TAG DES FLÜCHTLINGS 2000
»Sie denken, dass wir Bettler sind«
Issir M. Issa
Herausgegeben zum Tag des Flüchtlings am 29. September 2000
Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge mit freundlicher Unterstützung von: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e.V., Deutscher Caritasverband e.V., Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Evangelischen Kirche in Deutschland durch den ABP, Land Hessen.
Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger/Interkulturellen Woche (24. bis 30. September 2000) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.
INHALT
- Grußwort des UNHCR-Vertreters in der Bundesrepublik Deutschland
- Recht statt Willkür
- Fragen und Antworten zum Thema Asyl
- Nichtstaatliche Verfolgung als Asylgrund
- Bosnische Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland
- Härtefallregelungen im Ausländergesetz – längst überfällig und dringend nötig
- Bad Grund – statt Mitgefühl Stigmatisierung
- » … wir sollen euch davon nichts sagen … «
- Von der Krankheit zum Tode – ein Sondereinsatzkommando erschießt einen Flüchtling
Beispiele und Anregungen
- Umtauschbilanz 1999
- »Sie denken, dass wir Bettler sind«
- Gelebte Demokratie
- Größtmögliche Gemeinheit
- Die Fluchtwohnung
- »Langer Atem«
- Das längste Kirchenasyl in Niedersachsen ging nach 941 Tagen zu Ende
- Protest gegen die Verweigerung von Abschiebungsschutz für eine Kranke
- Rage against Abschiebung
- Denkzettel
- Schüler setzen sich für Flüchtlingsfamilie ein
- Flugblatt
- Medizinische Flüchtlingshilfe erhält Preis
- Betreuung ohne Krankenschein
- »In diesem Garten kann ich reisen«
- Rückkehrdruck à la Bayern
- »Wie Schlachthof oder Leichenhalle«
- Eltern haften ohne ihre Kinder
- Von Deutschland in den türkischen Folterkeller
Wenn man mich fragt, wie es ist, mit Gutscheinen zu leben, dann kann ich nur sagen, es gibt viele Probleme. Das fängt damit an, dass man eigentlich mit einem Taschenrechner einkaufen gehen muss. Es ist immer ein Problem, den ganzen Einkauf richtig auszurechnen, damit man nicht zu viel und nicht zu wenig kauft.
Sogar die Frage, was man kauft, stellt ein Problem dar: Vor einigen Tagen wollte ich ein Schreibheft für meinen Deutschunterricht kaufen. Ich musste dann noch ein Paket Kaugummi, eine Cola und eine Milch dazu kaufen, um den 5-DM-Gutschein vollzukriegen, weil ich ja kein Wechselgeld zurückbekomme. So gebe ich manchmal mehr aus und kaufe Dinge, die ich eigentlich gar nicht brauche. Trotzdem fehlt immer etwas zu Hause, weil man nie alle Sachen in einem einzigen Geschäft bekommt. Ich muss warten, bis ich mehr Artikel zusammen habe, um in ein anderes Geschäft zu gehen.
Wenn ich an der Kasse stehe, und ich habe nicht ganz genau gerechnet, dann dauert es manchmal sehr lange. Ich verschwende die Zeit der Verkäuferin, meine eigene Zeit und die Zeit der Leute, die hinter mir an der Kasse stehen und warten. Einmal war ich mit einer Freundin bei Aldi. Wir hatten nicht gut gerechnet, und der Einkauf kostete etwas über zwanzig Mark. Ich gab der Verkäuferin meinen 20-DM-Gutschein. Weil das nicht ausreichte, hat meine Freundin ihr Bargeld herausgeholt und wollte den Rest damit bezahlen. Die Verkäuferin nahm dann das Bargeld und gab mir die Gutscheine zurück. Sie wollte die Gutscheine offensichtlich nicht annehmen. Sie hat in Deutsch mit mir gesprochen, aber ich spreche besser Englisch als Deutsch, und habe sie nicht richtig verstanden. Meine Freundin, die gut Deutsch spricht, wollte darauf bestehen, dass die Verkäuferin zuerst den Gutschein nimmt, aber sie hat sich nicht durchgesetzt. Hinter uns stand eine lange Schlange und die Sache wurde langsam unangenehm. Meine Freundin wollte alle Sachen an der Kasse stehen lassen und in ein anderes Geschäft gehen. Aber ich habe gesagt, komm, lass uns unsere Sachen nehmen und einfach rausgehen, denn ich war nervös. Ich wollte nicht mit der Verkäuferin streiten. Wir nahmen unsere Gutscheine und unseren Einkauf, ließen das ganze Bargeld im Geschäft und gingen hinaus.
Ein weiteres Problem, das ich mit den Gutscheinen habe, hängt mit ihrem Aussehen zusammen. Bargeld hat unterschiedliche Größen und unterschiedliche Farben. Man kann die verschiedenen Scheine leicht unterscheiden. Die Gutscheine sehen alle gleich aus. Normalerweise brauche ich eine Brille. Nur mit Brille, und dann auch nur, wenn ich genau hinsehe, kann ich die unterschiedlichen Werte der Gutscheine unterscheiden. Manchmal habe ich aber meine Lesebrille nicht dabei. Dann muss ich die Gutscheine vor der Verkäuferin ausbreiten, damit sie die richtigen auswählt. Anfangs habe ich immer gedacht, das ist kein Geld, beinahe hätte ich es versehentlich mit anderen Zetteln in einen Mülleimer vor dem Haus geworfen. Das passiert mir glücklicherweise jetzt nicht mehr.

Wenn wir mit Gutscheinen einkaufen gehen, sind wir nicht wie die anderen. Die anderen Leute sehen auf uns herab. Ich glaube, sie denken, dass wir Bettler sind. Aber wir sind nicht wegen des Geldes in Deutschland, wir haben alle gute Gründe, hier zu sein. Ich denke, Deutschland hat Erfahrungen mit Krieg gemacht, die Menschen sollten wissen, was Krieg bedeutet und warum wir hier sind. Viele Leute sind auch aus Deutschland geflohen während des Zweiten Weltkrieges. Ich kann mir nicht erklären, warum wir hier so behandelt werden.