TAG DES FLÜCHTLINGS 1987
Abschied von einem Grundrecht
Victor Pfaff
- Aufruf des Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen zum Tag des Flüchtlings 1987
- Aufruf: Pro Asyl
- Abschied von einem Grundrecht
- Christen und Asyl
- „Möchten Sie das Los eines Flüchtlings…?“
- Hilfe und Schutz für Flüchtlinge in Berlin
- Sprühaktion gegen Ausländerfeindlichkeit
- Flüchtlinge suchten Gespräch mit Bürgern
- Mit Plakatwänden Gegenöffentlichkeit schaffen
- Stellungnahmen zur Asyldiskussion
Ö. und seine Frau packen das Nötigste und fliehen mit ihrem einjährigen Kind. Die Angst hat sie gepackt. Sie sind chaldäische Christen und haben in der Süd-Ost‑Türkei gelebt. Daß die Frau im neunten Monat schwanger ist, hält sie nicht von der Flucht ab. Sie fliehen nach Mailand und dann nach Frankfurt. Sie wollen Asyl finden. Das Bundesinnenministerium verfügt am dritten Tage die Zurückweisung. Die Alitalia habe sie gebracht, die Alitalia soll sie wieder mitnehmen. Schwangerschaft hin, Schwangerschaft her. Sie werden zur Maschine gebracht. Auf dem Wege dorthin entdeckte eine Sozialarbeiterin das Ungeheuerliche. Mit Hilfe eines Pfarrers wird die Fracht unterbunden. Zwei Stunden später liegt Frau S. in einem Kreißsaal. So geschehen zwischen dem 28. Februar und dem 2. März 1987.

Es ist ein mißlungener Versuch der „Regionalisierung des Flüchtlingsproblems“ . Im Januar 1987 ist das geänderte Asylverfahrensgesetz in Kraft getreten. Wenn offensichtlich ist, daß ein Flüchtling in einem anderen Staat, den eipassiert hat, sicher vor Verfolgung war; wird er zurückgewiesen. Sicher vor Verfolgung sind, sagt der Bundesinnenminister und handelt entsprechend: Afghanen in Pakistan, Indien und Iran; Iraner in Pakistan; Tamilen in Indien; Türken in Italien; Flüchtlinge aus Äthiopien im Sudan. Und das nur zum Beispiel. Alle werden sie zurückgewiesen, wenn sie die Grenze der Bundesrepublik Deutschland erreicht haben. Gleichgültig, ob sie hier Verwandte haben, früher hier gelebt haben oder vielleicht schon einmal zur Behandlung ihrer Folterschäden in der Bundesrepublik waren und danach wieder gegen die Tyrannei gekämpft haben.
Die Bundesrepublik Deutschland hat aufgrund des Art. 16 Grundgesetz 112.000 Personen Asyl gewährt. In rund 34 Jahren. 68.181 leben derzeit noch in der Bundesrepublik. (Zusätzlich befinden sich in der Bundesrepublik 31.121 Kontingentflüchtlinge, 39.295 heimatlose Ausländer und 1.690 in anderen Staaten anerkannte Flüchtlinge). Bis 1975 kamen die meisten der Flüchtlinge aus den Warschauer‑PaktStaaten. Seither kommen sie hauptsächlich aus den Staaten der Dritten Welt. In zweijährigem Turnus werden seit 1978 die Gesetze gegen den „Asyhnißbrauch“ geschaffen, werden Instrumentarien geschaffen, den Zustrom abzuschnüren. Von Mißbrauch ist regierungsamtlich die Rede auch dort, wo es um politisch Verfolgte geht. Gegen die afghanischen Flüchtlinge z. B. wird 1980 die Visumpflicht eingeführt, 1981 die Transitvisumpflicht, ab 1981 wird ihnen Asylverweigert, weil sie in Pakistan hätten bleiben können, 1984 korrigiert dies das Bundesverwaltungsgericht, aber 1986 korrigiert der Gesetzgeber das Bundesverwaltirngsgericht: Also werden Flüchtlinge aus Afghanistan an der Grenze zurückgewiesen, wenn sie auch nur einen Tag in Pakistan waren. Wer hat je gesagt: „Der Asylmißbrauch muß bekämpft werden, aber die politisch Verfolgten müssen natürlich Asyl erhalten“?
Auch die Iraner, lange Zeit die Hätschelkinder unter den Flüchtlingen, großzügig anerkannt, wie es der humanitäre Charakter des Grundrechtes auf Asyl gebietet, auch sie sollen ausgesperrt werden: Die Gegenmauer in Berlin seit Oktober 1986, die Transitvisumpflicht seit Dezember 1986, die Visa~verweigerung in Teheran, wenn Fluchtgeruch im Antrag steckt.
Gewiß, die Perserin flieht, weil die sich nicht der Tracht und Niedertracht „islamisch“ sich nennenden Wahns beugen will. Gewiß, der Krieg und das Elend, das er „im Gefolge“ führt, treibt viele von dannen. Aber warum sollen das keine Asylgründe sein? –

„Bis zum letzten Iraner“ wird der „Heilige Krieg“ geführt, sagt Khomeini. Wie kann das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge da noch sagen, es ist das Recht jedes Staates, seine Staatsbürger zur Wehrpflicht heranzuziehen? Zu einer Wehrpflicht, die ohne die Waffen aus Europa und den USA gar nicht zu erfüllen wäre. Wie soll man die Politik der Staaten nennen, die diesen Krieg gewinnsüchtig durch Materiallieferungen am Leben erhalten und denen, die vor ihm flüchten, die Tür vor der Nase zuschlagen oder ihnen per „Bescheid“ die Rückkehr befehlen?
