TAG DES FLÜCHTLINGS 1998
Internationale Menschenrechtsabkommen
und die Anwendung in Deutschland
Hubert Heinhold
Herausgegeben zum Tag des Flüchtlings am 2. Oktober 1998
Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Stiftung für UNO- Flüchtlingshilfe e. V., dem Deutschen Caritasverband e. V., dem Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit und dem Interkulturellen Beauftragten der Ev. Kirche in Hessen und Nassau.
Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger (27. September bis 3. Oktober 1998) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.
INHALT
- I. WER MENSCHENRECHTE VERGISST, VERGISST SICH SELBST.
- Initiativen zum Tag des Flüchtlings 1998
- UN-Kritik an Deutschland
- Menschenrechte und Asyl – Hubert Heinhold
- siehe auch: Europas neuer Pförtner (Beat Leuthardt)
- »Wer Menschenrechte vergißt, vergißt sich selbst.« Mindestanforderungen an ein neues Asylrecht
- Die Ausländerpolitik neu gestalten – Nein zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus
- Der Einstieg in den Ausstieg aus dem Völkerrecht
- Kinderflüchtlinge – Flüchtlingskinder
- »Verfolgte Frauen schützen!« Zwischenbilanz und Perspektiven der Kampagne
- Europäisches Parlament: Entschließung zur Achtung der Menschenrechte in der Europäischen Union
- Menschenrechte – Kein Thema für Deutschland?
- II. RECHTLOS IN DEUTSCHLAND
- Leben in der Illegalität – Eine Bestandsaufnahme
- Schlepper, Schleuser, …. – Von Fluchthelfern und Wegelagerern
- III. SOZIAL AUSGEGRENZT
- Gängelung, Entmündigung, Entrechtung, Aushungerung – Die Realität des Asylbewerberleistungsgesetzes
- Ausgrenzung kommt von oben – Kontinuitäten der Sozialpolitik von Weimar bis heute
- Die erfundene Massenflucht
- IV. DER EINZELFALL ZÄHLT
- Bundesarbeitsgemeinschaft »Asyl in der Kirche« ausgezeichnet
- Kurdische Flüchtlinge aus dem Irak – Ein Beispiel für die Entrechtung von Schutzsuchenden
- Kurzinformationen zu der Situation in den Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen
- Der Widerstand der Nonnen von Dinklage gegen den Bruch eines Kirchenasyls
- Entscheidungsdruck und rassistische Textbausteine – die Anhörung von Asylsuchenden beim Bundesamt
- Gewalttätiger Abschiebealltag
- Gefangener des Verfahrens – Tutsi als Buchautor
- »Kurdische Männer halten viel aus«
1) Die Menschenrechte
Zunächst gilt es, den Begriff der Menschenrechte zu klären.
Allgemein werden darunter „die angeborenen, unveräußerlichen Rechte und Grundfreiheiten, die dem einzelnen nicht aufgrund staatlicher Verleihung, sondern kraft seines Menschseins zustehen und die deshalb im Unterschied zu den Bürgerrechten von der Staatsangehörigkeit unabhängig sind“ verstanden.
Diese Idee der natürlichen Gleichheit und Freiheit aller Menschen formulierte schon die Schule der Stoa im 3. vorchristlichen Jahrhundert, ihr entspricht im jüdisch-christlichen Weltbild die Lehre von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.
Daß eine Übereinstimmung zwischen diesen universalen und unstrittigen Ideen und dem Recht nicht zwingend ist, zeigt ein Blick in die Geschichte, die die Ausgrenzung einer Vielzahl von Menschen legitimierte. Die Heloten im alten Sparta, die westafrikanischen Sklaven, die nach Amerika verschleppt wurden, die einem religiösen Fanatismus geopferten Frauen des Mittelalters oder Indiens und schließlich die von unseren Vätern und Großvätern industriell vernichteten, als „unwert“ definierten Menschen dürften diese Theorien wenig getröstet haben.
Entscheidend ist daher: Was ist als „Recht“ einklagbar? Welcher „Scheck ist gedeckt“?
1.1 Die Entwicklung der Menschenrechte
Die Idee der Menschenrechte ist vergleichsweise jung. Sie beginnt mit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 12.06.1776 („Bill of Right“), findet ihren herausragenden Ausdruck in der französischen Revolution mit der „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ vom 26.08.1789 und geht von da aus kontinuierlich in alle nationalen modernen Verfassungen ein.
Völkerrechtlich spielten die Menschenrechte gleichwohl zunächst keine Rolle. Soweit der Blick über den nationalen Tellerrand erhoben wurde, war das staatliche Interesse darauf gerichtet, durch Handels- Freundschafts- oder Niederlassungsverträge die Spannungen auszugleichen und nationalstaatliche Interessen zu fördern. Der einzelne wurde allenfalls reflexartig ins Blickfeld genommen. Eine Verletzung des eigenen Bürgers durch einen fremden Staat war nur als Verletzung eines Staatsvertrages, aber nicht als Menschenrechtsverletzung relevant.
Erst unter dem Eindruck der Menschenrechtsverletzungen während des 2. Weltkriegs gelang der Wandel vom Zwischen-Staaten-Recht hin zu einer Institutionalisierung des Schutzes der Menschenrechte.
1945 bekräftigte die Charta der Vereinten Nationen den Glauben ihrer Mitglieder an die Grundrechte des Menschen und setzte sich das Ziel, durch internationale Zusammenarbeit „die Achtung von Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschiede der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“ (Art. 1 Ziff.3).
Am 10.12.1948 beschloß die UN-Generalversammlung die „allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ die den Inhalt der Menschenrechtsgarantien aufzählte, ohne selbst völkerrechtlich verbindlich zu sein. Da sich seither aber zahlreiche Beschlüsse der UNO, andere Konventionen und amtliche Erklärungen sowie Staatsverfassungen auf diese Deklaration berufen haben, ist unstrittig, daß zumindest der harte Kern der Rechte und Gewährleistungen als Völkergewohnheitsrecht verbindlich ist.

Einen großen Schritt zur internationalen Garantierung der Menschenrechte stellt der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 dar, den die Bundesrepublik Deutschland am 17.12.1973 ratifiziert hat. Der Pakt garantiert eine Reihe von grundlegenden Menschenrechten und verpflichtet die Vertragsstaaten, über die Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung der anerkannten Rechte getroffen haben, regelmäßig Berichte vorzulegen. Dieser Pakt ist von mehr als 70 Staaten unterzeichnet, womit ein Großteil der von der allgemeinen Erklärung formulierten Menschenrechte in völkerrechtliche Vertragspflichten umgegossen wurde.
Am 07.03.1966 wurde das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung geschlossen, das die Bundesrepublik am 16.05.1969 ratifiziert hat. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1994 verpflichtet die Vertragsstaaten, wirksame Maßnahmen zu treffen, um Folterungen und unmenschliche Behandlung zu verhindern. Es wurde von Deutschland am 01.10.1990 ratifiziert.
