Saisonarbeit
HESSISCHER RUNDFUNK (HR) Frankfurt/Main
1. Hörfunkprogramm
Interview von Ulrike Holler
am 31. Mai 1979
Saisonarbeit bedeutet im Grunde eine eingeschränkte Form menschlicher Existenz, die verbunden mit der Idee der Rotation abzulehnen ist.
In Baden-Württemberg sollen ausländische Arbeitskräfte kurzfristig für das Hotel- und Gaststättengewerbe angeworben werden können. Dieser Maßnahme – vorgestellt von Ministerpräsident Späth – muss die Bundesregierung jedoch noch zustimmen. Man denkt daran, analog Schweizer Modell, etwa 1.000 Saison-Arbeiter für 6 bis höchstens 8 Monate zu beschäftigen. Danach müssen die Ausländer wieder in ihre Heimat zurück, oder sie werden abgeschoben. Späth, der ansonsten mit aller Entschiedenheit am Anwerbestopp festhalten will, begründet diesen Plan mit der existentiellen Bedrohung vieler mittelständischer Betriebe im Hotel- und Gaststättenbereich.
Gegen diese Idee hat sich der Ausländerreferent der Katholischen Kirche, Pfr. Herbert Leuninger, ausgesprochen. Ulrike Holler unterhält sich mit ihm:
Warum, Herr Leuninger, regen Sie sich über diesen Vorschlag auf? Immerhin bringt er doch einigen Ausländern kurzfristig Verdienstmöglichkeiten in der Bundesrepublik.
Das ist richtig, und er entlastet auch den Arbeitsmarkt, auch das stimmt, aber unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen? Im Grunde werden auf eine eingeschränkte Weise alle Vorstellungen wieder lebendig, die wir glaubten, sie seien begraben; nämlich die Vorstellung der Rotation: Daß Menschen zur Arbeit hierher geholt werden, die aufgrund der Tatsache, daß sie nur eine kurze Zeit hier bleiben können und trotz aller Vorbereitungen, die man ihnen vielleicht zuteil werden läßt, nur auf eine sehr reduzierte Weise Mensch sein können. Das ist aus sozialen und humanen Gründen einfach nicht vertretbar.
Man muß natürlich dabei auch die andere Seite sehen. Ministerpräsident Späth hat gesagt, in dieser kurzen Zeit – also in diesen 6 oder 8 Monaten, in denen die ausländischen Arbeitskräfte bei uns beschäftigt werden können, würde für uns, für die Bundesrepublik keine Integrations- oder Familienprobleme entstehen, eben weil die Arbeitnehmer ohne Familien kommen. Auch dies kann ja für die Idee sprechen.
Ja, aber nur, wenn ich daran denke, daß das von diesen ausländischen Arbeitnehmern, die zeitweise hier tätig sind, bezahlt wird, menschlich, seelisch, familiär. Sie müssen es tragen, daß sie nicht in allen Bereichen – weder sozialrechtlich, noch von der Kommunikation her, noch lebensmäßig – wirklich Mensch sein können.
Immerhin – ich beginne nochmals mit dem ersten Argument – sie verdienen in dieser Zeit etwas.
Deswegen werden sie sich auch für eine solche Arbeit interessieren. Sie können vermutlich nicht abschätzen, welche Störungen des Familienlebens und auch ihrer eigenen persönlichen Existenz sie sich damit einhandeln. Das allerdings weiß man aus Untersuchungen in der Schweiz.
In der Schweiz soll dieses Modell ja sehr positiv verlaufen. Es soll sich bewährt haben.
Das kann ich mir nicht vorstellen, denn die Kirchen sind ja seit Jahren sehr energisch gegen diesen Status des Saisoniers vorgegangen und versuchen, die dortigen Regelungen zu ändern. Sie drängen auf eine Abschaffung dieser Regelung. Und zwar auf dem Hintergrund, daß sie sozial und humanitär einfach nicht zu vertreten ist, wenn man bestimmte rechtsstaatliche Vorstellungen in einem Land verwirklichen will. Ich glaube, das gilt gleichermaßen auch für uns.
