womöglich noch Rauschgift schmuggelt. Der typische Straftäter ist der seiner gerechten Strafe zugeführte Drogenhändler oder anderweitig kriminell Gewordene. Das jedenfalls ist das Bild des Pendlers und Straftäters, das in der Öffentlichkeit verbreitet wird.

Die Wirklichkeit ist eine andere. Pendler ist, wer nach 1984 mehr als einmal nach West‑Berlin oder in die Bundes republik eingereist ist. Straftäter im Sinne dieses Abschiebemechanismus ist, wer zu 3 Monaten Haft, ersatzweise 90 Tagessätzen Geldstrafe verurteilt wurde. Dazu reicht in der Regel ein kleiner Kaufhausdiebstahl oder Zigarettenschmuggel von Ost‑ nach West‑Berlin oder ein Verstoß gegen das Ausländergesetz aus.

Dementsprechend waren diejenigen, die abgeschoben wurden oder abgeschoben werden sollten z.B. ein Familienvater mit einer kleinen, z.T. seit Jahren zurückliegenden Vorstrafe, ein Jugendlicher, der zu seiner schwer erkrankten Mutter zurückgereist war, eine junge verheiratete Palästinenserin aus dem Lager Schatila, die erstmals als Kind eingereist war. Die Beispiele ließen sich mühelos vermehren.

Einige dieser „Pendler“ und „Straftäter“ waren oder sind in Kirchengemeinden untergebracht.

Die der Berliner evangelischen Kirchenleitung gegenüber gemachte Zusage, Einzelfallüberprüfungen durchzuführen, wurde nicht eingehalten. Wie sollte sie auch! Wer könnte tatsächlich den begründeten Versuch machen wollen, von hier aus festzustellen, wer im einzelnen im Libanon gefährdet und wer ungefährdet ist?

Nachdem trotz intensiver Bemühungen der Versuch, mit Innensenator Kewenig die Lage im Libanon und die Fage von Abschiebungen dorthin öffentlich zu diskutieren an seiner Weigerung gescheitert war, fand am 21. Januar 1987 in der Kreuzberger Passionskirche eine von mehreren hundert Teilnehmern besuchte Protestveranstaltung gegen Abschiebungen in den Libanon statt. Auf dieser Veranstaltung rief Altbischof Kurt Scharf zur Aufnahme von Flüchtlingen auf. Er sagte u.a.:

„Wir haben den, der in Not oder auch nur aus dem subjektiven Gefühl von Not uns sucht, anzunehmen und für ihn einzustehen. Jede Überprüfung der Beweggründe ist Verletzung der Menschenwürde des zu uns Geflüchteten. Diese Pflicht wird nicht eingeschränkt oder aufgehoben durch Regelungen unseres eigenen Staates. Geraten wir durch die Hilfe an den geflüchteten Fremdlingen unter uns in Widerspruch zu vom Staat erlassenen Gesetzen, dürfen wir die Verletzung staatlicher Ordnung nicht scheuen. Es ist nicht falsch, die Handhabung staatlicher Verwaltung auch mit der Waffe des Rechts, der des Grundgesetzes zu bekämpfen. Aber wo der Appell, die Beschwerde an Verwaltungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht ohne Erfolg bleibt, endet die Pflicht der Hilfe nicht. Wir protestieren gegen Abschiebungen, gegen jede Abschiebung, wir protestieren gegen Verurteilungen von Asylsuchenden, die gegen die Anordnung der Ausländerbehörde bei uns bleiben. Wir protestieren gegen die Verurteilung von Helfern der sogenannten illegal bleibenden Flüchtlinge, wenn solche Verurteilungen erfolgen sollten. Aber wir lassen es nicht bei Protesten bewenden und wir lassen uns durch gerichtliche Entscheidungen nicht abhalten von dem christlich gebotenen Tun. Es ist christlich geboten, notfalls von der Abschiebung Bedrohte in unseren Gemeinden aufzunehmen, auch zu verstecken.“

Wenige Tage später kam es zu einer spontanen Protestaktion gegen geplante Abschiebungen.

Vor dem Abfertigungsschalter der Pan Am hatten sich über 200 Personen versammelt, darunter auch 6 Mitglieder der evangelischen Kirchenleitung mit Propst Hollm an der Spitze. Mit Tränengas und Schlagstockeinsatz wurde von der Polizei versucht, die Versammlung aufzulösen. Allein der Hartnäckigkeit der Anwesenden und der Teilnahme von leitenden Repräsentanten der evangelischen Kirche an der Protestaktion ist zu danken, daß die geplanten Abschiebungen ausgesetzt und nicht weitere Gewalt angewendet wurden.

Seitdem gibt es, vor allem bedingt durch die weltweite Kenntnisnahme der mörderischen Belagerung der Palästinenserlager durch Amal‑Milizen, einen begrenzten Abschiebestopp für Palästinenser.

Allerdings weigert sich der Berliner Innensenator nach wie vor, gleichermaßen bei Libanesen und Kurden aus dem Libanon zu verfahren.

Die Initiative „Patenschaft für Flüchtlinge“ muß darum weitergeführt werden. Denn wenn auch gegenwärtig die Frage der Libanonflüchtlinge eine entscheidende Rolle spielt, so darf dabei nicht übersehen werden, daß z.B. die Lage der tamilischen und iranischen Flüchtlinge jederzeit ähnlich bedrohlich werden kann.


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