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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV Kirche 2015 :::

13. März 2015

Gottesdienst der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen
in der St. Annakirche, Limburg

FOLLOWER OF THE WAY


Liebe Geschwister in der Woche der Brüderlichkeit!

Das Motto „Im Gehen entsteht der Weg“ ist für mich ein ziemlich kryptisches, tiefsinniges, ja rätselhaftes Wort. Am vergangenen Dienstag habe ich das Original auf dem Kalenderblatt in einem Altersheim als Spruch des Tages entdeckt: „Wege entstehen dadurch, dass wir sie gehen.“ Franz Kafka. Nun, wie dem auch sei, ich nehme das Motto zum Anlass, darüber nachzudenken, was denn wohl „Weg“ in der Woche der Brüderlichkeit für uns bedeuten könnte.

Die Benennung der frühen Jesusgmeinde

Dabei bin ich darauf gestoßen, dass in der Apostelgeschichte in 9,2 von „jenen des Weges“ die Rede ist. Saul erbat sich als Verfolger vom Hohenpriester in Jerusalem Briefe an die Synagogen in Damaskus, um die dortigen Jüngerinnen und Jünger des Jesus von Nazareth festnehmen zu können. Hier werden sie als „jene des Weges“ bezeichnet. Das ist ein Ausdruck, über den man normalerweise hinwegliest, ohne darüber nachzudenken, was dies zu bedeuten hätte. Vielleicht kann uns da die englische Ausgabe der Neuen Jerusalemer Bibel, die katholische Referenzbibel, hilfreich sein. Sie übersetzt diese Stelle mit „followers of the way“. „Befolger des Weges“. Diese Bezeichnug der frühen Jesusgemeinde kommt noch an vier weiteren Stellen der Apostelgeschichte vor. So ist vom römischen Statthalter Felix die Rede, vor dem Saulus angeklagt worden war, er wisse über diese „followers of the way“ ziemlich genau Bescheid. Zuvor hatte Saul bei seiner Verteidigung von sich gesagt: „Ich diene dem Gott meiner Väter nach dem „Weg“, den sie (seine Ankläger) eine Häresie nennen“. „Dabei“ so fährt Saul fort, „glaube ich alles, was im Gesetze und in den Propheten geschrieben steht.“ Bevor die Nachfolger Jesu in Antiochia als „Christen“ bezeichnet wurden, waren sie „followers of the way“, followers in Englisch Lexika u.a. als „Jünger“ übersetzt. Ich habe keine Erklärung dafür gefunden, ob dies eine Selbst- oder eine Fremdbezeichnung ist. Ich neige zu der Ansicht, dass sich die Gefolgschaft Jesu selbst so bezeichnet hat. Damit wollte sie wohl zum Ausdruck bringen, dass sie sich ganz in der Tradition des Volkes Israel wähnte.

Trotz seiner Öffnung auf einen gesetzesfreien Zugang zum Heil hin schreibt Paulos, wie er sich als römischer Bürger und Hellenist, also als „Herr Klein“, in seinem wichtigsten Brief, dem Römerbrief, über seine Brüder und Schwestern: „Sie sind doch Israel, das von Gott erwählte Volk. Ihnen gehört das Vorrecht, Kinder Gottes zu sein. Ihnen offenbarte er seine Herrlichkeit. Mit ihnen hat er wiederholt seinen Bund geschlossen. Ihnen hat er sein Gesetz gegeben und die Ordnungen für den Opferdienst zu seiner Verehrung. Ihnen hat er das künftige Heil versprochen. Sie sind die Nachkommen der von Gott erwählten Väter; und zu ihnen zählt nach seiner menschlichen Herkunft auch der Christus (griechisch für der Gesalbte, der Messias),“ (9,4f.).

Wegweisung für das Leben mit Gott

In diesem Ausdruck „followers of the way“ wird also die tiefe Verbundenheit der Anhängerschaft Jesu mit der Überlieferung Israels deutlich. Im Eröffnungsartikel des diesjährigen Themenheftes der christlich-jüdischen Begegnung wird auf die „Halacha“ verwiesen, die mündliche und schriftliche Auslegung der Thora. Danach heißt „Halacha“ übersetzt „Weg“, also Wegweisung für die Frommen Israels.

Was unter diesem Weg zu verstehen ist, wird besonders deutlich in den Versen des Psalmes 119, also eines Liedes, das auch zum Gebetsschatz der Christenheit gehört.

