Medienkonferenz
Statt Kampf gegen Flüchtlinge
Bekämpfung der Fluchtursachen
z.B. NATO-Mitglied T Ü R K E I
In der durch den Bundestagswahlkampf angeheizten Republik ist eine gnadenlose Abwehrschlacht gegen Asylbewerber entbrannt. Sie erreicht Ihren vorläufigen Höhepunkt in der großen Koalition, die in die Substanz des Grundrechts auf Asyl eingreifen und das Leben von Asylbewerbern in der Bundesrepublik durch weitere Einschränkungen unerträglich machen will.
Die ebenso inhumanen wie für die Verhinderung von Flucht erfolglosen Abschreckungsmaßnahmen steigern die Fremdenfeindlichkeit und verschleudern Milliardenbeträge an Steuergeldern. (Dies ergibt sich bereits jetzt aus der gesetzlich festgelegten Unterbringung von Asylbewerbern in Wohnlagern und das fünfjährige Arbeitsverbot. Nach Erfahrungen in Bayern würde die im Augenblick diskutierte Gewährung der Sozialhilfe statt in Geld als Gemeinschaftsverpflegung oder Naturalleistung die Kosten um 10 % und damit um weitere Hunderte Millionen DM erhöhen.)
„Pro Asyl“ fordert eine Wende in der Asylpolitik: Statt des Kampfes gegen Flüchtlinge ist der politische Kampf gegen die Länder, die durch massive und systematische Verletzung der Menschenrechte für das Entstehen von Fluchtbewegungen verantwortlich sind, zu führen. Hierzu zählt u.a. das Nato-Land Türkei. Die zweitstärkste Gruppe von Flüchtlingen kam 1989 mit 20.020 Personen aus der Türkei, bis Ende Juli 1990 waren es 14.530.
Zum Tag des Flüchtlings am 28. September verbreitet „Pro Asyl“ ein Flugblatt für Multiplikatoren mit der Aufforderung, sich für eine exemplarische Politik der Fluchtverhinderung in der Türkei einzusetzen.
Übereinstimmende Beurteilung der Lage
Die in dem Flugblatt enthaltene Einschätzung der Lage in der Südosttürkei deckt sich im Wesentlichen mit der der Bundesregierung, wie sie sich in einer Lagebeschreibung des Auswärtigen Amtes vom 26. Juli 1990 niederschlägt.
- Darin ist die Rede von der wirtschaftlichen Rückständigkeit der Kurdenregion, der halbfeudalen Sozialstruktur und kulturellen Verdrängungsmechanismen.
- Es fehle an zukunftsträchtigen Initiativen zur Lösung des Kurdenproblems, der Gebrauch der kurdischen Sprache in Medien, Erziehung und Verwaltung sei nicht gestattet. Ansätze von Autonomiebestrebungen, und seien es auch nur kulturelle, würden aber bekämpft. Die politische Strategie der türkischen Regierung stütze sich auf hart durchgreifende militärisch-polizeiliche Gegenmaßnahmen. Sie hielten internationalem Menschenrechtsstandard „nicht immer“ stand. Erfolg wäre diesen Maßnahmen bisher versagt geblieben. Die für die große passive Mehrheit der türkischen Kurden wichtige Frage der kulturellen Eigenständigkeit sowie einer Bodenreform würden bisher von den türkischen Behörden vernachlässigt.
- Die Lage habe aktuell durch die stete Eskalation, das Ausbleiben von Erfolgen in der Bekämpfung der PKK und zunehmende Entfremdung der lokalen Bevölkerung eine neue Dimension erhalten.
- Mit den Beschlüssen vom 9.4.1990 habe die türkische Regierung eine erhebliche Verschärfung des bisher schon geltenden Ausnahmezustands eingeführt. Wesentliche Elemente seien:
- Die Einschränkung der Presseberichterstattung.
- Die Möglichkeit der Ausweisung unliebsamer Persönlichkeiten aus dem Krisengebiet.
- Eine Verschärfung einschlägiger Strafandrohungen.
- Der Rechtsmittelausschluss bei den getroffenen Maßnahmen.
Politische Leisetreterei
Die vom Auswärtigen Amt auf der Basis dieser Einschätzung eingenommene Haltung spricht nach Auffassung von „Pro Asyl“ allerdings jeder grundsätzlichen und völkerrechtlichen Interventionsverpflichtung der Bundesrepublik Hohn:
- „Wir nehmen in unserer Politik auf die Empfindlichkeiten unseres Nato-Partners, soweit dies möglich ist, Rücksicht“.
- „Wir unterstützen keine Bestrebungen, die gegen die Integrität des türkischen Staates gerichtet sind.
- „Gegenüber Förderungswünschen kurdischer Gruppen im kulturellen Bereich verhalten wir uns zurückhaltend.“
- „Wir leisten Verteidigungshilfe und Rüstungssonderhilfe an die Türkei, die nur über eine unzureichend entwickelte Verteidigungsindustrie verfügt. Leistungen, die bei unseren Bündnispartnern hohe Anerkennung finden.“
Das Genscher-Ministerium stellt allerdings keinerlei Zusammenhang her zwischen der katastrophalen Menschenrechtslage in der Osttürkei und der hohen Zahl der Asylbewerber in der Bundesrepublik. Für Schäuble gibt es keine politische Flucht aus der Türkei!
Die Bundesrepublik hat – so das „Pro Asyl“-Flugblatt – seit 1964 4,3 Milliarden DM an die Türkei gezahlt, davon allein 1988 insgesamt 680 Millionen DM für Panzer. Jetzt sollen 120 ausgemusterte Panzer des Typs Leopard I geliefert werden. Die bundesdeutsche Rüstungsindustrie – geübt in der Waffenversorgung von Krisenregionen – beliefert die Türkei in einem schwunghaften Handel. Darüber hinaus leistet die Bundesrepublik Ausbildungshilfe für Polizei und Militär, nicht zuletzt zum Einsatz bei „Inneren Unruhen“.
- Wir fordern von der Bundesrepublik ein Waffen-Embargo gegen die Türkei, solange dort die Menschenrechte systematisch verletzt und Minderheiten rigoros unterdrückt werden. Wir verweisen auf die Österreichische Regierung, die im Mai die Ausfuhrgenehmigung für Munition mit der Begründung, in der Türkei würden die Menschenrechte mißachtet, verweigert hat.
- Wir fordern, daß die Bundesregierung im Rahmen des Europarates, dessen Mitglied die Türkei ist, die rechtlichen und politischen Möglichkeiten offensiv ausschöpft und gegen die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei vorzugehen. Durch die bisherige Leisetreterei sind wir mitschuldig an den Verbrechen und an der Flucht Abertausender Menschen.
- Wir wenden uns gegen Abschiebungen insbesondere von Kurden, Christen oder Yeziden in die Türkei und fordern einen bundeseinheitlichen Abschiebestopp.