Zu erwähnen ist auch das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20.11.1989, das die Bundesrepublik Deutschland am 05.04.1992 ratifiziert hat , auch wenn bei Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde am 10.07.1992 eine Vorbehaltserklärung abgegeben wurde.
Dies sind nur die wichtigsten der Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen.
Wichtiger für den Menschenrechtsschutz in Deutschland sind die Regelungen, die auf der Ebene des Europarates getroffen wurden. Die zentrale Norm hierbei ist die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950, die EMRK, die von der Bundesrepublik Deutschland am 05.12.1952 ratifiziert wurde und am 03.09.1953 in Kraft trat. Große Bedeutung erlangt die EMRK dadurch, daß sie durch die in Art. 25 gewährleistete Individualbeschwerde zu dem in Straßburg ansässigen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein wirksames, effektives Instrument zur Durchsetzung der Individual-Menschenrechte geschaffen hat. Erst hierdurch und durch die auch bei der Auslegung der nationalen Verfassung vorgreiflichen Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofes wurde ein wirkliches „hartes Recht“ geschaffen und dem Gedanken des individuellen, einklagbaren Menschenrechts zumindest auf der Ebene der 38 Vertragsstaaten des Europarates zur Durchsetzung verholfen.
Neben dieser zentralen Norm gibt es noch andere Regelungen, wie die Europäische Sozial-Charta vom 18.10.1961 oder das Übereinkommen zum Schutz der Menschen bei der automatischen Bearbeitung personenbezogener Daten vom 28.01.1991 auf der Ebene des Europarates oder die Richtlinie des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen vom 09.02.1976 auf der Ebene der europäischen Gemeinschaften, die Menschenrechte bekräftigen, ohne daß ihnen ein vergleichbares Gewicht zukäme.
Ein Asylrecht jedoch ist lediglich in Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthalten. Hierbei handelt es sich nach einhelliger Meinung nicht um Völkervertragsrecht, sondern nur um ein „großartiges Programm“, das dazu aufruft, nun endlich den Menschen und seine Würde zum zentralen Punkt staatlichen Handelns zu machen“.
1.2 Die Menschenrechte und das Grundgesetz
Es wurde schon gesagt, daß die Idee der Menschenrechte Eingang in die nationalen Verfassungen fand. Das Grundgesetz enthält in seinem Art. 1 das apodiktische Bekenntnis zu der Unantastbarkeit der Menschenwürde als oberstes Verfassungsgut, als tragendes Konstitutionsprinzip“.
Die Menschenwürde ist der „höchste Rechtswert“ innerhalb der Verfassungsordnung. Art. 1 Abs.2 GG enthält darüber hinaus in dem Bekenntnis zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt, ein „Versprechen an die Völkergemeinschaft“, das durch Art. 1 Abs.3 GG für die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht bindend erklärt wurde.
Da auch der nachfolgende Grundrechts-Katalog die Menschenrechte vollständig umfaßt, ist innerstaatlich – de lege lata – alles in Ordnung.
Die Menschenrechte sind Bestandteil unserer Verfassung.
1.3 Der Inhalt der Menschenrechte
Es würde den Rahmen dieser Ausarbeitung sprengen, den Inhalt und Umfang der Menschenrechte im einzelnen darzustellen. Für unseren Zweck – Überprüfung der Situation der Flüchtlinge in Deutschland – genügt die Betrachtung der wesentlichen Grundsätze:
1.3.1 „Asylrecht ist Menschenrecht“ erklärte nicht nur der frühere Vertreter des UNHCR in Bonn, Walter Koisser, sondern auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, wenn sie das Asylrecht in ihrem Art. 14 verankert.
- Gleichwohl entspricht dieser Ansatz nicht der herrschenden Meinung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, daß die EMRK ein Asylrecht nicht gewährleistet.
- Auch das Völkerrecht gewährleistet nach einhelliger Meinung ein Asylrecht nicht.
- Ein individuelles Asylrecht ist nur eine Zielvorgabe. Es existiert nicht als „hard law“.
- Nachdem das BVerfG in der Drittstaaten-Entscheidung ausdrücklich festgehalten hat, daß auch das Grundrecht auf Asyl „zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers“ stehe und damit für die nationale Verfassung verbindlich entschieden hat, daß es derzeit eine völkervertragliche Verankerung des Asylgrundrechtes nicht gibt, sei dieser Frage hier nicht weiter nachgegangen. Vielmehr soll nachstehend diskutiert werden, inwieweit andere, für die Bundesrepublik Deutschland unstrittig gültige Menschenrechte auf Flüchtlinge angewandt werden.
1.3.2 Zum unstreitigen Inhalt der Menschenrechte zählen:
- Das Recht auf Leben
- das Verbot von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung
- das Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit
- das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit
- das Recht auf Rechtsschutz, gerichtliches Gehör und Schutz der Mernschenwürde der Gefangenen sowie
- die Unschuldsvermutung
- das Verbot der Diskriminierung
- das Recht auf Gedanken-, Gewissens-, Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinsfreiheit
- der Grundsatz „nulla poena sine lege“
- das Recht auf Achtung der privaten Sphäre und Schutz der
- Ehe und Familie
und schließlich das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, das in den genannten Konventionen nicht ausdrücklich erwähnt ist, sich aber als Substrat zwingend ergibt.
Es wird keine ernsthafte Diskussion darüber geben, daß all diese Rechte auch in Deutschland prinzipiell und grundsätzlich als Menschenrechte akzeptiert sind, auch wenn sie teilweise (wie etwa die Versammlungsfreiheit) unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt werden können.
Dieser Rechte-Katalog beschreibt den common sense der zivilisierten Welt. So hat ein Staat Menschen zu behandeln, ohne daß es darauf ankommt, ob sie „Bürger“ oder „Ausländer“ oder gar nur „Asylbewerber“ sind.
2) Die Situation in Deutschland
Flüchtlinge in Deutschland unterliegen sowohl gesetzlichen als auch tatsächlichen Restriktionen, die eine Verletzung dieser Normen und damit der Menschenrechte beinhalten.

Nicht alle können hier aufgelistet werden. Ich beschränke mich auf einige, mir wesentlich erscheinende Aspekte.
2.1 Die Drittstaaten-Regelung
Die Drittstaaten-Regelung führt zu einem Ausschluß schutzbedürftiger Personen und damit zu einer Verletzung ihrer Menschenrechte.
Eine Einzelfallprüfung findet bei einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat nicht mehr statt. Deutschland hat seine Verantwortlichkeit an die Nachbarstaaten delegiert. Diese Pauschalierung des Asyl- und Menschenrechtsschutzes führt im Einzelfalle dazu, daß es zu einer Abschiebung in einen Viertstaat kommt, ohne daß hiergegen ein wirksamer Rechtsschutz in Deutschland erhalten werden könnte und ohne daß sichergestellt ist, daß sie ihn im Drittstaat erhalten.
