ZUWANDERUNG UND ZUFLUCHT NACH WESTEUROPA
(Pressekonferenz in Bonn)
Die EG versucht, durch Schengen und Trevi eine Festungsmauer um ihr Territorium zu errichten, mit dem die Zuflucht von Menschen aus der südlichen Hemisphäre aufgehalten werden soll. In dem Konzept der Abschottung sind der Eiserne Vorhang und die Berliner Mauer integraler Bestandteil. Dieser Teil der Festung ist aber inzwischen zusammengebrochen und macht das ganze Abschottungskalkül fragwürdiger denn je.
* OSTEUROPA
Die Zuwanderung und Zuflucht aus dem Osten in einem nicht berechenbaren Ausmaß wird die Folge nicht nur des wirtschaftlichen Desasters, sondern eher des Druckes auf nationale Minderheiten sein, die in den äußerst harten Verteilungskämpfen mit ihren knappen Ressourcen und der ansteigenden Umweltbelastung wachsendem Rassismus und Nationalismus zum Opfer zu fallen drohen. Hunderttausende Aussiedler und Juden aus Rußland sind die deutlichsten Anzeichen einer ungelösten Minderheiten- und Verteilungsproblematik im Osten des eurasischen Subkontinents. Darüber hinaus dürften die ökologischen Katastrophen und das kaum noch gewährleistete Überleben mittelfristig den Abwanderungsdruck weiter eskalieren lassen. Sollte es in der Sowjet-Union nach dem Scheitern von Perestroika zu einer Militär-Diktatur kommen, sind Bürgerkriege zwischen den Sowjet-Republiken und innerhalb von ihnen mit entsprechenden Fluchtbewegungen äußerst wahrscheinlich.
Ähnliches gilt für den im Zerfall begriffenen Nationalitätenstaat Jugoslawien. Hier sind die Roma und die Albaner aus dem Kosovo Vorboten der ungelösten Minderheitenfragen.
* GOLFREGION
Nach dem Golfkrieg stehen in der gesamten Region, einschließlich der Türkei, alle Minderheitenfragen wie die der Palästinenser und der Kurden neu und verschärft auf der weltpolitischen Tagesordnung. Die Türkei muß unter diesem Aspekt als vorrangiges Krisen- und damit Fluchtgebiet eingestuft werden. Hinzu kommen Zwangswanderungen großer Bevölkerungsteile aus den ökologisch und infrastrukturell zerstörten Ansiedlungsgebieten des Irak. Diese und alle räumlich weit entfernten Migrations- und Wanderungsbewegungen erreichen Westeuropa, allerdings nur zu einem geringen Teil.
* AFRIKA
Afrika ist derzeit der Kontinent mit den meisten Flüchtlingen. Die dort durch Überschuldung, wachsende Bevölkerungen und Autonomie- und Freiheitsbestrebungen vorhandene politische Instabilität wird zunehmen und Flucht bis nach Europa anwachsen lassen. Neben den wirtschaftlichen Bedingungen werden Klimakatastrophen, Epidemien und ökologische Verwüstung Fluchtbewegungen, die zahlenmäßig bisher heruntergespielt wurden, von der Quantität und Qualität her aber neue Dimensionen annehmen.
* KRIEGSBEREITSCHAFT
Der Golfkrieg stellt eine entscheidende Schwächung der friedensfördernden Funktion der UNO dar. Kriegerischen Auseinandersetzungen gegenüber hat sie viel moralische Legitimation verloren. Mit dem am Golf geführten totalen Krieg wächst unter den Staaten die Bereitschaft, bei Konflikten Krieg zu führen.
Die breite Zustimmung in den Westlichen Gesellschaften zum Golfkrieg mindert die kollektive Toleranz in künftigen Spannungssituationen. Dies dürfte vor allem Auswirkungen auf die erforderliche Bereitschaft zu einer neuen Verteilungsgerechtigkeit in der Welt haben. Die Bevölkerung der privilegierten Staaten wird, wenn es an die Substanz des eigenen Wohlstands geht, wieder schneller eine militärische Verteidigung fordern. Dies dürfte sich auch auf die Abwehr von größeren Flüchtlingskontingenten auswirken. Aggressive Formen der Fremdenfeindlichkeit und der Ruf nach paramilitärischen Einsätzen an den Grenzen könnten die Folge sein.
„Pro Asyl“ stellt fest:
Zur Zeit wird in Europa nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge als asylberechtigt anerkannt. Grundlagen sind die Genfer Flüchtlingskonvention und nationales Asylrecht.
Von den abgelehnten Asylbewerbern reist etwa ein Viertel freiwillig aus oder wird zwangsweise abgeschoben.
Die übergroße Mehrheit der abgelehnten Asylbewerber verbleibt mit einem Ersatzstatus, der von einem humanitären Aufenthaltsrecht bis zur Aussetzung der Abschiebung reicht. Diese de-facto-Flüchtlinge werden von den Aufnahmegesellschaften abgelehnt. Ihre soziale und rechtliche Lage ist völlig unbefriedigend. Um sie geht es bei der asylpolitischen Auseinandersetzung.
Dabei zeigt sich, daß nur ein Teil der Flüchtlinge wegen direkt gegen sie gerichteter Verfolgung das Land verläßt. Die meisten fliehen als Teil einer Massenbewegung, bei denen sich wegen der Verteilungskämpfe um Ressourcen und Einfluß politische und wirtschaftliche Gründe vermischen.
„Pro Asyl“ kritisiert:
Statt nach 40 Jahren GENFER FLÜCHTLINGSKONVENTION diese zum verbesserten Schutz der Flüchtling einer zeitgemäßen Revision zu unterziehen, wird mit Schengen der erste internationale Vertrag geschlossen, der gegen Flüchtlinge gerichtet ist.
In diesem Vertrag und weiteren geht es in erster Linie darum,
* in koordinierter Form durch Visapflicht, Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze und Bestrafung von Fluggesellschaften, die Flüchtlinge ohne ausreichende Reisedokumente befördern, Asylbewerber an der Einreise nach Europa zu hindern,
* und möglichst viele der abgelehnten Asylbewerber wieder aus dem Bereich der EG auszuweisen.
„Pro Asyl“ fordert:
Bundesrepublik:
* Artikel 16 des Grundgesetzes darf nicht nach unten „harmonisiert“ werden. Vielmehr muß er mit seiner Rechtsweggarantie Maßstab für eine europäische Harmonisierung sein.
Europäische Gemeinschaft
* Eine Asylpolitik auf der Grundlage der Entschließung des Europäischen Parlamentes vom 13.3.1987.
dabei insbesondere
* Die Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention. Danach müssen als Anerkennungsgründe auch gelten:
- Krieg,
- Bürgerkrieg,
- ethnische Konflikte,
- Verletzung der Menschenrechte,
- Folter,
- geschlechtsspezifische Verfolgung.
* Ein humanitäres Bleiberecht ist allen Menschen zu gewähren, deren Existenz und Gesundheit durch ökologische Katastrophen oder durch Entzug der Lebensgrundlagen bedroht sind.