Notizbuch: Ibrahims neunter Geburtstag
Süddeutsche Zeitung (Seite 10)
Cathrin Kahlweit
Ibrahims neunter Geburtstag Wie in Eritrea ein Kinder-Geburtstag gefeiert wird, ist in Deutschland unbekannt. Vielleicht auch mit Schnitzeljagd oder Topfschlagen? Die Beamten vom Bundesgrenzschutz (BGS) am Frankfurter Flughafen mögen, da sie seit Jahren immer wieder auch Kinder betreuen müssen, eine gewisse Erfahrung gesammelt haben. Ob sie sich mit eritreischen Geburtstagsfeiern auskennen, bleibt dahingestellt.
Der kleine Ibrahim, der Mitte dieser Woche neun Jahre alt geworden ist, feierte seinen großen Tag jedenfalls weder beim Vater, der als Flüchtling in England lebt, noch in Deutschland, wo seine Mutter mit ihm Zuflucht gesucht hatte. Er feierte im Niemandsland des Gebäudes C 182 am Rhein-Main-Flughafen, einem tristen Betongebäude mit vergitterten Fenstern und Resopaltischen. Dort sitzen Ibrahim und seine Mutter seit dem 10. Oktober 1997 und dürfen nicht vor und nicht zurück.
Als sie vor vier Monaten am Frankfurter Flughafen eintrafen und Asyl beantragten, wurde ihnen vom ‚Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge‘ die Einreise verweigert. Sie sollten dahin zurückgeflogen werden, wo sie herkamen: in den Sudan, wohin sich Mutter und Kind aus Eritrea geflüchtet hatten. Doch die Abschiebung funktionierte nicht, der Sudan verweigerte die Aufnahme. Also flog man sie wieder nach Frankfurt – quasi direkt vor die Tür von C 182.
Eigentlich dürfte das gar nicht sein. Seit das Oberlandesgericht Frankfurt im November 1996 festgelegt hat, daß abgewiesene Flüchtlinge ohne richterlichen Bescheid nicht auf längere Zeit im Transitbereich festgehalten werden dürfen, müßten abgelehnte Asylbewerber wie Ibrahim und seine Mutter eigentlich einreisen dürfen. Aus Mangel an erkennbaren Alternativen hat die Mutter jedoch eine sogenannte ‚Freiwilligkeitserklärung‘ unterschrieben, die der BGS nach dem Gerichtsbeschluß eingeführt hat. Danach sitzen die beiden nach offizieller Lesart freiwillig im Transit – bis eine Lösung des Problems gefunden ist.
‚Pro Asyl‘, die ‚Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge‘ mit Sitz in Frankfurt, beklagt, daß die lange Aufenthaltsdauer von Mutter und Kind trotz der sogenannten Freiwilligkeitserklärung als haftähnliche Unterbringung zu gelten habe und damit gegen die Kinderrechtskonvention verstößt. Und nach dem ‚Dubliner Abkommen‘ hätte der BGS Mutter und Kind bei ihrer Ankunft sagen müssen, daß die Möglichkeit besteht, das Asylverfahren der beiden auch in Großbritannien durchzufechten, wo der Vater des Kindes lebt. Aber das geschah nicht.
Vom Bonner Innenministerium war dazu gestern nichts zu hören: Man feiere Karneval. Die Rechtsanwältin von Ibrahims Mutter erwägt eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Nach Auskunft von Pro Asyl hat sich der Gesundheitszustand der Mutter in den vergangenen Wochen stark verschlechtert. Wie sich der neunjährige Ibrahim nach vier Monaten in den heruntergekommenen Räumen des Transitgebäudes fühlt, ist nicht bekannt.