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TAG DES FLÜCHTLINGS 1999

Von Deutschland
in den türkischen Folterkeller

Claudia Gayer

Materialheft zum Tag des Flüchtlings am 1. Oktober 1999

Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
mit freundlicher Unterstützung von: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e. V., Deutscher Caritasverband e. V., Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Ev. Kirche in Deutschland, durch den ABP, Land Hessen

Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger/ Interkulturellen Woche (26. September bis 2. Oktober 1999) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.

INHALT

Jedes Jahr fliehen Tausende von Menschen aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland. Seit den 70er Jahren gehören – vorwiegend kurdische – Türkei- Flüchtlinge immer zu den größten Gruppen von Asylsuchenden. Nur ein Teil der kurdischen Flüchtlinge wird als politisch verfolgt anerkannt oder erhält Abschiebungsschutz nach den §§ 51 und 53 Ausländergesetz. 1998 waren es rund 15%. Eine verläßliche Statistik unter Einschluß der anerkennenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte gibt es nicht.

Der Großteil der kurdischen Flüchtlinge aus der Türkei wird jedoch abgelehnt, zur Ausreise aufgefordert und abgeschoben – häufig mit der fragwürdigen Argumentation, sie könnten in der Westtürkei gefahrlos leben. Bei Flüchtlingsinitiativen und Menschenrechtsorganisationen in Deutschland und der Türkei häufen sich jedoch Berichte über Folter und politische Verfolgung von aus Deutschland ausgewiesenen Flüchtlingen.

Anfang 1998 begann der Niedersächsische Flüchtlingsrat, kursierende Berichte über Inhaftierungen und Mißhandlungen von aus Deutschland ausgewiesenen bzw. abgeschobenen Flüchtlingen zu sammeln und zu prüfen. Recherchiert wurden Fluchtwege und Fluchthintergründe, der Verlauf von Asylverfahren. Beweise wurden gesichert, Gerichtsunterlagen aus der Türkei beschafft und übersetzt. Ein Teil

der Fälle wurde in enger Kooperation mit dem türkischen Menschenrechtsverein IHD unter Einschaltung von Vertrauensanwälten recherchiert. So gelang es, Einblick in Gerichtsakten in den Fällen zu erhalten, in denen es überhaupt zu Gerichtsverfahren in der Türkei kam. In einer Reihe von Fällen gelang es, Verfolgung und Mißhandlung lückenlos zu belegen.

Die recherchierten Fälle lassen nicht nur die Lage der Menschenrechte in der Türkei, sondern auch die deutsche Asylrechtsprechung in einem trüben Licht erscheinen. In den meisten Fällen hätten Folter, Inhaftierung, Gefängnisstrafen verhindert werden können, wären die Asylgesuche der Betroffenen nur gewissenhaft überprüft und ernst genommen worden.

So wurden beispielsweise im Fall Abdulmenaf Düzenli echte Unterlagen vom zuständigen Verwaltungsgericht ohne Prüfung als gefälscht eingestuft. Ferner wurde fälschlicherweise davon ausgegangen, Desertion werde in der Türkei »nur« strafrechtlich und nicht politisch verfolgt. Gegen Düzenli wurden zwei Verfahren angestrengt – wegen Kriegsdienstverweigerung vor einem Militärgericht und wegen separatistischer Propaganda vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir. Die Begründung für seine Kriegsdienstverweigerung widersprach nämlich der Doktrin vom türkischen Einheitsstaat. Im Fall Mehmet Özcelik übernahm das

Bundesamt zynischerweise die Argumentation des türkischen Staates im Kampf gegen die Kurden. Die drohende Gefängnisstrafe wegen angeblicher Unterstützung der PKK wertete das Bundesamt nicht als politische Verfolgung, sondern bezeichnete sie als »Ahndung kriminellen Unrechts«. Diese offensichtliche Übereinstimmung der Interessen des Herkunfts- sowie des Zufluchtsstaates unter vorsätzlicher Ausblendung der Verfolgungs- und Ermittlungsmethoden der türkischen Sicherheitskräfte ist erschreckend. Özcelik wurde schließlich Opfer der Abschaffung des Rechtsweges durch die Hintertür. Als Asylbewerber mußte er seinen Lebensunterhalt mit Gutscheinen bestreiten. Nach der Ablehnung seines Asylantrages konnte er seinen Anwalt, der einen Vorschuß verlangte, nicht mehr bezahlen. Der Anwalt ließ die Klagefrist verstreichen, und Özcelik wurde in die Türkei abgeschoben.