2.1.1 Dies führt im Einzelfall zu einer Verletzung des Verbots der Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe und des Rechts auf Leben. Denn eine Kettenabschiebung ist nicht ausgeschlossen, weil und solange ein effektiver Rechtsschutz dem Flüchtling nicht zur Seite steht. Erst vor kurzem berichtete die Süddeutsche Zeitung von der Situation der Flüchtlinge in Rußland, Beat Leuthart beschrieb in seinem Buch „Europas neue Pförtner“ eindringlich, wie es zur Kettenabschiebung kommen kann.
2.1.2 Die Drittstaatenregelung verletzt auch der Schutz der Familie. Nach der Rechtsprechung des BVerwG soll Familienasyl nach § 26 AsylVfG nur dann gewährt werden, wenn der Familienangehörige auf dem Luftweg oder mit einem Visum nach Deutschland gekommen ist. Bei einer Einreise über einen sicheren Drittstaat greife die Regelung von § 26a AsylVfG ein, so daß der Familienangehörige auch kein Familienasyl erhalten könne. Er müsse erst wieder ausreisen und einen Visumsantrag stellen.
- Diese – formaljuristisch diskutable – Rechtsprechung führt zu dem absurden Ergebnis, daß nur die Land-Einreise über Tschechien, Polen und die Schweiz zum Ausschluß des
- Asylrechts führt. Denn bei allen anderen Nachbarstaaten handelt es sich um Schengen- bzw. Dublin-Vertragsstaaten, bei denen Art. 4 DÜ und Art. 35 SDÜ bewirken, daß Deutschland für die Prüfung der Asylbrechtigung der Familienangehörigen zuständig ist und infolgedessen die Drittstaatenklausel nicht eingreift.
- Eine solche Auslegung der nationalen Bestimmungen enthält einen Verstoß sowohl gegen den Gleichheitssatz als auch gegen das Gebot des Schutzes der Ehe und Familie.
- Der Gleichheitssatz ist verletzt, weil es keinen sachlichen Differenzierunggrund gibt, warum der Ehepartner eines Flüchtlings, der über die Schweiz einreist, anders behandelt werden soll als jener, der über Österreich kommt. Im einen Falle wird er zurückgeschickt, im anderen Falle bekommt er Familienasyl.
- Anknüpfungspunkt für die Asylrechts-Zubilligung nach § 26 AsylVfG ist nicht eine eigene Verfolgung – eine solche wird nicht vorausgesetzt -, sondern ausschließlich die familiäre Verbundenheit. An dieser ändert sich nichts, ob der Flüchtling über Österreich oder über die Schweiz kommt.
- Zu berücksichtigen sind insbesondere die praktischen Folgen einer Zurückweisung oder Abschiebung. Diese erfolgt oft nicht an das Transit-Land (welches regelmäßig die Rückübernahme verweigert), sondern an das Herkunftsland, also den potentiellen Verfolgerstaat, bei dem es sich ja um einen – wie die Rechtsprechung dies in anderem Zusammenhang formuliert hat -„unduldsamen“ Staat handelt, dem ein Zugriff auf die Familienangehörigen eines Verfolgten nicht fern liegt.
- Selbst wenn aufgrund einer individuellen Prüfung von Abschiebungshindernissen die Wahrscheinlichkeit einer solchen Verfolgung verneint wurde, bleibt ein gewisses Restrisiko. Diesem werden jener Ehegatte und die Kinder ausgesetzt, die nicht über einen Dublin-Staat eingereist sind.
- Hinzu kommt, daß nach den ausländerrechtlichen Bestimmungen ein Familiennachzug nur sehr restriktiv zugebilligt wird. Manche der Asylberechtigten erfüllen die allgemeinen Voraussetzungen von § 17 AuslG nicht, so daß ein Rechtsanspruch nicht besteht.
- Flüchtlinge im Sinne der GK haben meist keinen Rechtsanspruch, sondern nur ein Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung.
- Im Ergebnis führt damit der Reiseweg zu einer Differenzierung des Schutzes der Ehe und Familie und zur Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, die als Menschenrechte gewährleistet sind.
2.2 Das Flughafen-Verfahren
Einer der Kernpunkte der Gesetze zur Asylrechtsänderung war die Einführung des Flughafen-Verfahrens. Das BVerfG hat dies grund-sätzlich gebilligt.
Obwohl es in seiner Flughafen-Entscheidung Nachbesserungen verlangt hat, sind damit Verstöße gegen die Menschenrechte nicht ausgeräumt.
Dies aus mehreren Gründen:
2.2.1 Die Vorgaben, eine asylrechtskundige und neutrale Beratung zu installieren, sind bislang nicht umgesetzt. Die bisherigen Vorstellungen des BMI stoßen auf die relevante Kritik nicht nur der mit diesen Verfahren vertrauten Anwälte und Sozialdienste, sondern auch des UNHCR. Eine asylrechtskundige Beratung ist nicht sichergestellt und wird nicht sichergestellt werden, wenn das BMI seine Vorstellungen durchsetzt. Damit ist gegenwärtig und künftig der Grundsatz der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes verletzt.
2.2.2 Generell trägt das Flughafen-Verfahren den menschenrechtlichen Standards nicht Rechnung. Dies ergibt sich zum einen aus dem institutionalisierten Zeitdruck, zum anderen aus der besonderen Situation der am Flughafen arretierten Schutzsuchenden, die es traumatisierten Flüchtlingen nicht ermöglicht, sich zu offenbaren, und zum dritten aus den mangelnden Rechtsschutzmöglichkeiten.
- Dabei mag es durchaus so sein, daß eine relevante Anzahl der Schutzsuchenden keine beachtlichen Fluchtgründe vorbringen kann – die „offensichtlich-unbegründet-Entscheidung“ sich also im Ergebnis als richtig erweist. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Denn der Menschenrechtsschutz ist absolut. Dies folgt aus seinem Wesen. Er hat das einzelne Individuum im Blickpunkt. Eine Wahrscheinlichkeitsrechnung dahingehend, daß angeblich über 90 Prozent der Fälle eindeutig unbegründet seien und allenfalls wenige Prozent diskutabel, verbietet sich unter dem Absolutheitsanspruch eines individuellen Menschenrechtsschutzes. Er gestattet keine Statistikopfer, sondern nimmt umgekehrt in Kauf, daß jemand zu Unrecht Schutz erhält.
- Legt man diese Maßstäbe an die Flughafen-Regelung an, kann sie keinen Bestand haben. Weder findet stets eine ordnungsgemäße Aufklärung des Sachverhalts statt, noch ist ein ausreichender Rechtsschutz gewährleistet. Die formale Überprüfung durch nur eine justitielle Instanz gewährleistet ihn nicht, solange der Flüchtling die (auch vom BVerfG geforderte) asylrechtskundige, neutrale und angstfreie Beratung nicht erhalten hat und ihm nicht ausreichende Mittel zur Durchsetzung seines Rechtes an die Hand gegeben sind, etwa durch die Stellung eines Pflichtanwalts.
- Das Flughafen-Verfahren beinhaltet daher ein erhebliches Risiko von Menschenrechtsverletzungen durch eine ungerechtfertigte Rückschiebung und trägt dem Gebot der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes nicht Rechnung.
