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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1967 ::: ARCHIV KIRCHE 1967 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 18. – 23. September 1967

RADIO KURZPREDIGTEN

Moderner Psalm


Der südamerikanische Dichter Ernesto Cardenal hat sich als junger Mensch gegen die Diktatur eines General Somoza aufgelehnt. Er wurde verhaftet, geschlagen, gefoltert. Eine Verschwörung, in die er mit der jungen Intelligenz seines Landes verwickelt war, wurde von der Polizei aufgedeckt. Nur mit knapper Not konnte er entkommen. Von ihm stammt folgender Gebetstext:
„Höre meine Worte, Herr, höre mein Seufzen, höre meinen Protest, denn du bist Gott und kein Freund der Diktatoren, du folgst nicht ihrer Politik, noch achtest du auf ihre Propaganda. Du hast mit Gangstern nichts gemein.“
Das klingt einerseits hochmodern, andererseits aber auch wieder altvertraut. Es handelt sich um die dem Psalm 5 entsprechenden Sätze. In der Bibel heißt die Stelle: „Du bist kein Gott, dem das Unrecht gefällt; der Böse hat kein Bleiben bei dir, die Frevler können vor Dir nicht bestehen, in ihrem Mund ist keine Wahrhaftigkeit, hinterlistige Pläne ersinnt ihr Herz“ und dann die Bitte, die jedem anständigen Menschen aus dem Herzen gesprochen ist: „Strafe sie, Herr! Aus ihren Plänen sollen sie fallen!“ In der modernen Nachdichtung heißt es dafür: „Ihre Reden sind unaufrichtig wie ihre Presseerklärungen (…). Die ganze Nacht lang streuen ihre Radiosender Lügen aus, verbrecherische Pläne füllen die Akten ihrer Büros (…). Straf‘ sie, oh Gott! Lass‘ scheitern ihre Politik! Bringe ihre Memoranden durcheinander! Verhindere ihre Programme (… ). Wenn die Sirene heult, wirst Du mir beistehen, meine Zuflucht bist Du am Tage der Bombe.“

Hier betet ein Mann, der sich in einer ähnlichen Situation befindet wie sein unbekannter Vorgänger vor Tausenden von Jahren. Daher verbietet es sich auch, von Nachdichtung zu sprechen. Diese Texte sind nicht nachgedichtet, sondern nacherlebt, Ernesto Cardenal hat das, was er beschreibt oder im Gebet herausschreit, am eigenen Leib erfahren.

Jetzt verstehen wir, wie dieses Gebet entstehen konnte. Seine Anlehnung an die Psalmen ist kein literarischer Gag, sondern entspricht einer inneren Folgerichtigkeit bis hin zu der Bitte um Rache und Vergeltung.

Mittlerweile hat sich Cardenal von der Politik abgewandt. Er ist Mönch in einem strengen Trappistenkloster geworden. Was bedeutet dieser Wandel in seinem Leben? In einem Brief nimmt er dazu Stellung: „Die Politik geht mich immer an, aber ich sehe sie mit anderen Augen als meinen früheren, ich sehe z.B., daß Somoza (des Diktators) Wurzeln tiefer sind, und daß sie sich manchmal auch in mir zeigen, in meinem täglichen Schaffen. Die Diktatoren sind in uns. Die H-Bombe ist in unserem Innern.“

„Die Diktatoren sind in uns, die H-Bombe ist in unserem Innern“. Sind damit die ursprünglichen Ziele des Revolutionärs aufgegeben? Wie kann der Mönch Cardenal jetzt noch seinen Psalm beten, in dem es heißt: „Du bist kein Freund der Diktatoren (… ) meine Zuflucht bist Du am Tage der H-Bombe?“, wenn der Diktator in mir ist und auch die H-Bombe. Was bleibt dann – es sei mir das Wort gestattet – von dem schmerzlichen ‚Protestsong‘ übrig? Nun, er hört auf, ein Lied des politischen Umsturzes zu sein, und doch bleibt er ein umstürzlerisches Lied, da mein Inneres mit in diesen Umsturz einbezogen ist. Übrigens nennt man einen derartigen Umsturz, den entscheidendsten Umsturz in dieser Welt, in der Sprache der Psalmen „Buße“.


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