In der Mehrzahl der recherchierten Fälle war das tatsächliche oder unterstellte politische Engagement der Betroffenen in Deutschland Anlaß für Folter und politische Verfolgung nach der Rückkehr. Die Einschätzung der bundesdeutschen Asylinstanzen, exilpolitisches Engagement werde in der Türkei weder politisch noch strafrechtlich verfolgt und insbesondere »Mitläufer« hätten keinerlei Probleme, entspricht offenkundig nicht den Tatsachen. Jegliches Engagement für die Kurden ist nach türkischem Recht strafbar, unabhängig davon, wo es stattfindet. Das Ausmaß des Engagements ist dabei nicht maßgeblich. Die Teilnahme an einer Demonstration für Frieden und Freiheit in Kurdistan wird ebenso verfolgt wie exilpolitische Tätigkeiten, bei denen sich jemand exponiert.

Denunziationen werden in der Türkei offensichtlich sehr ernst genommen und die Beschuldigten zunächst vorverdächtigt, egal, ob es sich um inhaltlich völlig haltlose anonyme Verleumdungen, um Aussagen im Rahmen der Kronzeugenregelung oder Denunziationen von Menschen handelt, die gefoltert wurden und jemanden beschuldigt haben. Oftmals genügt auch der leise Verdacht einer antitürkischen Einstellung, um eine Festnahme zu veranlassen, wie im Fall von Hasan Kutgan, der zunächst nur festgenommen wurde, weil er im Osten des Landes, in Pazarcik, geboren ist. In einigen Fällen erfolgte eine Festnahme erst Tage oder Wochen nach der Einreise in die Türkei, wie beispielsweise bei Abdurrahman Kilic und Hüsni Almaz. Recherchen in solchen Fällen gestalten sich besonders schwierig, da die Betroffenen meist aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit verschwunden sind.

Der Fall Ibrahim Toprak bestätigt alle Befürchtungen, die auch von PRO ASYL hinsichtlich der drohenden Gefahr von Kettenabschiebungen geäußert wurden: Der Kurde wurde – in Anwendung der

Drittstaatenregelung – nach Österreich zurückgeschoben und von dort ohne Prüfung seines Asylbegehrens in die Türkei weiterbefördert. Kein Staat erklärte sich zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens. Toprak wurde wegen der Teilnahme an einer gewalttätigen Demonstration, die laut Untersuchungsbericht vom türkischen Geheimdienst und der türkischen Antiterrorpolizei geschürt und mit angezettelt worden ist, schließlich zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Aus den Recherchen kristallisieren sich eklatante Widersprüche zwischen den Argumentationslinien der bundesdeutschen Asylrechtsprechung und der Realität in der Türkei heraus. Dem Bundesamt und den Gerichten genügen die vorgelegten Fälle nicht, um hieraus eine allgemeine Rückkehrgefährdung abzuleiten. Die Zahl der Referenzfälle sei zu gering, so der offizielle Tenor. Das Auswärtige Amt stuft zunächst nur wenige der Fälle als bewiesen ein.

Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß die vorliegenden Fälle nur die Spitze des Eisberges darstellen und mit einer Dunkelziffer von Fällen gerechnet werden muß, in denen aus Deutschland Abgeschobene politisch verfolgt wurden. Oftmals entschließen sich die Betroffenen aus Angst, ihre Lage noch weiter zu verschlimmern, sich nicht an unabhängige Stellen wie den Menschenrechtsverein IHD zu wenden. Darüber hinaus sind fundierte Recherchen, die bundesdeutschen Beweisansprüchen genügen, enorm zeitaufwendig und teuer. Auch die beiden im folgenden ausführlicher geschilderten Fälle konnten nur recherchiert werden, weil der Förderverein PRO ASYL e. V. Mittel zur Verfügung stellte.

Der Kurde Abdulmenaf Düzenli desertierte kurz vor Ablauf seines Militärdienstes im März 1992 aus der türkischen Armee. Drei Jahre lang versteckte er sich unter falscher Identität mit seiner Frau in Istanbul, bis er im Juli 1995 nach Deutschland flüchtete und einen Asylantrag stellte. Dieser wurde umgehend abgelehnt mit der Begründung, Desertion begründe keinen Asylanspruch. In Düzenlis Fall sei sie zudem nicht glaubhaft. Sämtliche eingelegten Rechtsmittel und Rechtsschutzanträge blieben erfolglos.