2.3 Die Anwendung der GK
Das Refoulment-Verbot der GK, also das Verbot der Überstellung eines Flüchtlings an den Verfolgerstaat, das als Völkerrecht anerkannt ist, ist das zentrale Menschenrecht der Flüchtlinge.
Es ist höchst fraglich, ob das Refoulment-Verbot von Art. 33 der Genfer Füchtlingskonvention als Kriterium verlangt, daß die Verfolger staatliche Organe sein müssen.
Dies wird von der deutschen Rechtsprechung mehrheitlich und obergerichtlich behauptet.
Der UNHCR hat stets erklärt, daß eine Staatlichkeit nicht verlangt sei. Entscheidend sei vielmehr, daß der Betreffende verfolgt werde und einen Schutz nicht erhalte. Dies sei auch internationaler Standard und werde durch die Rechtsprechung in verschiedenen Vertragsstaate zur GFK oder dem Protokoll von 1997 bestätigt. Die deutsche Rechtsprechung führe zu einer „Schutzlücke“.
Die höchstrichterliche deutsche Entscheidungspraxis hat dies ignoriert.
Eine ähnliche Abweichung zwischen der nationalen Rechtsprechung und der internationalen Interpretation der GFK existiert zum Flüchtlingsbegriff im Sinne von Art. 1 A Nr. 2 GFK:
Obwohl das BVerfG ausdrücklich festgehalten hat, daß Art. 1 „eine begründete Furcht vor Verfolgung voraussetzt und damit zuallererst auf das subjektive Moment der Verfolgungsangst abstellt, für die allerdings gute Gründe gegeben sein müssen“, und konstatiert, daß im Gegensatz hierzu das deutsche Asylgrundrecht „von einer objektiven Beurteilung der Verfolgungsgefahr“ ausgeht, behauptet die Rechtsprechung des BVerwG die praktische Identität:
„Demgegenüber geht das Asylrecht zwar von einer objektiven Würdigung … aus, stellt aber zugleich auch darauf ab, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, so daß letztlich auch im Asylrecht der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit einer Heimkehr in den Heimatstaat entscheidend ist. Damit sagen Art. A 2 GK und Art. 16 a Abs.1 GG der Sache nach dasselbe aus, so daß sich der unterschiedliche rechtliche Ansatz … nicht auswirkt“.
Dies mag für eine Vielzahl der Fälle zutreffen, in Randbereichen wird jedoch der Unterschied zwischen dieser nationalen Interpretation und der internationalen Auslegung relevant.
Die unterschiedliche Interpretation der Schutzbestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention führt damit in Einzelfällen Flüchtlinge durch die Rückführung in den Verfolgerstaat einer menschenrechtswidrigen Behandlung und Folter zu. Die vom UNHCR beklagte Schutzlücke besteht aufgrund der nationalen, einengenden Auslegung internationalen Rechts.
2.4 Die Anwendung der EMRK
Eine Schutzlücke besteht auch im Hinblick auf die zentrale Bestimmung der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem Schutz vor menschenrechtswidriger Behandlung und Folter, wie er durch Art. 3 EMRK gewährleistet ist.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einer Reihe von Entscheidungen Grundsätze aufgestellt, wann eine menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK vorliegt.
Das BVerfG hat schon früh die Verbindlichkeit dieser Rechtsprechung auch für deutsche Gerichte festgehalten – wenn auch nicht in Zusammenhang mit Art. 3 EMRK, sondern der Unschuldvermutung. Es hat ausgeführt:
„Bei der Auslegung des Grundgesetzes sind auch Inhalt und Entwicklungsstand der europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt, eine Wirkung, die die Konvention indes selbst ausgeschlossen wissen will (Art. 60 EMRK). Deshalb dient insoweit auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes. Auch Gesetze … sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind, als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag; denn es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will.“
(BVerfG, a.a.O., S. 370)
Dem widersetzt sich das BVerwG. Nachdem es zunächst versucht, die einschlägige Entscheidung des Gerichtshofes in Sachen ‚Ahmed ./. Österreich‘ entgegen ihrem Wortlaut zu interpretieren, fährt es dann fort:
„Selbst wenn aber die Entscheidung des Gerichtshofes dahin zu verstehen sein sollte, daß Art. 3 EMRK bei der Beurteilung von Auslandsfolgen aufenthaltsbeendender Maßnahmen weder ein staatliches noch ein quasi-staatliches Handeln verlangt, könnte der Senat dieser Rechtsprechung aus den oben erläuterten Gründen nicht folgen. Der Oberbundesanwalt hat zutreffend ausgeführt, daß die Entscheidung insoweit keine rechtliche Bindungswirkung über den Kreis der am Verfahren unmittelbar Beteiligten und über den entschiedenen Einzelfall hinaus entfaltet.“
- eine formaljuristische Argumentation, die der Forderung des BVerfG, nationale Gesetze entsprechend der Rechtsprechung des EGMR auszulegen, den Gehorsam verweigert.
- In einem Interview hat dies der Vorsitzende des zuständigen Senats nochmal bekräftigt:
„Der Senat hat allerdings ausgeführt, daß und warum er der Rechtsprechung des EGMR nicht folgen kann, falls sie so zu verstehen sein sollte, daß Art. 3 EMRK … weder ein staatliches noch ein quasi-staatliches Handeln verlangt.“
Deutlicher wurde in Deutschland das Abrücken von den Menschenrechten noch nie erklärt. Ein deutscher Sonderweg, weg von den internationalen Regelungen, wird beschritten.
2.4.1 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zu Art. 3 EMRK zwischenzeitlich eine eindeutige Systematik aufgebaut. Nach der Feststellung, daß ein Recht auf politisches Asyl weder in der EMRK noch in ihren Protokollen enthalten ist, stellt der Gerichtshof fest, daß die Abschiebung, Zurückweisung oder Ausweisung eines Ausländers durch einen Vertragsstaat eine Verantwortlichkeit
- „dieses Staates nach der Konvention auslösen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme aufgezeigt worden sind, daß die fragliche Person im Falle ihrer Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt wäre, im aufnehmenden Staat einer mit Art. 3 EMRK unvereinbaren Behandlung unterworfen zu werden. Unter diesen Umständen schließt Art. 3 EMRK die Verpflichtung ein, die fragliche Person nicht in dieses Land abzuschieben“ (vgl. Soering-Urteil vom 07.07.89 … Cruz Varas-Urteil vom 20.03.91 … und das o.g. Vilvarajah-Urteil).
Es geht also um die Verantwortlichkeit des abschiebenden Staates! Nicht nur der Staat, der am Ende der Kette foltert, sondern auch der, der den Flüchtling dem Folterer überantwortet, verletzt die Menschenrechte!
