Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 2. – 7. Februar 1970
RADIO KURZPREDIGTEN
Testfall Christentum
Es ist ziemlich leicht, in angeregter Runde über Gott und die Welt zu philosophieren. Man kann die gewagtesten Theorien „verzapfen“ und sich eine Weltanschauung zurechtmodeln, ohne ernsthaft beim Wort genommen zu werden. Was aber eine Überzeugung wirklich wert ist, zeigt sich erst, wenn Belastungsproben anstehen.
Einen derartigen Test beschreibt Robert Faesi in der Erzählung „Diodor“. Diodor ist der glanzvolle Herrscher eines griechischen Stadtstaates, der vier der bedeutendsten Vertreter der damaligen Philosophie zu sich gebeten hat. Während sich der eine durch seine Philosophie zu beherrschter und strenger Würde verpflichtet fühlt, gibt sich sein geistiger Gegner in Barttracht, Kleidung und Manieren den Anschein regelrechter Verwahrlosung (- es hat also alles schon einmal gegeben -). Der Dritte ist ein unscheinbarer Greis, der zurückgezogen in seinem Garten einen kleinen Freundeskreis um sich versammelt hält. Weltmännisch gewandt zeigt sich der letzte, ein sogenannter Sophist.
Nachdem sie in geistreichen Wortgefechten ihre verschiedenen Standpunkte dargelegt haben, lädt sie der Herrscher zu einer Fahrt ein, die sie im Segelschiff um die Insel führen soll. Auch auf dem Schiff gehen trotz der Gewitterschwüle die geistigen Höhenflüge weiter, da jeder der Philosophen bemüht ist, seine Weltsicht vor den anderen ins beste Licht zu rücken. Mittlerweile kommt ein rauer Wind auf, der die Wellen immer höher gehen läßt. Der Himmel verfinstert sich, so daß die Redner besorgt verstummen. Sie versuchen, sich bei dem schweren Seegang an ihren Sitzen festzuklammern. Der Kapitän meldet zu allem Schrecken noch gefährliche Klippen. Jetzt bekommen es die weisen Männer mit der Angst zu tun. Der eine von ihnen, der gerade noch keck die Götter geleugnet hatte, betet jetzt inbrünstig zu ihnen, Den anderen verläßt sein philosophischer Gleichmut, den er sonst zur Schau trägt. Mit polternden Flüchen treibt er die Seeleute an, besser zuzugreifen. Der Dritte umklammert einen von der Besatzung und verspricht ihm große Belohnung, wenn er ihn über Wasser hält. Dem vierten schließlich ersterben die schicksalsergebenen Worte beim nächsten Stoß im Munde, und er verkriecht sich in seinen Mantel. Doch bleibt ihnen der ruhmlose Untergang erspart; denn so schnell auch das Unwetter aufgekommen war, ebenso schnell verzieht es sich wieder. Der Test aber ist negativ ausgefallen.
Wir wissen um Belastungsproben, denen Menschen mit ihrer Weltanschauung und Religion ausgesetzt waren, und die sich wesentlich härter ausnahmen als die vom Dichter ersonnene. Eine unendliche Fülle von Beispielen bietet die Geschichte des Christentums, und zwar eine Fülle von Beispielen, bei denen die Probe glänzend bestanden wurde. Denken wir an den jungen Mann aus dem Jahre 302, der an einen Pfahl genagelt, noch lächeln konnte, oder an den Priester, der sich in unserem Jahrhundert an der Stelle eines anderen zum Verhungern meldet und seine Todesgefährten dazu bringt, zu singen.
Was die Kraft des christlichen Glaubens zur Bewährung anlangt, so wagt der sowjetische Schriftsteller Sinjawaski, der selbst eine lange Haft hinter sich hatte, einen Vergleich mit anderen Religionen. Er schreibt: „Im Vergleich mit anderen Religionen spielt das Christentum die Rolle des Sturmbataillons, die Rolle der Strafkompanie, die an den gefährlichsten und heißesten Frontabschnitten eingesetzt wird. Irgendwo gibt es vielleicht Artillerie, Luftwaffe, aber in das Handgemenge, in die Hölle, ist gerade dieses Bataillon Todgeweihter geworfen, das die Brücke hinter sich verbrannt, und die Schlacht in den Gräben des Gegners führt.“