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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1966 ::: ARCHIV KIRCHE 1966 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 18. – 23. Juli 1966

RADIO KURZPREDIGTEN

Zuhörer sein


Die Menschen lassen sich in zwei Gruppen einteilen: in die weitaus stärkere Gruppe derjenigen, die lieber reden als zuhören und in die entsprechend schwächere Gruppe derer, die lieber zuhören als reden. Beide Kategorien ergänzen sich vorzüglich. Nur finden sich normalerweise für die „Redner“ zu wenige „Zuhörer“, eine statistische Misere, für die es nur insofern eine Lösung gibt, als in jedem „Redner“ auch ein „Zuhörer“ steckt und umgekehrt. Auf diese Tatsache und ihre Bedeutung möchte ich sie aufmerksam machen.

Bei den allermeisten unter uns ist das Bedürfnis zu reden, und zwar über sich selbst zu reden, groß. Man braucht oft nur anzutippen, und schon ergießt sich ein Schwall von Gedanken, Nöten, Vorstellungen und Erlebnissen. Wer da imstande ist, ein aktiver Zuhörer zu sein, nicht einer, der bloß ein interessiertes Gesicht hinhält, unterdessen aber völlig anderes denkt, der erweist seinem Gegenüber einen großen Dienst. Manchmal bin ich überrascht, wenn sich mein Gegenüber für das gute Gespräch bedankt, bei dem ich meines Wissens kaum etwas gesagt habe. Mag es bisweilen sogar Geschwätz sein, was man zu hören bekommt, ein Gespräch ist deswegen noch lange nicht unnütz. Geht es doch zumeist nicht darum, Inhalte mitzuteilen, sondern darum, vom Zuhörer anerkannt zu werden, als Mensch ernst genommen zu werden. Und wer verdiente dies nicht? Die Anerkennung, die ich dem „geringsten der Brüder“ zuteilwerden lasse, in diesem Falle dem Schwätzer, ist sie nicht auch eine Anerkennung Christi? „Was Ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt (…).“

Daß es sich beim Zuhören um eine hohe Kunst der Menschlichkeit handelt, schildert eine kurze Erzählung von Franz Werfel: Ein Dichter, der zu einer Gesellschaft geladen ist, sieht, daß der Hausherr im Gegensatz zu seiner Gattin schüchtern und hilflos in einer Ecke steht. Daraufhin sucht er, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Da es sich bei dem Gastgeber um einen Finanzexperten handelt, fragt er ihn nach dem Einfluß der kubanischen Mißernte auf die Wirtschaft. Der Angesprochene gibt mit verschämtem Lächeln und auf sprunghafte Weise einige Erklärungen und fragt nun seinerseits den Dichter: „Sagen Sie, Herr Doktor, da waren wir gestern im Rosenkavalier. Was halten Sie von der Inszenierung? In verlegener Höflichkeit sagt der Dichter etwas Unbestimmtes, um dann wieder auf die kubanische Mißernte zu kommen. So reden die Männer längere Zeit aneinander vorbei, beide bemüht, die Interessen des andern vor die eigenen zu stellen, bis sie plötzlich beide lächeln müssen und sich in einer Aufwallung der Herzen die Hände reichen. „Von diesem unbemerkten Augenblick an“, fährt Werfel fort, „bemächtigte sich der Gesellschaft ein ruhiges, gehobenes Wohlbehagen, welches wohl in der stillen Tugend von zwei Anwesenden seine Ursache hatte.“

Selten genug ergibt sich ein Gespräch wie das gerade geschilderte. Völlig überflüssig sind jedenfalls Unterhaltungen, in denen sich zwei gleichzeitig einen Monolog halten. Notwendig ist, daß der, welcher einen guten Zuhörer sucht, mich dazu bereit findet.


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