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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1971 ::: ARCHIV KIRCHE 1971 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 24. – 29. Mai 1971

RADIO KURZPREDIGTEN

Weltwunder gestern, heute, morgen


Seit dem Altertum kennen wir die Aufzählung der sieben Weltwunder. Es handelt sich dabei um Bauwerke, die wegen ihrer einmaligen Größe und Schönheit Staunen erregten. Zu den grandiosen Werken aus Menschenhand zählten die Pyramiden, die hängenden Gärten der Semiramis von Babylon, der Tempel der Göttin Artemis von Ephesus und der Koloss von Rhodos; eine riesige Götterstatue, die breitbeinig über der Hafeneinfahrt stand. Nehmen wir noch das Mausoleum in Halikarnassos und die Figur des Göttervaters Zeus von Olympia hinzu, so erkennen wir folgendes: Der Mensch setzt sich und seinen Göttern ein Denkmal. Hier erreicht er seine größten Leistungen.

Als diese Bauwerke in Schutt und Asche fielen, wurden neue Bauten in die Liste der Weltwunder aufgenommen. Noch mehr änderte sich die Aufzählung und Rangfolge in dem Augenblick, wo Eroberer und Weltreisende den Gesichtskreis Europas erweiterten.

Auch beute werden immer wieder Versuche unternommen, die menschlichen Höchstleistungen unserer Zeit aufzuführen, hat ein Unternehmen kürzlich einen diesbezüglichen Wettbewerb unter Journalisten ausgeschrieben. Ihrem Gespür für das Besondere traut man es zu, unsere sieben Weltwunder zu benennen. Die Entscheidung der Journalisten fällt auf den Computer, das Delta-Eindeichungsprojekt von Holland, die Atomspaltung, den künstlichen Träger von Erbanlagen, die Organverpflanzung wie etwa die Herztransplantation, die Pille und nicht zuletzt die Raumfahrt.

Die früheren Aufzählungen der Weltwunder unterscheiden sich sehr deutlich von der gerade vorgetragenen. Bislang wurden Bauwerke bewundert. Neben ihren Ausmaßen spielte dabei die künstlerische Form eine maßgebliche Rolle. Heute zählen die Wunderwerke der Technik und Wissenschaft. Bedeutsamer erscheint noch ein anderer Unterschied. Wohl waren die Weltwunder der Antike Menschenwerk. Sie zeigten, zu welch einmaliger Leistung menschliche Schöpferkraft fähig ist. Diese stand aber vornehmlich im Dienste der Götter. Tempel, Statuen und Grabmäler waren ein Ausdruck der Frömmigkeit. Sie waren eine Huldigung an die göttliche Welt, von der die eigentlichen Wunder erwartet wurden.

Der ausdrückliche Bezug auf Gott fehlt bei den Weltwundern, die für unsere Tage charakteristisch sind. Eindeutig geht es um den Menschen und die Erweiterung seiner Fähigkeiten und seines Einflusses. Der Computer steigert seine Denkfähigkeit; das Eindeichungsprojekt erweitert seinen Lebensraum; die Atomspaltung verstärkt seine Energie; die Organverpflanzung verlängert sein Leben; die Raumfahrt schließlich verbindet ihn mit dem Universum. Es ist nicht abzusehen, welche Wunder der Mensch in Zukunft noch vollbringen wird.

Die Erwartungen sind hoch. Keines des bisherigen Wunder kann den Menschen völlig faszinieren. Überdies verlieren unsere technischen Leistungen sehr bald ihren besonderen Glanz. Sie werden überaus schnell alltäglich und selbstverständlich. Hinter allen bisherigen Wundern sucht der Mensch eine andere Kategorie von Wundern, die noch größer und überraschender sind, Es wären die Wunder, die die Welt des Menschen grundlegend veränderten.

Es wäre das Wunder, daß der Mensch seine bewundernswerten Leistungen einsetzte, um das Wunder einer menschlichen Welt zu schaffen. Wunder dieser Art könnten die Überwindung des Hungers und die Abschaffung des Krieges sein. Vielleicht dürfen wir mit solchen Weitwundern aber nur rechnen, wenn es zu einer neuen Frömmigkeit kommt. Sie schlösse den Glauben an wirkliche Wunder ein.


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