HESSISCHER RUNDFUNK
2. Hörfunkprogramm
14.11.1979
Ausländerpolitik
EINE JUNGE GENERATION ZWISCHEN
GERMANISIERUNG UND GETTOISIERUNG
Interview von Ulrike Holler mit Herbert Leuninger (HL)
„Ausländerpolitik – Eine junge Generation zwischen Germanisierung und Ghettoisierung „, so lautete das Thema einer Wochenendtagung der Rabanus-Maurus-Akademie in Frankfurt.
Im Frankfurter Dominikanerkloster diskutierten die Vertreter der Kirchen, sowie der Frankfurter Oberbürgermeister, Walter Wallmann, und der Chef der Hessischen Staatskanzlei, H. Reinhart Bartholomäi, über Ergebnisse und Verlauf der Tagung.
Es sprach Ulrike Holler mit Herbert Leuninger, dem Ausländerreferenten der Diözese Limburg.
Wir stehen vor einer neuen Phase. Das ist, Herr Leuninger, das fast überschwängliche Resümee, das Sie am Ende dieser Tagung ziehen. Heißt das, daß alle Probleme mit den Ausländern demnächst behoben sind?
Bestimmt nicht! Wir rechnen damit, daß wir auf Jahrzehnte noch Integrationsprobleme haben, alte und immer wieder neue. Aber die Rahmenbedingungen haben sich wohl geändert.
Wodurch haben sich Rahmenbedingungen geändert?
Das Kühn-Memorandum, das der Bundesbeauftragte für die ausländischen Arbeitnehmer vorgelegt hat, hat die bisherige politische Orientierung verändert.
Inwiefern konnte die bisherige politische Orientierung durch ein solches Memorandum verändert werden?
Bislang gingen Bund und Länder von dem Konsens aus, daß die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland ist; wohingegen Kühn diese These umkehrt und sagt, wir sind faktisch ein Einwanderungsland geworden, und sollten deswegen auch Abschied nehmen von diesem seltsamen Begriff „Integration auf Zeit“. Wir sollten uns einstellen auf die Integration auf Dauer. Aufgrund der Tatsache, daß einen Tag zuvor sowohl die katholische Kirche wie die evangelische Kirche Stellung genommen hatten zu dem Kühn-Memorandum, war das natürlich für die Tagung hochaktuell und keiner der Referenten ist dieser Frage ausgewichen. Alle Referenten haben sie positiv beurteilt.
Nun ist natürlich die wichtigste Aufgabe, daß dieses Memorandum, das ja noch kein Beschluß der Bundesregierung ist, Beschluß wird. Kühn hat in seinem Memorandum Zahlen genannt. Er sprach von Tausenden von zusätzlichen Pädagogen. Das sind Größenordnungen, bei denen die Politiker zuerst einen Schrecken bekommen. Wenn sie es vernünftig durchrechnen, müssten sie es eigentlich akzeptieren.
Integrationspolitik heißt, daß insbesondere auch die Kinder ausländischer Arbeitnehmer demnächst stärker an das deutsche Schulwesen angegliedert werden, zumindestens stärker gefördert werden müssen. Integrationspolitik heißt auch, daß Ausländer wie Deutsche behandelt werden müssen.
Diese Forderung der Gleichberechtigung auf allen Ebenen ist eine zentrale Forderung des Kühn-Memorandums und war auch eine zentrale Forderung aller bei dieser Tagung aufgetretenen Referenten.
Ein weiterer Punkt – seit Jahren gefordert – aber immer sehr zögernd beantwortet: Kommunalwahlrecht. Auch damit hat sich die Tagung auseinandergesetzt. Was war das Ergebnis?
Hier zeichnet sich auch eine Einstimmigkeit aller wichtigen politischen Kräfte ab. Wir haben es mit großer Genugtuung registriert, daß auch der Oberbürgermeister von Frankfurt Wallmann sich persönlich für das Kommunalwahlrecht eingesetzt hat.
Erleichterung der Einbürgerung! Alle möglichen Organisationen, Vertreter der ausländischen Arbeitnehmer fordern immer wieder, daß die Einbürgerung etwas besser, etwas schneller, etwas weniger bürokratisch ablaufen soll. Wie war da das Votum der Mehrheit ?
Die Teilnehmer bei dieser Tagung haben darauf hingewiesen und in der Diskussion immer wieder betont, daß die Erleichterung der Einbürgerung sicher ein wichtiges Phänomen ist. Allerdings nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für die erste Generation, um zu verhindern, daß hier die zwei Generationen noch stärker voneinander getrennt werden, als sie es jetzt durch die Einwanderungssituation ohnehin sind. Aber es wurde auf dieser Tagung gleichermaßen deutlich, daß die Einbürgerung nicht die Lösung der Integrationsfrage ist, vor allem deswegen nicht, weil ein großer Teil – vielleicht sogar der größte Teil derer – die hier auf Dauer in der Bundesrepublik sein werden, nicht unter Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit Deutsche werden wollen. Dieses Junktim wird von den meisten Ausländern abgelehnt und muß auch im Sinne einer europäischen Dimension der Integration nicht notwendig gefordert werden.
Herr Leuninger, ich kann verstehen, daß sich während einer solchen Tagung Politiker oder Referenten auf die gleichen Grundsätze einigten. Aber ich habe meine Befürchtung, daß das, was auf dieser Tagung diskutiert wurde, im Land bei den Bürgern durchaus anders empfunden und diskutiert wird. Wie sehen Sie es?
Darüber waren sich die Politiker und auch die Vertreter der Kirchen durchaus einig. Es war auch hier ein Unisono bei den Referenten, daß die Bemühung, die Öffentlichkeit und die Bevölkerung, d.h. die deutsche Bevölkerung, und nicht nur die deutsche Bevölkerung, über die neue Situation aufzuklären, wesentlich verstärkt werden müsse. Hier haben auch die Kirchen ihre Bereitschaft erklärt, dies nach innen und nach außen hin stärker zu betreiben, als sie das vielleicht bisher getan haben.