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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV ASYL 1991 ::: ARCHIV PRESSE 1991 :::

2./3. November 1991
Wiesbadener Kurier
REGION

Wenn mit der Dunkelheit auch die Angst kommt


Eine Nacht bei Asylbewerbern in Hofheim: Familien fürchten sich vor Überfällen auf Wohnheim/ Deutsche haben einen Wachdienst eingerichtet

HOFHEIM – Freitagabend in Deutschland: Familien sitzen beim Essen, der Fernseher läuft. Auch die Batidjas und ihre drei Kinder sind zu Hause. Doch während sich andere auf den Spätfilm freuen, beschleicht sie beim Gedanken an die lange Nacht ein mulmiges Gefühl. Die Batidjas sind als Flüchtlinge anerkannt und leben in einem Heim für Asylbewerber. Sie und fast alle anderen Mitbewohner des Hauses in Hofheim haben Angst vor gewalttätigen Übergriffen Rechtsradikaler, denn Freitagabend in Deutschland – das heißt auch: in die Kneipe gehen, sich mit Bier zuschütten und dann sein Mütchen kühlen an den Schwachen, den Ausländern, den Asylbewerbern.

Wie elektrisiert horchen die Batidjas und ihre Nachbarn auf, wenn in Nachrichtensendungen Worte wie Asyl, Gewalt gegen Ausländer und Skinheads fallen. Auch ihr Heim war schon Zielscheibe von Maskierten, die ihrem Haß freien Lauf lassen wollten. Obgleich dabei niemand körperlich zu Schaden kam, sind die psychologischen Blessuren gravierend. „Ich habe seitdem Angst“, sagte Kanta. „Ich gehe im Dunkeln nicht mehr allein auf die Straße.“ Sie versucht ein Lächeln ungeachtet der bedrückenden Gefühle, die in ihr aufsteigen. Ihr Mann bemüht sich seit einiger Zeit, möglichst nur Frühdienst zu machen, damit er bei der Familie ist, wenn die Nacht und mit ihr möglicherweise die Gefahr kommt.

Angst – dieses Wort zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gespräche mit den Flüchtlingen an jenem Freitag abend. Was sich dabei verstärkend auswirkt: Sie alle glaubten sich in Deutschland endlich in Sicherheit nach Krieg oder Verfolgung in ihrer Heimat und finden sich nun unvermittelt wieder in einer für sie bedrohlichen Situation. Lidia, die mit ihrer Familie aus Chile kam, schaut auf ihre älteste Tochter, die elfjährige Eliana. „In Chile hatte Eliana Angst vor der Polizei, vor Uniformen. Jetzt hat sie wieder Angst, doch vor etwas anderem.“ Die Mutter bricht den Satz ab, fast resignierend. Kanta, die Afghanin, erzählt ähnliches: „In unserem Land war Krieg, und wir waren so froh, als wir nach Deutschland kamen. Jetzt fürchten wir uns wieder.“

Die gewalttätigen Übergriffe auf Ausländer haben besonders die Mütter alarmiert. Aus dem Fernsehen haben sie erfahren, daß bei einem Brandanschlag auf ein Heim in Hünxe zwei libanesische Kinder schwer verletzt wurden. Jetzt lassen manche ihre Kinder nicht mehr ohne Aufsicht aus dem Haus, bringen sie zur Schule oder holen sie vom Kindergarten ab. Wenn es an der Tür klingelt, schauen sie erst mißtrauisch durch den Spion – bis vor ein paar Wochen wurde dem Besucher noch arglos die Tür geöffnet.

Hanifa aus Kabul, die jetzt mit ihren drei Kindern in dem Asylbewerber-Heim lebt, macht sich Sorgen, weil sie es als Alleinerziehende nicht schafft, bei unterschiedlichem Schul- und Kindergartenschluß alle drei abzuholen. „Wenn ein Kind nur eine Minute später als üblich nach Hause kommt, stehe ich schon am Fenster und schaue“, sagt die dunkelhaarige, lebhafte 28jährige. Sie sorgt sich auch, weil ihr Zimmer im Erdgeschoß liegt, kaum geschützt durch eine nur hüfthohe Brüstung.

Sicherer fühlt sie sich, seitdem dort engagierte Bürger aus Hofheim und Umgebung Wache schieben. Um zehn Uhr an jenem Freitagabend brennt noch in fast allen der 18 Zimmer des Wohnheims Licht, doch zwei Frauen aus der Stadt sind bereits auf ihrem Kontrollgang rund um das Haus. Sie haben sich in den Wachplan eintragen lassen, weil sie etwas gegen die grassierende Ausländerfeindlichkeit tun und nicht einfach nur zuschauen und schweigen wollen. „Das hatten wir schon einmal in Deutschland“, sagt eine der beiden resolut, „das wollen wir nicht mehr haben.“

Vier Jugendliche aus dem Heim haben die erste Schicht bis Mitternacht mitübernommen, bieten den Deutschen heißen Tee an. Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt hat das Wetteramt für diese Nacht vorausgesagt, und schnell werden Nasen und Füße beim Warten kalt. Gegen 22.30 Uhr dann gespannte Aufmerksamkeit: Junge Männer fahren mit ihrem Auto an dem Wohnheim vorbei und grölen „Deutschland den Deutschen“.

Als um Mitternacht die Ablösung für die beiden Frauen kommt, eine kurze Besprechung über den Vorfall. Erfahrungen werden ausgetauscht und mögliche Reaktionen für den Fall diskutiert, daß tatsächlich Schlägertrupps kommen. Eine Frau zeigt auf ihre Trillerpfeife: Sie wird im Fall von Gefahr einen Höllenlärm damit machen.

Glücklicherweise bleibt es ruhig in dieser Nacht, die schon die bitterkalten Winterfröste ahnen läßt. Kaffee und Glühwein aus der Thermoskanne halten warm und wach. Gegen 1.30 Uhr ist nur noch in einem Fenster des Hauses Licht zu sehen. Auch der Autoverkehr an der nahen Kreuzung hat merklich nachgelassen. Mit mißtrauischem Blick verfolgen die Wachposten jene Wagen, die mit quietschenden Reifen oder jaulendem Motor heranrasen. Führen die Insassen etwas im Schilde oder sind es nur junge Leute, die Freitag nachts von der Disco in Halbstarkenmanier nach Hause rasen? Man ist auf der Hut.

Schließlich schaut auch die Polizei noch einmal bei den Wachen vorbei. Die Beamten suchen nach Zeugen, denn ihnen ist bei einer Verkehrskontrolle in der Nähe des Wohnheims eine Sicherungsleuchte gestohlen worden. Streifenwagen in langsamer Fahrt waren während des Abends öfters auf der Straße vor dem Wohnheim zu sehen. Auch die Polizisten tragen so dazu bei, daß die Flüchtlinge ein bißchen beruhigter schlafen können. Wie hatte Lidia, die Chilenin, vor dem Zubettgehen gesagt? „Dieses Leben mit der Angst ist nicht gut.“ CLAUDIA NAUTH

Die zunehmende Ausländerfeindlichkeit hat Asyl zum Thema Nr. 1 Im Herbst 1991 gemacht. Der WIESBADENER KURIER berichtet deshalb in einer Serie über Asylbewerber, Ausländer und die Haltung der Deutschen Ihnen gegenüber.


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