Der Unterschied zwischen der Rechtsprechung des BVerwG und der des EGMR besteht im wesentlichen darin, daß das BVerwG „ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte Person gerichtetes Handeln“ verlangt, welches „vom Staat oder ausnahmsweise von staatsähnlichen Organisationen ausgehen muß,“ während es nach der Rechtsprechung des EGMR hierauf nicht entscheidungserheblich ankommt, weil die Verletzungshandlung ja die Abschiebung selbst darstellt. Allenfalls indirekt spielt dies eine Rolle, nämlich dann, wenn im Zielstaat staatlicher Schutz vor der (nichtstaatlichen) menschenrechtswidrigen Behandlung erlangt werden kann. Während der EGMR diese Systematik in früheren Entscheidungen nicht deutlich herausgearbeitet hat, lassen die jüngeren Entscheidungen hieran keinen Zweifel. Im Fall ‚H.L.R. ./. Frankreich‘ heißt es:
„Dem absoluten Charakter des geschützten Rechts Rechnung tragend, schließt der Gerichtshof die Möglichkeit nicht aus, daß Art. 3 EMRK Anwendung findet, wenn die Gefahr von Personen oder Personengruppen ausgeht, die kein öffentliches Amt innehaben. Es muß jedoch dargelegt werden, daß das Risiko tatsächlich besteht und daß die Behörden des Aufnahmestaates nicht in der Lage sind, dem Risiko durch angemessenen Schutz vorzubeugen.“
Noch deutlicher legt der Fall ‚D. ./. Vereinigtes Königreich‘, offen, daß es nicht auf eine zielgerichtete, staatliche Handlung im Sinne einer Menschenrechtsverletzung ankommt, damit eine Abschiebung als gegen Art. 3 EMRK verstoßend angesehen werden kann. Dort ging es um einen an Aids im Endstadium erkrankten, straffälligen Ausländer, der in ein Entwicklungsland abgeschoben werden sollte, in dem die medizinische und soziale Versorgung unzureichend ist.
Der Gerichtshof erinnert daran, daß bisher eine menschenrechtswidrige Behandlung in Fällen angenommen wurde,
„in denen die Gefahr für das Indivuum, irgendeiner der verbotenen Behandlungsweisen ausgesetzt zu werden, von vorsätzlich durchgeführten Maßnahmen der öffentlichen Gewalt des Empfangsstaates oder solchen nichtstaatlicher Organisationen in diesem Staat herrührte, sofern die Behörden außerstande waren, ihm einen angemessenen Schutz zu gewähren.“
Der Gerichtshof führt sodann weiter aus, die grundlegende Bedeutung von Art. 3 EMRK verlange eine ausreichende Flexibilität bei seiner Auslegung. Seine Anwendung sei nicht ausgeschlossen,
„wenn die Gefahr einer verbotenen Behandlung im Empfangsstaat von Faktoren herrührt, die weder unmittelbar noch mittelbar die Verantwortung der staatlichen Behörden dieses Staates auslösen oder die, für sich genommen, die Maßstäbe dieses Artikels nicht verletzen.“
Im Ergebnis resümiert der Gerichtshof dann „im Hinblick auf diese außergewöhnlichen Umstände und unter Berücksichtigung des kritischen Stadiums der schrecklichen Krankheit des Antragstellers“, daß, „obwohl man nicht sagen kann, daß die Verhältnisse, mit denen er im Aufnahmeland konfrontiert wäre, für sich genommen eine Verletzung der Maßstäbe des Art. 3 EMRK darstellen …, seine Abschiebung ihn der tatsächlichen Gefahr aussetzen (würde), unter besorgniserregenden Umständen zu sterben und … daher eine unmenschliche Behandlung darstellen (würde).“
Spätestens seit diesem Urteil liegt der Unterschied offen zutage: Während das BVerwG im Grundsatz nur die vorsätzliche Folter durch den Staat als Menschenrechtsverletzung im Sinne der EMRK geschützt sieht, sind für Straßburg die Folgen das entscheidende Argument.
Ich fürchte, daß es bald einen weiteren Streitpunkt geben wird:
Bei der Diskussion der Verschärfung des Ausländerrechts durch das Gesetz zur Änderung ausländer- und verfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29.10.1997, das am 01.11.1997 in Kraft getreten ist und das die Ausweisung erleichtert hat, wurde – wenn auch bisher nur vereinzelt – auch die Vorstellung geäußert, im Bereich des Abschiebungsschutzes der §§ 53 ff. AuslG eine § 51 Abs.3 AuslG entsprechende Regelung einzuführen, also eine Abschiebung zuzulassen, wenn der Betreffende eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit darstellt.
Noch wurde dieser Gesichtspunkt nicht vertieft. Er liegt dem deutschen Denken jedoch nicht fern.
Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall ‚Chahal ./. Vereintes Königreich‘ in bemerkenswerter Deutlichkeit festgehalten:
„Das von Art. 3 EMRK ausgesprochene Verbot von Mißhandlungen ist ebenso absolut in den Ausweisungsfällen. Sofern schwerwiegende Gründe für die Annahme dargelegt wurden, daß ein Individuum der Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung ausgesetzt wäre, wenn er in einen anderen Staat verbracht würde, ist folglich der Vertragsstaat verpflichtet, ihn im Fall einer Ausweisung vor solch einer Behandlung zu schützen … . Unter diesen Umständen können die Aktivitäten des betreffenden Individuums, auch wenn sie nicht wünschenswert oder gefährlich sind, keine wesentlichen Erwägungen sein. Der von Art. 3 EMRK verlangte Schutz ist daher umfassender als der von Art. 32 u. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention.“
Aufgrund dieser Erwägungen ging der Gerichtshof den Behauptungen der englischen Regierung, Chahal sei wegen terroristischer Aktivitäten eine Bedrohung für die natioanle Sicherheit, nicht nach. Hierauf kommt es nicht an. Auch der „Terrorist“ hat ein Recht auf Achtung seiner Menschenwürde.
2.4.2 Nicht ganz so klar und systematisch wie zu Art. 3 EMRK ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Art. 8 EMRK, dem Schutz der Ehe und Familie. Die Rechtsprechung ist bislang noch einzelfallorientiert. Gleichwohl ist auch hier eine deutliche Tendenz zu erkennen, den individual-menschenrechtlichen Schutz gegenüber den staatlichen Interessen zu stärken.
- In Deutschland ist die gegenteilige Entwicklung festzustellen. Das schon erwähnte Urteil des BVerwG vom 06.05.97, das das Familienasyl bei einer Einreise über einen sicheren Drittstaat ausschließt und damit dem Ehegatten die Ausreise abverlangt und ihn auf ein Visumsverfahren verweist, ist nur ein Beispiel. Die generelle, restriktive Familiennachzugspraxis – auch für Flüchtlinge im Sinne der GK – ist ein anderes. Wenn der Ehegatte aus einem Drittstaat kommt oder der anerkannte
- Flüchtling nicht genug verdient oder die Wohnung nicht ausreichend groß ist, verweigert die herrschende Praxis regelmäßig die Wiederaufnahme der ehelichen Beziehungen. Gleiches gilt beim Kindernachzug. Nur durch Jahre dauernde Prozesse kann der menschenrechtlich garantierte Schutz der Ehe und Familie eingeklagt werden – wenn überhaupt!
