MAINZER ALLGEMEINE ZEITUNG vom 23. März 2000
Zehn Jahre gegen den Strom
Mainzer Flüchtlingsrat zog Bilanz
Schwenk in Unterbringungspolitik:
Aus Gemeinschaftsunterkünften in Wohnungen
Ein Jubiläum als Indiz für Verfolgung und Vertreibung:
Seit zehn Jahren setzt sich der Mainzer Flüchtlingsrat für die Belange
der Flüchtlinge ein. Am Dienstagabend wurde Rückblick gehalten.
Von Dietmar Buschwa
MAINZ. – Als sich 1990 der Mainzer Flüchtlingsrat gründete, herrschte in Mainz „geordnetes Chaos“. Zahlreiche Asylbewerber lebten in Notunterkünften, warteten in Zelten darauf, in ein Schiff am Feldbergtor umzusiedeln. Andere lagerten im Keller einer Schule. Mit harten argumentativen Bandagen fuhren sich damals der damalige Sozialdezernent Willi Abts (SPD) und Günter Burkhardt (Sprecher des frisch gegründeten Mainzer Flüchtlingsrats) gegenseitig in die Parade. – Am Dienstagabend saßen sie im Valenciasaal des Rathauses friedlich und scherzend nebeneinander. Das politische Klima und der Druck haben sich verändert. Gleichwohl Unterdrückung, Folter und Vertreibung weiterhin Alltag sind auf unserer Erde.
„Zehn Jahre gegen den Strom“, so lautete das Motto des Festabends. Friedrich Vetter, der Flüchtlingspfarrer des Diakonischen Werks, bedankte sich zunächst einmal bei allen, die diesen Kraftakt ermöglicht hatten. Und in Richtung der Verwaltungsmitarbeiter bat er um Nachsicht: „So nett wie heute Abend sind wir nicht immer.“
In Vertretung von Oberbürgermeister Jens Beutel übernahm Dezernent Dr. Hans Jörg v. Berlepsch (Grüne) die Grußworte. Er attestierte dem Flüchtlingsrat, stets ein unbequemer, aber auch kritikfähiger Mahner gewesen zu sein. Mit seiner Arbeit habe der Rat ein kreatives Gegengewicht gegen den Zeitgeist gesetzt. „Ich wünsche Ihnen und uns, dass Ihnen der Mut nicht ausgeht und Ihr Engagement nicht nachlässt – solange die Welt so ist, wie sie ist.“
Auch Sozialdezernentin Malu Dreier (SPD) schätzt den Flüchtlingsrat als „kritischen Begleiter, konstruktiven Berater und manchmal anstrengenden Partner“, der eine wichtige und starke Lobbyarbeit leiste. Dreyer kündigte als Nahziel an, rund 250 Flüchtlinge aus Gemeinschaftsunterkünften in Wohnungen umzusiedeln. Die Schwierigkeit: Es müssen genügend Wohnungen gefunden werden (Sozialhilfe-Standard).
Diese Wende in der Unterbringungspolitik führt Dreyer auf eine Veränderung des politischen Klimas und auf die gewachsene Einsicht bei Politikern zurück, auf diese Art sowohl Geld zu sparen als auch die humanitäre Situation der Menschen zu verbessern.
Als Laudator sprach der Mitbegründer von „Pro Asyl“, Herbert Leuninger. Er lobte die Bürgerrechtsbewegungen, die zunehmend an Bedeutung gewännen, wenn der Staat zur Agentur des Kapitals zu verkommen droht“. Den Flüchtlingen zollte er Respekt: Würden die Flüchtlinge an erster Stelle als Botschafter weltweiten Unrechts in den Rang von Diplomaten erhoben, würden wir sie im übertragenen Sinne mit allen Ehren empfangen und ihren Aussagen größere Aufmerksamkeit schenken.“ Seinen Respekt drückte Leuninger aber auch allen aus, die sich solidarisch mit den Flüchtlingen erklärt haben.
Einen hob er besonders hervor: Behrouz Asadi. Der Mitbegründer des Mainzer Flüchtlingsrates scheidet nach zehn Jahren aus seiner Funktion aus. Dessen Sympathie mit den Asylbewerbern und seine tätige Hilfe habe Leuninger immer viel eher als ein Mitleiden denn ein aus Mitleid gesteuertes Handeln erfahren. Asadi will sich auf seine Arbeit als Flüchtlingskoordinator bei den Maltesern konzentrieren.
siehe auch: Fotoserie „Zehn Jahre gegen den Strom“