Anfang August 1997 verweigerte Düzenli öffentlich den Militärdienst. Er faxte von Deutschland aus ein entsprechendes Schreiben unter Angabe seiner vollständigen Personalien unter anderem an das türkische Innen-, Außen- und Verteidungsministerium, den Generalstab und seine Wehrdienststelle in Midyat. Darin bezeichnete er die Türkei als einen faschistischen Staat, dem er als Kurde – unter Berufung auf die Menschenrechte – nicht dienen wolle.

Dieses Schreiben rief die Staatsanwaltschaft in Midyat auf den Plan. Nach Prüfung des Vorfalls kam man dort zu dem Schluß, daß aufgrund des politischen Vergehens, nämlich der »Beleidigung der ideellen Persönlichkeit des Staates mit dem Ziel des Terrorismus« der Vorfall dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir zu übergeben sei. Am 10.12.97 wurde dort auf der rechtlichen Grundlage des Art. 8 Antiterrorgesetz Nr. 3713 Anklage wegen separatistischer Propaganda gegen Düzenli erhoben.

Das Asylbegehren Düzenlis blieb derweil erfolglos. Die Familie suchte im Frühjahr 1998 Zuflucht in einer evangelischen Gemeinde in Mutterstadt. Die zuständigen Entscheidungsinstanzen glaubten Herrn Düzenli weder die Desertion noch hielten sie eine politische Verfolgung für wahrscheinlich. Die vorgelegten Unterlagen, mit denen das Verfahren gegen Düzenli vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir bewiesen werden konnte, stufte das VG Neustadt ohne Prüfung als Fälschung ein.

Herr Düzenli wurde am 14.7.98 samt seiner schwangeren Frau und den drei kleinen Kindern aus dem Kirchenasyl heraus in die Türkei abgeschoben. In Istanbul angekommen, verhaftete die Polizei ihn wegen Fahnenflucht und übergab ihn der Antiterrorabteilung. Dort wurde er 24 Stunden unter schwerer Folter verhört. Nach dem Verhör wurde er zur Flughafenpolizei zurückgebracht. Diese überstellte Düzenli an die Militäreinheit in Izmir, dort wurde er im Militärgefängnis inhaftiert. Das Staatssicherheitsgericht informierte das Militär über die Anklage Düzenlis wegen Separatismus. Düzenli wurde daraufhin in Isolationshaft genommen, geschlagen, als »Vaterlandsverräter« und Terrorist schikaniert und zu militärischen Übungen gezwungen.

Am 23.11.98 verurteilte das Militärgericht Izmir Abdulmenaf Düzenli zu 2 Jahren und 6 Monaten Haft wegen Desertion und Flucht ins Ausland. Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils Anfang Februar 1999 wurde er aus dem Militärgefängnis in das Gefängnis Buca in Izmir verlegt. Nach der Haftstrafe wird Düzenli erneut zum Wehrdienst eingezogen werden.

Am 9.3.99 wurde Herr Düzenli in dem parallel anhängigen Verfahren vom Staatssicherheitsgericht Diyarbakir freigesprochen. Der Vorwurf des Separatismus wird allerdings weiter an ihm haften, da die Unterlagen über das Verfahren in seiner Personalakte verbleiben.

Frau Düzenli wurde nach der Abschiebung zunächst von ihren Kindern getrennt, ebenfalls unter Schlägen verhört und der Antiterrorabteilung überstellt. Sie befand sich 2 1 /2 Tage in Polizeihaft. Nach ihrer Freilassung fuhr sie zur Familie ihres Mannes nach Midyat. Sie wurde vor und nach der Geburt ihres vierten Kindes Anfang Dezember 1998 mehrmals zu Verhören auf die Polizeiwache in Idil und einmal zur Staatsanwaltschaft gebracht. Auch der Vater von Abdulmenaf Düzenli wurde mehrfach verhört. Er ist im November 1998 nach einer Befragung durch die Polizei gestorben. Eine Autopsie ließ die Familie aus Furcht vor den Sicherheitskräften nicht durchführen, so daß nicht geklärt werden konnte, ob er an den Folgen möglicher Mißhandlungen gestorben ist. Das Auswärtige Amt setzte sich diesbezüglich telefonisch mit dem Dorfvorsteher von Midyat in Verbindung, um Näheres über die Umstände des Todes zu erfahren, wie das Innenministerium Rheinland- Pfalz bestätigte. Der Dorfvorsteher informierte umgehend die Gendarmerie, die die Familie daraufhin massiv unter Druck setzte. Da Dorfvorsteher nicht selten direkt mit dem türkischen Staat zusammenarbeiten, wurde die Familie durch die Recherche des Auswärtigen Amtes auf fahrlässige Weise erneut gefährdet.

