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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1969 ::: ARCHIV KIRCHE 1969 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 13. – 18. Oktober 1969

RADIO KURZPREDIGTEN

Weg-Schenk-Fest


Es kommt bisweilen vor, daß Menschen das Letzte wegschenken. Allerdings tun sie es aus unterschiedlichen Motiven. Die Völkerkunde weiß um eine geradezu zügellose Freigebigkeit, die ihren Höhepunkt in Festen des Wegschenkens findet.

In einem dieser Fälle übereignet ein Stammeshäuptling einem anderen Stamm den kostbarsten Besitz. Es bleibt aber nicht bei dem einseitigen Handeln; denn durch das großzügige Verhalten der einen Seite fühlt sich die Gegenseite verpflichtet, ähnlich freigebig zu verfahren. Indes ist noch nichts damit gewonnen, wenigstens nicht in den Augen der Beteiligten, wenn Gleiches mit Gleichem zurückerstattet wird. Vielmehr ist jede Gruppe bemüht, die andere mit ihren Geschenken zu übertrumpfen. Es kommt nämlich nicht auf das Schenken an sich an, sondern auf die Überlegenheit, die sich darin bekunden will. So setzt jede Gruppe ihre Ehre darein, mehr zu opfern als die anderen.

Um sinnfällig werden zu lassen, daß hier nicht nur einigermaßen gleichwertige Güter ihren Besitzer wechseln, geht man bei diesen Bräuchen gelegentlich dazu über, Eigentum zu vernichten. so verbrennt der Häuptling etwa kostbare Decken oder er zerstört ein für den Stamm lebenswichtiges Kanu. Damit trumpft er dem Kontrahenten gegenüber auf, wieviel der eigene Stamm für seine Ehre zu opfern bereit ist. Die so Herausgeforderten können nicht umhin, als mit einer ähnlichen, womöglich sogar größeren Vernichtungsaktion zu antworten.

Mit der Bereitschaft, um der eigenen Ehre willen tief in die Tasche zu greifen, rechnen auch Pfarrer, wenn sie bei einer Sammlung für eine neue Orgel oder etwas ähnliches eine offene Liste herumgehen lassen. Der erst Blick eines solchermaßen Angegangenen gilt der Liste und dem, was der Nachbar gezeichnet hat. „Was, der ist bereit DM 500,- zu geben, dann spende ich DM 1.000,-; das bin ich meiner Position schuldig“. Wer wollte noch Einwände erheben, wenn sich bei diesem Verfahren das Spendenaufkommen vielleicht verdoppelt?

Es gibt indes auch eine andere Art wegzuschenken, die christlichem Geist gemäßer zu sein scheint. Wir kennen sie aus dem Umfeld eines Franz von Assisi. Einer seiner Minderbrüder konnte es nicht mitansehen, wenn ein anderer Mensch dürftiger gekleidet war als er selbst. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit verschenkte er seine Kutte oder wenigstens die Kapuze, bis ihm dies unter heiligem Gehorsam verboten wurde. Der Bruder wußte, das Gebot geschickt zu umgehen, indem er dem nächstbesten Armen den Rat gab, ihm einfach von hinten die Kutte zu entreißen. Das wolle er ohne Gegenwehr geschehen lassen. Seine Vorgesetzten trieb er schier zur Verzweiflung, zumal er nicht nur seine Kleider weggab, sondern auch Bücher, Meßgewänder und kostbare Mäntel, wie sie Madonnenbildern umgehängt zu werden pflegten. Seine Mitbrüder, die zugestehen mußten, daß er dies um der Liebe Gottes willen tat, hielten dennoch die zulässige Grenze für überschritten. Sie ließen fortan die Sachen, die das Kloster gebrauchte, nicht mehr offen herumliegen.

Auch wenn wir geneigt sind, diese Reaktion für durchaus vernünftig zu halten, fordert auch uns das Verhalten des Bruders heraus. Es wäre für die Kirche sicher von Schaden, wenn gelegentlich das Wegschenken über sie und ihre Mitglieder käme. Aber wer will schließlich so unvernünftig handeln wie dieser franziskanische Bruder, oder auch wie die Witwe, die Christus mit höchstem Lob bedenkt, weil sie mit ihren beiden Schärflein ihren ganzen Lebensunterhalt in den Opferkasten des Tempels zu Jerusalem geworfen hatte?


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