Gehen wir davon aus, im Hotel- und Gaststättengewerbe gibt es einen Engpaß an Arbeitskräften. Dieser Engpaß muß gefüllt werden. Was sind ihre Vorstellungen, wenn Sie sich gegen die Saisonarbeiter wehren?
Wenn ich einfach aus dem Ärmel Vorschläge schütteln könnte, dann wäre
- der erste, erst einmal alle Restriktionen aufzuheben, die es in der Bundesrepublik gegenüber der Arbeitsaufnahme von ausländischen Arbeitnehmern gibt.
- Das zweite ist – hier stütze ich mich im Grunde auf alte Forderungen der Gewerkschaften – die Humanisierung dieser Arbeitsplätze in den Bereichen, in denen man keine deutschen und ihnen gleichgestellte ausländische Arbeitnehmer bekommt.
Sie meinen, wenn diese Arbeitsplätze humanisiert würden, wäre auch nicht ein solcher Engpaß da?
Ich bin sicher.
Sie sprachen von Aufhebung der Restriktionen, heißt das, daß Sie davon ausgehen, daß es in der Bundesrepublik genügend ausländische Arbeitnehmer gibt, z.B. auch Asylbewerber, die froh wären, eine Arbeit zu bekommen und sie einfach nicht bekommen, weil sie noch in der Illegalität leben bzw. keine Arbeit aufnehmen können?
Ja, Sie bringen mich hiermit auf einen weiteren Gedanken, wie man das Problem der Friktionen in bestimmten Bereichen des Arbeitsmarktes bewältigen könnte. Das sind nämlich die Illegalen, die – aus welchen Gründen auch immer – vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden. Wenn man diese Gruppe, die mindestens 10 % der legal tätigen ausländischen Arbeitnehmer ausmacht, legalisieren würde, hätte man bereits eine sehr große Lücke gefüllt. Man würde sich auch auf eine ganz andere Weise auf die ausländischen Arbeitnehmer einstellen, die bereit sind, unter bestimmten Voraussetzungen – die sich allerdings noch verbessern müssten – Arbeiten anzunehmen.
Nicht nur Sie von der Katholischen Kirche, sondern auch Dr. Jürgen Micksch, der zuständige Referent der Evangelischen Kirche, hat die Pläne Baden-Württembergs als untragbar und unüberlegt bezeichnet. Auch die Evangelische Kirche wehrt sich gegen den Vorschlag, Arbeitnehmer aus dem Ausland für kurze Zeit hierher zu holen und sie dann nach Ablauf der 6- oder 8-Monatsfrist wieder ins Ausland abzuschieben.
BISCHÖFLICHES ORDINARIA LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Limburg/Hofheim 1.6.1979
Gegen das „Schweizer Modell“
Presseinformation
Schwere Bedenken gegen die Initiative des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth, das sogenannte „Schweizer Modell“ der Saisonarbeit probeweise für das Hotel- und Gaststättengewerbe einzuführen, hat Herbert Leuninger, Referent für Mitbürger anderer Muttersprache, im Bistum Limburg angemeldet.
In einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk verwies er darauf, daß die Kirchen in der Schweiz seit Jahren aus sozialen und humanitären Gründen auf die Abschaffung der Saisonarbeiterregelung drängten; Leuninger hält den zeitlich begrenzten Einsatz von Arbeitnehmern aus dem Ausland für eine kaschierte Form der Rotation, die von der Gemeinsamen Synode abgelehnt worden sei.
Eine sechs- bis achtmonatige Arbeitsaufnahme erlaube es bei den zwangsläufigen Verständigungsschwierigkeiten, bei der Trennung von der Familie und bei einer starken Isolierung nur auf sehr reduzierte Weise, Mensch zu sein.
Zur Behebung der Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt schlägt Leuninger vor, alle Bestimmungen aufzuheben, die hier lebenden Ausländern die Arbeitsaufnahme versagen, die illegal Beschäftigten, die nach offiziellen Schätzungen 10 % der legal Beschäftigten ausmachen, zu legalisieren und die Arbeitsbedingungen der betroffenen Wirtschaftsbereiche nachhaltig zu verbessern.