Der Fall Düzenli macht exemplarisch deutlich, daß die deutsche Rechtsprechung, wonach Desertion und die Verweigerung des Kriegsdienstes in der Türkei lediglich als »Straftat« zu bewerten sei und keine politische Verfolgung nach sich zöge, nicht aufrecht erhalten werden kann. Gegen Düzenli wurden zwei Verfahren angestrengt – wegen Kriegsdienstverweigerung vor einem Militärgericht

und wegen separatistischer Propaganda vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir. Die Begründung für seine Kriegsdienstverweigerung widersprach nämlich der Doktrin vom türkischen Einheitsstaat. Das Staatssicherheitsgericht Diyarbakir sprach Düzenli zwar letztendlich frei, der Vorwurf des Separatismus wird jedoch weiter an ihm haften, nicht zuletzt, weil die Unterlagen zu dem Verfahren in seiner Personalakte verbleiben.

Schon nach Bekanntwerden der Anklage war Herr Düzenli in Isolationshaft genommen und Schikanen, Beschimpfungen und Mißhandlungen seitens des Militärs ausgesetzt worden.

Anders als in Deutschland hat das höchste holländische Gericht in Den Haag in mehreren aufsehenerregenden Entscheidungen festgestellt, daß »Kriegsdienstverweigerung aufgrund der Angst, gegen das eigene Volk oder die Familie eingesetzt zu werden, … ein Grund für die Anerkennung des Flüchtlingsstatus« sein kann (s. z. B. AWB 95/ 10334 VRWET). Auch UNHCR fordert eine gewissenhafte Prüfung der Glaubwürdigkeit jedes Einzelfalls von Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und verweist darauf, daß nicht nur politische, religiöse oder moralische Überzeugungen, sondern auch die Bindung an eine ethnische Gruppe dabei zu berücksichtigen seien.

Problematisch ist der Fall Düzenli aber nicht nur wegen der Ignoranz der deutschen Rechtsprechung zur Kriegsdienstverweigerung: Die Unterlagen über das Verfahren gegen Düzenli wegen Separatismus wären, hätte das Gericht sie ernst genommen, durchaus asylrelevant gewesen. Erst das Zusammenspiel eines gewissenlosen Richters, der Beweismittel nicht einmal prüfen ließ, und einer Verwaltung, die keine Bedenken hatte, die Abschiebung trotz des bestehenden Kirchenasyls zu exekutieren, hat die politische Verfolgung der Familie Düzenli möglich gemacht.

Zum Verhängnis wurde dem Kurden Mehmet Özcelik die »Kanalisation« für seine Toilette. Bei einer Razzia entdeckten Sicherheitskräfte das einen Kubikmeter große Loch und verdächtigten ihn, er wolle darin PKK’ler verstecken. Özcelik wurde festgenommen, nach seinen Aussagen schwer gefoltert und 17 Monate inhaftiert. Im Dezember 1996 verurteilte ihn das Staatssicherheitsgericht Diyarbakir wegen Unterstützung der PKK zu 3 Jahren und 9 Monaten Haft. Da das Urteil 20.12.1996, ausgestellt am 13.3.97, noch keine Rechtskraft erlangt hatte, eine endgültige Verurteilung von seinem Rechtsanwalt jedoch prognostiziert wurde, floh Herr Özcelik nach Deutschland und stellte am 22. September 1997 einen Asylantrag. Das Urteil des Staatssicherheitsgerichts Diyarbakir wurde am 10.2.98 rechtskräftig.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) glaubte Mehmet Özcelik jedoch nicht und lehnte seinen Asylantrag am 29. Juni 1998 mit der Begründung ab: eine mögliche Strafverfolgung sei keine politische Verfolgung, sondern diene »allein der Ahndung kriminellen Unrechts«. Zudem erklärte das BAFl lapidar: »Hätte dem Antrag steller in seinem Heimatland tatsächlich

Verfolgung gedroht, wäre er nach aller Lebenserfahrung auch nicht erst so spät ausgereist.«

Mehmet Özcelik schaffte es nicht, sich auf dem Rechtsweg gegen die Ablehnung seines Asylantrages zu wehren: Da er als Asylbewerber lediglich über Gutscheine statt Barmittel zum Bestreiten des Lebensunterhalts verfügte, konnte er den von seinem Rechtsanwalt geforderten Vorschuß über 700 DM nicht bezahlen. Daraufhin weigerte sich der Rechtsanwalt, die Klage fristgerecht zu stellen. Der Bescheid des Bundesamtes wurde rechtskräftig, die Durchführung eines Folgeantrags abgelehnt.

