Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 19. – 24. Februar 1968
RADIO KURZPREDIGTEN
Sich das Sparen sparen
Zu den erzieherischen Pflichten eines Lehrers gehört es heute, die Kinder auf den Wert des Sparens hinzuweisen. Dazu gibt es das Schulsparbuch, den Weltspartag, weiterhin die Aufrufe von Politikern und Männern der Wirtschaft. Sparen wird als eine große Tugend hingestellt. Die Gründe dafür sind so einsichtig, daß es sehr verwundern muß, wenn der französische Dichter und Publizist Charles Peguy sich geradezu leidenschaftlich gegen das Sparen wendet. Man solle den Kindern in der Schule lieber das Evangelium als ein Sparbuch in die Hand geben.
Die Ablehnung des Sparens begründet Peguy etwa folgendermaßen: Wer spart, plagt sich bereits heute für etwas, was erst morgen auf ihn zukommt. Nach der Schrift hat aber jeder Tag seine eigene Plage, mit der es fertig zu werden gilt. „Wenn jedem Tag seine Plage genügt“, so schreibt er, „warum dann heute die Plage von morgen auf sich nehmen, warum dann heute die Arbeit von morgen, warum heute die Mühsal von morgen auf sich nehmen.“
Ein Sparer hält sich demnach an den Leitspruch: „Verschiebe nie auf morgen, was du heute kannst besorgen.“ Genau das aber hält der Dichter für verkehrt und so gibt er eine andere Devise aus: „Verschiebe niemals auf heute, was du morgen tun kannst.“ Müssen wir Peguy nicht den Vorwurf machen, er rede den Faulenzern das Wort, für die der Spruch zutrifft: „Morgen, morgen nur nicht heute, sagen alle faulen Leute“? Der Gleichklang der beiden Sätze ist aber nur oberflächlich. Der Unterschied zwischen dem Faulenzer und dem von Peguy geforderten Menschen liegt darin, daß der Faulenzer weder sein ‚Heute‘ noch sein ‚Morgen‘ ernst nimmt, während Peguy will, daß der Mensch sein ‚Heute‘ ganz ernst nimmt, und zwar so ernst, daß er auch im Gegensatz zum Sparer das ‚Morgen‘ nicht über das ‚Heute‘ stellt.
Das Vaterunser enthält die Bitte um Brot: „Unser tägliches Brot, d.h. das Brot, das für den Tag reicht, gib uns heute.“ In dieser Bitte schlägt sich noch die Erfahrung des Volkes Israel nieder, das auf dem Zug durch die Wüste wunderbarerweise durch das Manna ernährt wurde. Moses sagt dem Volk: „Das ist das Brot, das euch der Herr zu essen gibt. Jeder von euch sammle nach seinem Bedarf!“
Dann heißt es weiter: „Niemand soll etwas davon bis zum Morgen aufsparen.“ Aber die Israeliten nehmen diese Warnung nicht ernst, einige versuchten, etwas bis zum nächsten Morgen aufzuheben. Doch es nutzte ihnen nichts, das, was sie aufbewahrten, ist am nächsten Morgen ungenießbar. Sinn dieser Lektion, die dem jüdischen Volk damit erteilt wurde, war es, das unbedingte Vertrauen auf die Vorsorge Gottes zu unterstreichen. Die kleinkrämerische Vorsorge war ein Versagen gegenüber Gott.
Auf diesem Hintergrund nehmen sich die Streitreden Charles Peguy’s gegen das Sparen nicht mehr ganz so neuartig aus. Nun wird niemand im ernst folgern, wir müßten unser Wirtschaftssystem umstellen, und es wäre christlich, das Sparen überhaupt aufzugeben. Aber das „Sparen, sparen.“, um jeden Preis, kann man nicht mehr als besonders tugendhaft ausgeben: denn es schafft die Gefahr, daß ein Mensch aus falscher Sorge für das ‚Morgen‘ das ‚Heute‘, das ein ‚Heute Gottes‘ ist, verpaßt.