PSALM 119, 27-35

Lass mich den Weg begreifen, den deine Befehle mir zeigen, dann will ich nachsinnen über deine Wunder.
Meine Seele zerfließt vor Kummer. Richte mich auf durch dein Wort!
Halte mich fern vom Weg der Lüge; begnade mich mit deiner Weisung!
Ich wählte den Weg der Wahrheit; nach deinen Urteilen hab ich Verlangen. Ich halte an deinen Vorschriften fest. Herr, lass mich niemals scheitern!
Ich eile voran auf dem Weg deiner Gebote, denn mein Herz machst du weit. Herr, weise mir den Weg deiner Gesetze! Ich will ihn einhalten bis ans Ende. Gib mir Einsicht, damit ich deiner Weisung folge und mich an sie halte aus ganzem Herzen.
Führe mich auf dem Weg deiner Gebote! Ich habe an ihm Gefallen.

Followers of the way. Für das Volk Israel war dies mit einer ständigen Erinnerung an den Exodus verbunden, an die Befreiung aus Ägypten, an den 40-jährigen Zug durch die Wüste und den Einzug in das Gelobte Land.

Betrachten wir den Exodus nicht nur als eine Erinnerung an Vergangenes, sondern beziehen wir ihn auf unsere Gegenwart. Dann wäre der Exodus eine Metapher, ein Gleichnis, für den Weg, der Juden und Christen von Gott durch die Geschichte gewiesen wird. Nehmen wir dabei unsere Welt als ein Ägypten wahr, als Land, in dem es Mächte gibt in unserem Inneren, aber auch milieubedingt, die uns persönlich zu versklaven drohen. Ägypten, das wären auch die finsteren Gewalten, die für die Unterdrückung und Unfreiheit großer Teile der Menschheit verantwortlich sind. Es geht um eine Befreiung von falschen Zwängen und Bindungen, es geht aber auch um die Befreiung aus Diktatur und Ausbeutung. Die notwendige Befreiung letztlich als Tat Gottes zu verstehen, ist dabei jüdische und christliche Spiritualität.

Dieser Zug durch die Wüste, der ins Gelobte Land führen soll, das sind in meiner Phantasie eigentlich zwei Züge. Der Zug des Volkes Israel und der Zug der Christenheit. Es sollte ursprünglich ein Zug sein, aber es wurden zwei Züge, die nebeneinander herzogen, ohne besondere Kontakte miteinander zu pflegen. Das hat sich nachhaltig geändert. Die Wüstentrecks kommen sich immer näher, ohne ineinander überzugehen. Dafür sind die Unterschiede zu groß. Doch die Einsicht in die Gemeinsamkeiten wächst.

Statt Gemeinschaft Feindschaft

Aber, waren wir uns vor 100 Jahren nicht sogar schon viel näher?

Am Sonntag wurde zur Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit in der Limburger Synagoge der Bericht in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 10. September 1903 über die Einweihung der Limburger Synagoge vorgelesen. Diese begann mit einer Prozession bei der – ähnlich wie in einer Fronleichnamsprozession – die Thoraträger unter einem Baldachin schritten. Im Zug folgten der Bezirkskommandeur, der Erste Staatsanwalt, der Pfarrer, der Bürgermeister und sämtliche Magistratsmitglieder, die Ehrenbürger, der Stadtverordnetenvorsteher und sämtliche Stadtverordneten. Zusammen mit der Gemeinde und den übrigen Festgästen nahmen sie dann an der Einweihungsfeier in der Synagoge teil. Abends fand im ‚Preußischen Hof‘ ein Militärkonzert statt, bei dem der Bezirksrabbiner den Kaisertoast ausbrachte und die Anwesenden die Nationalhymne sangen. Ein Miteinander am Anfang des 20. Jahrhunderts!
Ich bewerte dieses Ereignis als eine exemplarische Form von Integration bei vollem Respekt vor der Identität einer kulturell und religiös besonders geprägten Gemeinschaft. Dabei drängt sich die Frage auf, wie es innerhalb einer Generation zum Nationalsozialismus mit seinem kulturverachtenden, synagogenzerstörenden, verbrecherischen, wahnhaften und schließlich völkermordenden Verlust eines multikulturellen Konsenses kommen konnte. Ein unvorstellbarer Kulturbruch.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erinnerte bei der Eröffnung der „Woche der Brüderlichkeit“ in Ludwigshafen daran, dass der lange nicht hinterfragte und immer noch wirksame theologische Antijudaismus der Vergangenheit mitverantwortlich dafür gewesen sei, dass die rassistische Ideologie des Antisemitismus in der NS-Zeit ihren Nährboden gefunden und unendliches Leid angerichtet habe.