Am 10. September 1998 wurde Mehmet Özcelik in die Türkei abgeschoben. In Istanbul wurde er nach mehrtägigen Verhören und Folterungen zunächst freigelassen, da ein Haftbefehl noch nicht ausgeschrieben worden war. Öczelik wandte sich nach seiner Freilassung am 15.11.98 an den Menschenrechtsverein IHD und gab dort zu Protokoll:

»Die Flughafenpolizei hielt mich eine Nacht und einen Tag auf der Wache fest. Ich wurde immer wieder mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten. Dann wurde ich mit einem Polizeiwagen abtransportiert. Die Augen hatten sie mir verbunden. Sie folterten mich fünf oder sechs Tage lang … Sie fragten, was ich in Deutschland gemacht und wen ich getroffen hätte. … Sie quetschten meine Fußsohlen und gaben mir Elektroschocks an den Fußsohlen, in den Achselhöhlen und an den Ohren. Ich konnte die Folter nicht aushalten. …«

Mehmet Özcelik lebt z. Zt. unter erbärmlichen Bedingungen als Müllsammler in Istanbul und versteckt sich vor der Polizei. Inzwischen wird er per Haftbefehl gesucht. Seine Ehefrau wurde im Jan. und Febr. 99 mindestens zweimal zu einer gynäkologischen Untersuchung gezwungen, um festzustellen, ob sie Kontakt zu ihrem Mann gehabt hat. Die zwangsgynäkologischen Untersuchungen an Frau Özcelik wurden offensichtlich als Fahndungsmethode eingesetzt.

Was zu beweisen war

Die relativ hohe Anerkennungsquote für kurdische Flüchtlinge aus der Türkei kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß vielen von ihnen, z. B. in Asylfolgeverfahren, übel mitgespielt wird und das Vorbringen nicht ernsthaft geprüft wird.

So trug ein kurdischer Asylantragsteller vor, er sei nach seiner Rückkehr in die Türkei am Flughafen verhaftet und in der Folgezeit drei Monate festgehalten worden unter dem Vorwurf, er sei ein Angehöriger der PKK gewesen. In dieser Zeit habe man ihn schwer gefoltert, danach sei er in ein anderes Gefängnis überführt worden. Dabei sei ihm die Flucht gelungen. Nach erneuter Festnahme habe man ihn wiederum für zwei Monate inhaftiert. Das Gericht hält dies für vollkommen unglaubhaft und läßt seinem Zynismus in der Beschlußbegründung freien Lauf: »Für das Gericht ist es aber auch weiter nicht glaubhaft, daß der Kläger tatsächlich bei seiner Rückkehr in die Türkei in der von ihm geschilderten Weise von den türkischen Sicherheitskräften mißhandelt worden sein soll. Dies folgert das Gericht daraus, daß der Antragsteller sich nicht gescheut hat, als Ziel seiner Flucht erneut die Bundesrepublik Deutschland auszuwählen, obwohl ihm ohne jede Schwierigkeit die Möglichkeit gegeben war, in anderen sicheren europäischen Ländern (…) eine Zuflucht zu finden. Denn bei einer Wiedereinreise nach Deutschland mußte er sich aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen und der Rechtslage der Gefahr bewußt sein, erneut in die Türkei abgeschoben zu werden. Es widerspricht jeder Lebenserfahrung, daß ein tatsächlich durch die türkischen Sicherheitskräfte in der von dem Antragsteller geschilderten Weise mißhandelt worden sein sollte, sehenden Auges sich wieder in eine derartige bedrohliche Situation begeben würde.« (Formulierungsmängel im Originaltext; VG Gießen, Az.: 8 G 30820/ 98. A (4) vom 01.04.1998)

Der Schluß: Ein echter Flüchtling sucht sich nicht die Bundesrepublik als Zielland aus. Wer dennoch hierher kommt, ist kein echter Flüchtling

Claudia Gayer ist Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates Niedersachsen

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat im Januar 1999 eine Broschüre zum Thema herausgegeben. Die Dokumentation »Von Deutschland in den türkischen Folterkeller – Zur Rückkehrgefährdung von Kurden« kann zum Preis von DM 5,- zuzügl. Versandkosten bestellt werden bei: Flüchtlingsrat Niedersachsen, Lessingstr. 1, 31135 Hildesheim,
Tel.: 05121/15605, Fax 05121/31609,
e- mail: buero@fluerat-nds.comlink.apc.org


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