2.4.3 Mein Resümee zu der Anwendung der EMRK in Deutschland ist also ernüchternd: Die herrschende Praxis unterläuft die an sich bindende Rechtsprechung des Gerichtshofes für Menschenrechte, sie liegt weit unter dem verbindlichen Standard.
2.5 Die alltägliche Praxis
Nach diesen – mehr theoretischen – Darlegungen schaue ich auf den Alltag der Flüchtlinge: Wird ihre Menschenwürde, die den Kern der Menschenrechte darstellt, geachtet?
Nein, sie wird bei Asylbewerbern tagtäglich verletzt. Dies beginnt bei der ausgrenzenden Beschimpfung als „Asylanten“ und endet mit den – zunehmenden – Angriffen auf ihre körperliche Unversehrtheit und gelegentlich auch auf ihr Leben. Die generelle Lagerhaltung dieser Menschen, das ihnen auferlegte Arbeitsverbot, die vielfältigen Restriktionen, denen sie unterworfen sind, die teilweise mangelhafte Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens, die Bedingungen der Abschiebungshaft und die Durchführung der Abschiebung selbst, bewirken in vielen Einzelfällen eine Verletzung der Menschenwürde.
Die Richtigkeit dieser Behauptung wird nicht dadurch widerlegt, daß wir sie in der Vergangenheit schon oft aufstellen mußten und bisher nur wenig Gehör fanden.
Im Rahmen dieser Darlegung will ich nur die gravierendsten Mängel darstellen. Dabei sei klargestellt, daß nicht jede einzelne der kritisierten Maßnahmen stets – und auch nicht die Vielzahl der Restriktionen generell – eine Menschenrechtsverletzung bewirkt. Immer wieder aber stellt eine Maßnahme – und immer öfter die Summe der Maßnahmen -eine solche dar.
2.5.1 Verfahrensregelungen
2.5.1.1 Das AsylVfG steht unter dem Primat der schnellen, nicht aber der richtigen Entscheidungsfindung.
- Nicht nur beim Flughafen-Verfahren, sondern auch im regulären Verfahren ist ein effektiver Rechtsschutz oft nicht gewährleistet, weil eine sachkundige Beratung nicht erfolgt ist und Fehler im gerichtlichen Verfahren oft nicht mehr korrigiert werden können.
- Dadurch daß Asylbewerber nicht mehr arbeiten dürfen, sind sie zunehmend nicht mehr imstande, anwaltlichen Beistand in Anspruch zu nehmen. Die außeranwaltliche Beratung wird zunehmend kriminalisiert, Verfahren gegen ehrenamtliche Helfer wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz häufen sich. Angesichts der Komplexität und der Juristifizierung ist ohne
- Sicherstellung einer asylrechtskundigen Beratung im Verwaltungsverfahren nicht gewährleistet, daß der Betreffende tatsächlich Schutz vor menschenrechtswidriger Behandlung erfährt bzw. effektiven Rechtsschutz erhält.
- Eine einheitliche Entscheidungspraxis und Entscheidungsfindungspraxis existiert nicht.
2.5.1.2 Das deutsche Recht trägt den Besonderheiten einzelner Fallkonstellationen, wie unbegleiteten Minderjährigen, Folteropfern oder Opfern frauenspezifischer Verfolgung, nicht ausreichend Rechnung. Diese Sonderfälle kommen beim gängigen Verfahren nach wie vor „unter die Räder“, auch wenn das Bundesamt Ansätze eines Problembewußtseins zeigt und in Teilbereichen Verbesserungen eingeleitet hat.
- Beim gerichtlichen Verfahren sind diese Mängel bisher nicht reflektiert.
2.5.2 Effektiver Rechtsschutz
Das gerichtliche Verfahren gewährleistet keinen effektiven Rechtsschutz. Sowohl beim Flughafen-Verfahren als auch bei offensichtlich-unbegründet-Entscheidungen und Asylfolgeanträgen entscheidet ein Richter abschließend über das Schicksal eines Menschen.
Nachdem auch das BVerfG sich weigert, in Asylrechtsverfahren einstweilige Anordnungen zu erlassen, liegt damit – im wahrsten Sinne des Wortes – das Schicksal eines Menschen abschließend in der Hand eines – möglicherweise von Vorurteilen oder Karriere-Bestrebungen geprägten – Menschen.
Eine Generalisierung im Sinne einer Richterschelte liegt mir fern. Meine Erfahrung als Anwalt und die allgemeine Lebenserfahrung zeigt jedoch, daß die Spannbreite der richterlichen Entscheidungen und der richterlichen Vorurteile nicht geringer ist als die der Gesellschaft: Dies führt im Einzelfall zu extremen, juristisch kaum mehr diskutablen und haltbaren Entscheidungen zu Lasten der Betroffenen. Da Menschenrechte aber absolut und unveräußerlich sind, führt das Fehlen einer Korrekturmöglichkeit eines individuellen Vorurteils im Ergebnis zu einem Menschenrechtsverstoß. Dadurch, daß der „Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten“ sich stets nur zu Ungunsten des Flüchtlings engagiert, ist ein prozessuales Ungleichgewicht institutionalisiert. Der Grundsatz des „fair trial“ ist verletzt.
2.5.3 Soziale Situation
Die Verwirklichung der Menschenrechte zeigt sich auch an der sozialen Situation der betroffenen Bevölkerungsgruppe. Asylbewerber in Deutschland sind die Parias unserer Gesellschaft. Sie sind nicht nur in Lagern zusammengefaßt und dürfen sich nicht frei bewegen, sondern sie dürfen auch nicht arbeiten und unterliegen durch das Asylbewerber-Leistungsgesetz Sonderregelungen, denen andere Bevölkerungsgruppen nicht unterworfen sind.
2.5.4 Abschiebungshaft
Die Ausgrenzung einer ganzen Personengruppe findet in den Regelungen der Abschiebungshaft ihren Höhepunkt. Schon der Begriff beschreibt die Ungeheuerlichkeit zutreffend: Weil jemand das Land verlassen muß, wird er inhaftiert. Haft bedeutet „Fessel, Gefangenschaft.“ Ebendies ist durch den einzig legitimen Zweck der sog. Abschiebungshaft, nämlich „die Durchführung von Abschiebungen zu gewährleisten“, nicht verlangt. Zu diesem Zweck genügt vielmehr eine vorübergehende Festhaltung der Person.
Auch die Bedingungen der Abschiebungshaft in Deutschland sind in ihrer Gesamtheit unerträglich. Es mag einzelne spezielle Abschiebungshaft-Einrichtungen geben, in denen die Bedingungen einigermaßen erträglich sind. Unerträglich ist es jedoch, wenn die Abschiebungshaft in normalen Justizvollzugsanstalten stattfindet, wie dies nach wie vor die überwiegende Regel ist.
Dadurch daß es in den meisten Bundesländern eine verbindliche und gesetzliche Regelung der Abschiebungshaft nicht gibt, liegt auch ein Verstoß gegen Art. 5 EMRK vor. Auch die Höchstdauer der Abschiebungshaft von 1 ½ Jahren ist mit menschenrechtlichem Standard nicht zu vereinbaren.