Für die katholische Kirche leitet das II. Vatikanische Konzil eine neue Sicht des Verhältnisses zwischen Juden und katholischen Christen ein. Für die Evangelische Kirche erwähne ich aus entsprechenden Stellungnahmen nur die Erklärung der Württembergischen Evangelischen Landessynode von 2000. Hier heißt es zur Gemeinsamkeit von Christen und Juden: „Wir wollen als Kirche lernen, um unserer Identität willen auf das Judentum zu hören. Bei allen Aussagen zu unserem Selbstverständnis und zum Verhältnis von Christen und Juden wollen wir den jüdischen Weg und das jüdische Schicksal mit bedenken. Wir leben davon, dass Israel unser Gegenüber ist.“

Das gemeinsame Vaterunser

Die Annäherung von Juden und Christen ist kein einseitiger Vorgang. Für mich wurde dies beispielhaft deutlich bei einer theologischen Studienreise nach Israel 1981. Dort erlebten wir den Schriftsteller und Religionsphilosophen Schalom Ben-Chorin bei der Lesung aus seinem Buch mit dem Titel: „BRUDER JESUS“. Der Untertitel: „Der Nazarener in jüdischer Sicht.“ Der Titel ist die Übernahme des berühmten Wortes von Martin Buber, der von sich sagt, er habe Jesus von Jugend an als seinen großen Bruder empfunden. Schalom Ben-Chorin schreibt „aus dem Gefühl einer tiefen Verwandtschaft mit der Gestalt Jesu und der jüdischen Welt, in der er lebte, lehrte und litt“. So ist der „Vater im Himmel“ im Vaterunser für ihn „nicht etwa eine christliche Vorstellung, sondern ein genuin jüdische“. Er weist nach, dass alle Bitten dieses Gebetes ihre Parallelen in jüdischen Gebeten hätten. Für ihn ist dieses Gebet in seiner Schlichtheit und Geschlossenheit ein Höhepunkt. Wörtlich schreibt er: „Überall, wo es gebetet wird, habe ich es stets mitgebetet“ und er fährt fort: „ohne dabei meinen jüdischen Glauben auch nur um Haaresbreite zu verlassen oder zu verletzen.“ (S. 113)

Juden in Deutschland bedroht

Bei allen Fortschritten als gemeinsame followers of the way, nicht zuletzt durch die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, stehen wir in der Bundesrepublik vor einer neuen Herausforderung. Dazu hat der Ratsvorsitzende der EKD in Ludwigshafen ein weiteres deutliches Wort gesagt: „Niemand darf sich an die tägliche Realität der Bedrohung von Juden in diesem Land gewöhnen“. Er findet es bedrückend und beschämend, dass der Vorsitzende des Zentralrats der Juden überlegen müsse, ob Juden an bestimmten Orten besser keine Kippa tragen.

Foto: Reto Klar

Mitten in Berlin ist ein Rabbiner zusammengeschlagen worden – weil er Jude ist. Die Jüdische Gemeinde fürchtet um ihre Sicherheit und rät, nicht mehr mit der Kippa auf die Straße zu gehen. Deshalb setzen Berliner jetzt ein Zeichen der Solidarität: für Respekt und Toleranz, gegen Gewalt.

Ich selbst betrachte den diesbezüglichen Aufruf als eine Zäsur in dem Bestreben, den Juden in Deutschland ein normales und sicheres Leben zu garantieren. In diesem Zusammenhang machte Arno Widmann, Feuilletonchef der Frankfurter Rundschau, in einem Leitartikel einen ungewöhnlichen Vorschlag. Es sollten sich viele in den betroffenen städtischen Revieren eine Kippa aufsetzen und gemeinsam vielleicht an mehreren Sonntagen lachend durch die dortigen Straßen ziehen.

Ich habe diesen Vorschlag zum Anlass genommen, meine Kippa, ein Andenken an die erwähnte Studienreise, mitzubringen. Zu dieser Studienreise hatte mir der Deutsche Caritasverband in Freiburg für sein Kinderkrankenhaus in Bethlehem ein kleineres Paket mit Medikamenten anvertraut. Sie standen in Israel nicht zur Verfügung. Nur mit einem Empfehlungsschreiben des Caritas-Präsidenten konnte ich die israelischen Sicherheitskontrollen passieren. Dieses Krankenhaus war übrigens das einzige für 500.000 palästinensische Kinder. Ich erwähne dies, um das Konfliktbewusstein anzudeuten, mit dem ich Israel seinerzeit verlassen habe.
Wenn ich jetzt die Kippa im Geiste der Halacha aufsetze, erkläre ich damit: Ich bin Jude!


RESSOURCEN
Woche der Brüderlichkeit – Followers of the Way


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