Natürlich kann die Grenze nicht völlig dicht gemacht werden. Not macht erfinderisch. Not schafft den Mut der Verzweifelung. Also schaffen es immer welche über die Grenze.
Wer von ihnen wird als „politisch Verfolgter“ anerkannt? Das Bundesverwaltungsgericht hat den Begriff der politischen Verfolgung auf ein Nadelöhr verengt. In einem Urteil vom 27.5.1986 geht es um türkische Staatsangehörige, denen wegen ihrer politischen Betätigung die Folter droht. Folter in der Türkei, sagt das Bundesverwaltungsgericht, dient der Aufrechterhaltung der Herrschaftsstruktur. Die Folter, sagt es, ist weitverbreitet in der Türkei und dient der Geständniserpressung. Die Ermittlungsmethoden ’seien in der Türkei nicht so weit entwickelt. Die Folter lasse die Überzeugung der Gefolterten aber unberührt, jedenfalls liege darin keine Disziplinierung wegen der politischen Überzeugung oder der ethnischen Herkunft.
Aber, wendet der Flüchtling ein ‑ und das Gericht sieht das als erwiesen an ‑ ich werde eines Staatsschutzdeliktes beschuldigt und deshalb werde ich stärker gefoltert als andere. Ja, ja, sagt das Gericht, das liegt aber daran, daß solche wie du nicht so schnell ein Geständnis ablegen. „Die Ursache für (ihre) schlechtere Behandlung ist nicht die Reaktion der Untersuchungsbehörden auf ihre Gesinnung oder ihr Volkstum, sondern ihre „weit geringere Neigung“ sich auf diese „Mechanismen“ in der Polizeihaft einzustellen und sich ihnen durch ein Geständnis, durch die Weitergabe von Informationen oder durch Unterwerfung unter militärische Disziplinaranforderungen zu entziehen.“ Je stärker die Sicherheitskräfte das Gemeinwesen für bedroht hielten und deshalb nach ihrer „kemalistischen Wertvorstellung“ als schutzbedürftig ansähen, desto mehr käme es zu Übergriffen. Und, sagt das Bundesverwaltungsgericht, die kemalistische Wertvorstellung muß „aus der Sicht des Asylrechts grundsätzlich hingenommen werden“ (BVerwG, Urteil v. 27.5.1986, Az 9 C 35.86). Also gibt es kein Asyl.
Was aber ist die kemalistische Wertvorstellung von den ethnischen Minderheiten, den Kurden zum Beispiel? Es gibt sie gar nicht, in der kemalistischen Wertvorstellung. Es gibt nur Türken in der Türkei. Und Terroristen. Muß das aus der Sicht des Asylrechts „grundsätzlich hingenommen werden“? Muß, wenn es um einen Südafrikaner geht, aus der Sicht des Asylrechts die Wertvorstellung der Apartheid grundsätzlich hingenommen werden? Was eigentlich bleibt vom Asylrecht übrig, wenn bei der Beurteilung eines Asylantrages die Wertvorstellungen des Verfolgerstaates grundsätzlich hingenommen werden müssen?
„Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung bleibt vom Asylrecht wohl nicht viel“ kritisiert der Vorsitzende Richter am Hamburgischen Verwaltungsgericht seine Kollegen aus Berlin.
Was passiert mit Flüchtlingen, deren Asylantrag abgelehnt wird, die aber aus humanitären Erwägungen nicht abgeschoben werden? Sie leben in der Angst vor der Abschiebung. Ihre „Duldung“ kann jederzeit widerrufen werden.
K. zum Beispiel, obwohl er seit über 16 Jahren in Berlin‑West und der Bundesrepublik Deutschland lebt. Palästinenser aus dem Libanon, staatenlos. Sein Asylantrag ist 1978 vom Bundesverwaltungsgericht endgültig abgelehnt. Er und seine deutsche Verlobte schließen die Ehe. Nachdem der Libanon seinen Reiseausweis für Flüchtlinge nicht verlängert, ist K. wieder nur „geduldet“. Daß er inzwischen Kraftfahrzeugmeister ist, nutzt nichts. Die Ehe zerbricht. 1986 kommt K., bis dahin in Bayern „geduldet“ nach Hessen. Eine Aufenthaltsgenehmigung hat er in Bayern nicht bekommen können. 1987 drohen hessische Behörden seine Abschiebung nach Bayern an, wo unterdessen der Abschiebungsschutz für Flüchtlinge aus Libanon aufgehoben ist. Im 17. Jahr seines Aufenthaltes hat K. nicht nur keine Aufenthaltserlaubnis, sondern muß Abschiebung in den Libanon befürchten.
Welches Menschenbild haben Ausländerbehörden vor Augen, die einem Flüchtling nach so langer Zeit nicht einmal eine Aufenthaltserlaubnis geben? Kennt das Grundgesetz Menschen, denen keine Würde, kein Recht auf Leben zukommt?