3) Forderungen
Das BVerfG hat durch seinen Hinweis darauf, daß es dem nationalen Gesetzgeber auch freisteht, das Asylrecht des Art. 16 a GG ganz abzuschaffen, deutlich gemacht, daß die bloße Reminiszenz an unsere Rechtsgeschichte und die mahnende Erinnerung an die Verpflichtungen aus unserer Geschichte nicht hinreichend sind, um in Deutschland den Schutz von Flüchtlingen zu gewährleisten. Gleichzeitig hat das BVerfG zur Rechtfertigung dieses Abschiedes auf die vorhandenen und die im Entstehen begriffenen internationalen Regelungen und Regelungsmechanismen hingewiesen. Vor allem deshalb, weil ein europäisches Asylrecht im Entstehen begriffen ist und die vorhandenen menschenrechtlichen Regelungen den Mindeststandard gewährleisten, hat es dem asylrechtlichen Kahlschlag zugestimmt.
Die Politik hat bislang nur die erste Aussage aufgegriffen und die zweite ignoriert.
Die Aufgabe in der nächsten Zeit ist es, demgegenüber auf diesen Zusammenhang hinzuweisen.
Das verlangt zweierlei:
Einerseits muß die Erkenntnis vermittelt werden, daß das internationale Recht in Teilbereichen bereits über dem deutschen Standard liegt und ein weiterer Abbau des Flüchtlingsschutzes in Deutschland mit Menschenrechtsstandards kollidiert und Deutschland damit aus der Gesellschaft der zivilisierten Staaten heraustritt.
Andererseits ist es nötig, in den Bereichen, in denen ein Völkervertragsrecht noch nicht besteht, sondern erst im Entstehen begriffen ist, aktiv an seiner Gestaltung mitzuwirken.
Ein europäisches Asylrecht existiert nur in Randbereichen. Die Dublin- und Schengen-Abkommen haben einige Verfahrensregelungen gebracht, sind jedoch nicht in den Bereich des materiellen Asylrechts vorgedrungen.
Da alle EG-Staaten prinzipiell ein Asylrecht anerkennen und die aufgezeigten Grundsätze der Menschenrechte unstrittig sind, ist die Forderung, ein solches materielles europäisches Asylrecht zu schaffen, nicht so weltfremd, wie die meisten Politiker sie darzustellen pflegen. Ich glaube, daß ein grundsätzlicher Konsens im Hinblick auf den materiellen Inhalt des Asylrechts bei den europäischen Staaten tatsächlich existiert. Ihn zu formulieren und verbindlich festzulegen, wird dann möglich sein, wenn erkannt ist, daß ohnedies ein Großteil des asylrechtlichen Schutzes längst common sense im Sinne der Menschenrechte ist und wenn die politischen Parteien den Mut aufbringen, sich mit dem mißliebigen Thema des Asylrechts wieder auseinanderzusetzen und kurzfristige, populistische und wahltaktische Überlegungen zurückzustellen.
Es ist unsere Aufgabe, von der Politik die Schaffung eines verbindlichen Rechts zu verlangen. Damit dies nicht auf die lange Bank geschoben wird und sich die Politik nicht mit dem Hinweis auf die langwierigen, internationalen Prozesse entlasten kann, müssen zunächst konkrete Schritte vom nationalen Gesetzgeber eingefordert werden. Die Menschenrechte müssen durch gesetzgeberische Initiatien hierzulande umgesetzt werden.
Die konkreten Forderungen an die Politik, die hieraus resultieren, möchte ich wie folgt zusammenfassen:
3.1 Verlangt ist eine klare Aussage, daß Menschenrechte absolut gelten, daß also auch der Terrorist, der Kinderschänder, der Mörder, der Drogendealer und andere Zeitgenossen, denen die Sympathie nicht gilt, einer menschenrechtswidrigen Verfolgung nicht ausgesetzt werden dürfen, sondern ggf. schutzwürdig sind – und eine Absage an jeglichen Populismus.
- Dieser Konsens der zivilisierten Gemeinschaft muß dem Mann und der Frau der Straße vermittelt werden. Es darf nicht anläßlich verabscheuungswürdiger Verbrechen eine gegenteilige Stimmung erzeugt werden.
3.2 Es muß klargemacht werden, daß Menschenrechte jedermann zustehen und nicht vom Status des einzelnen – beispielsweise als Asylbewerber -abhängig gemacht werden dürfen. Dies impliziert, daß die Menschenwürde beachtet wird und damit, daß auch ein Asylbewerber das Recht hat, sich seinen Lebensunterhalt grundsätzlich selbst zu verdienen, seine Lebensumstände frei zu gestalten (kein Lageraufenthalt!) und nicht Sonderbedingungen unterworfen zu werden (Asylbewerber-Leistungsgesetz!).
- Über die Zulässigkeit temporärer Beschränkungen mag man streiten können – der jetzt eingeführte generelle und dauerhafte Ausschluß von den Lebensformen unserer Gesellschaft ist menschenrechtswidrig!
4. Damit diese Forderungen ins allgemeine Bewußtsein dringen und die bestehenden, teilweise menschenrechtswidrigen Zustände beseitigt werden, ist es erforderlich, konkrete gesetzgeberische Initiativen zu unternehmen.
Die wesentlichen sind:
4.1 Rückkehr zum internationalen Standard
-
4.1.1 Die Drittstaatenregelung, wie sie im AsylVfG vorgeschrieben ist, wird dahingehend abgemildert, daß die Abschiebung in einen Drittstaat einstweilen auszusetzen ist, wenn die Gefahr einer Kettenabschiebung nicht ausgeschlossen ist. Dies impliziert die Einführung eines einstweiligen Rechtsschutzes.
4.1.2 Der Schutz durch § 51 AuslG wird nicht von der Existenz einer staatlichen oder staatsähnlichen Ordnungsmacht abhängig gemacht. Dem subjektiven Verfolgungsbegriff der GK wird Rechnung getragen.
4.1.3 Im Bereich des Abschiebungsschutzes des § 53 AuslG ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als verbindlich zu akzeptieren.
4.1.4 Familienasyl im Sinne von § 26 AsylVfG wird generell allen Familienangehörigen gewährt.
4.1.5 Auch eine Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen wird als Verfolgung im Sinne der GK und § 53 AuslG akzeptiert.
4.2 Das Verfahrensrecht ist zu verbessern.
4.2.1 Dies verlangt zunächst eine Vereinheitlichung der Vorgehensweise des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.
- Das AsylVfG sieht in § 90 AsylVfG vor, daß allgemeine Verfahrensvorschriften erlassen werden können. Dies ist bis heute nicht geschehen. Damit eine einheitliche Handhabung erfolgt, sind solche Verfahrensvorschriften zu erlassen.
4.2.2 Im Rahmen dieser Verfahrensvorschriften ist zu bestimmen, daß der besonderen Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge Rechnung getragen wird. Dies verlangt, daß dem
- eigentlichen Asylverfahren eine „Clearing-Phase“ vorgeschaltet wird, in welcher abgeklärt wird, ob die Stellung eines Asylantrags überhaupt dem Kindeswohl entspricht oder ob nicht andere Maßnahmen, wie die Beantragung eines asylunabhängigen Aufenthalts oder die Rückführung in die Heimat dem Kindeswohl entsprechen.
