Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors
HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1970 ::: ARCHIV KIRCHE 1970 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 27. Juli – 1. August 1970

RADIO KURZPREDIGTEN

Predigtmüde


Viele Christen sind ihrer Prediger überdrüssig, weil sie nahezu ausschließlich über Mitmenschlichkeit, soziale Fragen, politische Krisen u.ä. zu sprechen wissen. Das, so meint man, werde anderweitig so ausgiebig abgehandelt, daß man beim Gottesdienst gern darauf verzichten könne. Es bestehe die Gefahr, daß nicht nur Langeweile um sich greife, sondern regelrechte Aversionen entstünden. Zwar wird zugestanden, daß kirchliche Verkündigung Mitmenschlichkeit zum Thema haben müsse, sich aber darin nicht erschöpfen dürfe.

Schon wird die Anklage erhoben, die moderne Verkündigung verfälsche das Evangelium. Kirchengeschichtlich versierte Kritiker verweisen darauf, daß es ähnliche Bewegungen bereits gegeben habe, als sich z.B. die Idee der Aufklärung auch in der Kirche durchzusetzen suchte. Tatsächlich haben die damaligen Tendenzen zu seltsamen Themen in der Predigt geführt. So wurde u.a. vorgeschlagen, am Weihnachten, wo das Evangelium von den Hirten spricht, über deren Abhärtung zu predigen und vor dem Gebrauch von Pelzmützen zu warnen. Für den 1. Ostertag wurden folgende Themen für angezeigt gehalten: Über „die Gefahr, lebendig begraben zu werden“, oder über „das Frühaufstehen“, oder „die Gespensterfurcht“. Der 2. Ostertag mit den Jüngern, die nach Emmaus gingen, empfahl sich für das Thema „Spaziergang“. An Pfingsten, wo das Brausen des Geistes erwähnt wird, sollte die Gemeinde darüber belehrt werden, „Wie wir uns bei Gewittern fromm und vorsichtig verhalten sollten“.

Es ist uns heute völlig unverständlich, wie solche Vorschläge ernsthaft unterbreitet werden konnten. Noch naiver als das Bibelverständnis ist doch wohl die Vorstellung von der Aufgabe, die die kirchliche Verkündigung hat. Aus diesem Grund verbietet sich auch eine Parallele zu unserer Situation, zumal Mitmenschlichkeit in der heute geforderten Form nicht einmal anklingt. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn sich dieser Geist der Aufklärung in der Kirche nicht halten konnte, falls er überhaupt in sie eindrang.

Wenn auch der Hinweis auf eine Verbindung der Aufklärung mit heute nicht stichhaltig ist, bleibt das derzeitige Unbehagen, es werde auf der Kanzel zuviel von Mitmenschlichkeit geredet. Dieses Unbehagen läßt sich auch nicht einfach mit progressiver Geste vom Tisch wischen. Reden von Mitmenschlichkeit, das Überdruß erzeugt, läßt auf Unzulänglichkeiten sowohl beim Redner wie beim Hörer schließen. Lassen wir es einmal dahingestellt sein, ob es nicht tatsächlich das zentrale christliche Thema ist, und wenden wir uns den Predigern zu. Könnte es nicht sein, daß sie das Thema wieder zu routiniert abhandeln? Vielleicht nehmen sie auch selbst zu wenig ernst, was sie ihren Hörern verkünden, führen ihr ziemlich bürgerliches Leben ungeschoren weiter und bilden somit selbst das größte Hindernis für die Annahme ihrer Worte. Wie aber steht es bei den Zuhörern? Es ist doch wohl anstrengend, sehr anstrengend, Mitmenschlichkeit zu üben. Sie über zu können, bedarf großer Gnade, es ist etwas einmalig Göttliches.

Es kann eigentlich nicht zu viel von Mitmenschlichkeit die Rede sein, falls überzeugend von ihr gesprochen wird. Vermutlich fehlen uns die christlichen Propheten, die uns dahin bringen, unser bisheriges Leben als irgendwie hohl zu erkennen, Propheten, zu denen wir hingehen, um zu fragen: „Brüder, was sollen wir tun?“


Nach oben