Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 2. – 7. Januar 1967
RADIO KURZPREDIGTEN
Religion: Haifisch oder Qualle?
Nicht alle Filme, die gedreht werden, geben die zuständigen Bewertungsstellen zur allgemeinen Vorführung frei, vielleicht weil man grobe Mißverständnisse befürchtet bzw. große Einseitigkeiten bemängelt. Solch ein Film, der nur in entsprechenden Film- oder Diskussionsclubs zu sehen ist, befaßt sich mit der Gewaltanwendung seitens der katholischen Kirche im Laufe ihrer Geschichte. Es ist erschreckend, was zu sehen, und noch erschreckender, was als offizielle Begründungen zu hören ist. Hier stellt sich die Frage, wie konnte man im Namen Christi so weit gehen?
Zweifellos ist die Zeit der Inquisition und Ketzerverbrennungen vorbei, und wir werden ihr nicht nachtrauern. Mag ein Schatten von Entschuldigung insofern auf sie fallen, als sie bestimmt war von einem hohen Respekt vor der Wahrheit und dem Anspruch Christi. Auf ihre Weise legte sie seine Worte aus: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“ Oder: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert“.
Wenn wir aus diesen oder ähnlichen Stellen nicht mehr das Recht auf Verfolgung und Hinrichtung ableiten, so wird doch deutlich, daß in diesem Wort ein Ernst enthalten ist, der sich mit dem Verständnis von Christentum und Kirche, wie wir es heute erleben, kaum verträgt. „Es ist wahr“, sagt der Philosoph Eduard von Hartmann, „die Religion ist kein Haifisch, wie die Inquisitoren meinten; aber sie ist auch keine Qualle; ein Haifisch kann doch wenigstens fürchterlich sein, ein Qualle ist immer nur wabblig“.
Weder Haifisch noch Qualle, was denn? Ich erinnere mich an ein Gespräch über die Frage, was wohl mit Christus geschehen wäre, wenn er in seiner kompromißlosen Art heut gelebt hätte. Es wurde die nicht unbegründete Vermutung geäußert, daß ihm ein gleiches Schicksal beschieden gewesen wäre wir damals; in Ländern mit Todesstrafe würde man ihn hinrichten, in Staaten ohne Todesstrafe auf andere Weise mundtot machen, durch Rufmord oder Entmündigung vielleicht. Denn mit dem, was er den Menschen abverlangt, steht er genauso quer zum heutigen Leben wie damals.
Wenn es aber Christus so ergangen ist, darf sich ein Christ, der ihm folgt, nicht wundern, wenn ihm ähnliches widerfährt. Er kommt also niemals in die Versuchung, für andere Scheiterhaufen zu errichten, sondern hat sich bereit zu halten, selbst im wörtlichen oder übertragenen Sinn, den Scheiterhaufen zu besteigen. Oder ist das zuviel behauptet. Versuche es einer, mit dem erforderlichen Ernst Christus zum Vorbild zu nehmen. Im gleichen Augenblick wird man ihn zum Narren stempeln: „Wie kann man nur so töricht sein?!“ Übrigens hat sich der Apostel Paulus nicht davor gescheut, als Narr bezeichnet zu werden. Er hat es als Ehrentitel aufgefaßt: „Wir werden für Narren in Christus gehalten“, schreibt er.