- Der besonderen Situation von Folteropfern und der daraus resultierenden Schwierigkeit, ihre Asylgründe sachgerecht vorzubringen, ist Rechnung zu tragen, indem medizinische Gutachten zu erholen und zu berücksichtigen sind.
- Der besonderen Situation der Opfer sexueller Mißhandlung und frauenspezifischer Verfolgung ist Rechnung zu tragen, indem speziell geschulte Anhörer und vor allem Anhörerinnen zur Verfügung gestellt werden und Sachverständigenhilfe herangezogen wird.
- Den Gutachten ist grundsätzlich Rechnung zu tragen, solange sie nicht widerlegt sind.
4.2.3 Dies ist auch für das gerichtliche Verfahren als Regel vorzuschreiben.
4.2.4 Das gerichtliche Verfahren ist dahingehend zu ändern, daß bei Eilentscheidung durch einen Antrag auf Zulassung der Beschwerde im Ausnahmefall eine obergerichtliche Überprüfung ermöglicht wird.
4.2.5 Allgemein ist der Rechtsschutz dahingehend zu verbessern, daß Asylbewerbern anwaltlicher Beistand oder sonstiger asylrechtskundiger Beistand ermöglicht wird, sei es durch die
- generelle Stellung eines Anwalts, sei es durch eine sonstige asylrechtskundige Beratung.
- Die institutionalisierte Benachteiligung der Asylbewerber, die darin besteht, daß sie nicht nur das BAFl, sondern zusätzlich auch den Bundesbeauftragten für Asylbewerber als gerichtlichen Gegner überzeugen müssen, wird durch die Abschaffung desselben beseitigt.
4.3 Soziale Situation
- Die Sonderbehandlung von Asylbewerbern ist zu beenden.
- Weder die generelle Lagerhaltung, noch das generelle Arbeitsverbot, noch die Sonderbehandlung durch das Asylbewerber-Leistungsgesetz genügen Menschenrechtsstandards. Asylbewerbern ist – wie anderen auch – prinzipiell eine Erwerbstätigkeit zu gestatten und die Führung eines eigenverantwortlichen Lebens zu ermöglichen. Ist der Betreffende hierzu nicht imstande und bedarf er öffentlicher Mittel, hat er diese – wie andere auch – als Sozialhilfe zu erhalten. Sachleistungen sind nur im Rahmen der allgemeinen Regelungen im Ausnahmefall zulässig.
4.4 Abschiebungshaft
- Die Abschiebungshaft als Haft ist abzuschaffen. Zulässig ist allenfalls eine vorübergehende Festhaltung, wenn anders eine erforderliche Abschiebung nicht durchgeführt werden kann.
- Dieser Grundsatz gebietet, daß eine Inhaftierung in den Justizvollzugsanstalten zum Zwecke der Abschiebungshaft generell ausgeschlossen ist.
- Die Festhaltungsbedingungen in speziellen Abschiebungseinrichtungen sind so freizügig wie möglich zu gestalten. Die Unterbringung muß grundsätzlich Wohnheim-Charakter haben. Der freie Zugang von Besuchern muß gewährleistet sein. Die Dauer der höchstzulässigen Festhaltung muß drastisch reduziert werden.
- Eine volle gerichtliche Überprüfung der Voraussetzungen der Abschiebungshaft und die richterliche Festlegung ihrer Bedingungen muß gewährleistet werden.
4.5 Härtefall-Regelung
- Das gegenwärtige System des Asyl- und Ausländerrechts ist sehr starr. In Einzelfällen kommt es zu Fehlentscheidungen und unerträglichen Härtefällen.
- Die gegenwärtige Rechtspraxis behauptet, dies nicht abstellen zu können, weil die gesetzliche Regelung so sei.
- Dem ist durch die Einführung einer Generalklausel oder einer Härtefallklausel, eventuell in Kombination mit bestehenden Härtefall-Kommissionen, entgegenzuwirken.
4.6 Altfall-Regelung
- Die Einführung einer erneuten Altfall-Regelung wäre wünschenswert. Nach wie vor gibt es eine Vielzahl von Fällen, bei denen eine
- Rückführung der Menschen aus humanitären Gründen nicht mehr vertretbar erscheint und die durch die bisherigen Härtefall- und Stichtagsregelungen nicht zufriedenstellend gelöst sind.
4) Resümee
Das bundesdeutsche Asylrecht und die Praxis des Verfahrensrechts gewährleisten nicht in allen Fällen einen lückenlosen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen, sondern impliziert oder provoziert zumindest teilweise selbst Menschenrechtsverletzungen im Inland.
Mit dieser Feststellung wird der Boden der rein asylrechtlichen Debatte verlassen. Damit wird zwangsläufig die Frage nach der Substanz unserer Grundordnung und der gesellschaftlichen Wirklichkeit aufgeworfen und die Frage provoziert, wie es denn mit den Menschenrechten der Inländer bestellt ist.
Wenn ich an die ständigen Verschärfungen des Strafrechts und die damit einhergehenden Beschränkungen des Individual-Rechtsschutzes (z.B. großer Lauschangriff), die ungebremste Macht der künftigen Euro-Polizei oder auch an die Entsolidarisierung der Gesellschaft durch Sozialabbau (bei weiter zunehmenden und bald 5 Mio. Arbeitslosen) denke, glaube ich, daß diese Fragestellung sehr naheliegend ist.
Eine kurzschlüssige Antwort kann und will ich im Rahmen dieser Darstellung nicht geben. Nur eine Erkenntnis scheint mir klar zu sein, nämlich die, daß Rechte vor allem dann verteidigt werden müssen, wenn sie den schwächsten Gliedern einer Gesellschaft vorenthalten werden. Denn an diesen wird heute das durchexerziert, was allen anderen morgen zugemutet wird.
Das Thema des Asylrechts bietet hierfür ein Exempel. Etliche der Verfahrensbeschränkungen wurden zunächst im AsylVfG eingeführt und sind heute Bestandteil der allgemeinen Verwaltungsgerichtsordnung.
Heute wird vom BAFl durch fachlich unsinnige Sprachanalysen in den Kern der Persönlichkeit der Flüchtlinge eingegriffen, morgen soll eine Warn-Datei, die eine reine Verdachtskartei ist, Menschen, die andere einladen, als des Schleppertums verdächtig erfassen und eine Asylcard alle Asylbewerber leichter faßbar machen.
Was erwartet übermorgen uns alle?
Wenn wir also die Menschenrechte der Flüchtlinge verteidigen, verteidigen wir nicht nur deren Rechte, sondern auch unser Recht. Tun wir es nicht, billigen wir auch unsere mögliche künftige Entrechtung.
Menschenrechte sind eben unteilbar !
Rechtsanwalt
Hubert Heinhold
Rottmannstraße 11 a
80333 München