Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors
HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV ASYL 1991 ::: ARCHIV PRESSE 1991 :::

11. Oktober 1991
Frankfurter Rundschau

Nächtlicher Schrecken für Asylsuchende in Marxheim
Maskierte Männer bedrohten Flüchtlinge
Leuninger fordert Objektschutz für Asylunterkünfte

Von Petra Mies


HOFHEIM – „Es war nach Mitternacht, viele haben schon geschlafen“, erzählt Ali. Er blickt an der Fassade des Flüchtlingswohnheims in der Ahornstraße hoch, dessen Bewohner in der Nacht zum Donnerstag von Maskierten bedroht wurden. Dann deutet der Junge über die Straße: „Da stand plötzlich ein Mann mit Maske, weiter weg im Feld waren noch mehr Maskierte. Der eine Mann hat schlimme Wörter wie ‚Scheiß-Ausländer‘ gebrüllt. Er hatte eine Plastiktüte mit Flasche darin oder so“. Eine Frau aus dem Heim hat die Polizei angerufen, ihr Mann fotografierte die Vermummten vom Balkon aus. Noch bevor die Polizei kam, machten sich die Männer aus dem Staub.

Als „nochmal glimpflich abgelaufen“ bezeichnete Pfarrer Herbert Leuninger – vom „Solidaritätskreis Asyl“ gestern den „versuchten Angriff“ auf das Wohnheim in Marxheim. 80 Asylsuchende, darunter 40 Jugendliche und Kinder, leben in dem Gebäude direkt an der Straße. Nach Auskunft von Polizeioberrat Lutz Wiese liegt es „viel weniger geschützt als die beiden anderen Heime in Hofheim“. Der Leiter der Polizei-Inspektion West kam ebenfalls zum Ortstermin, bei dem die nächtlichen Ereignisse rekonstruiert wurden. Pfarrer Leuninger erschien mit schwarzen Kindern an der Hand und begrüßte die erregten Afghanen, Chilenen, Inder, Pakistanis, Kurden und Eritreer herzlich. „Ich kenne diese Menschen gut – sie zu schützen, ist eine Herausforderung.“

Was in der Nacht vorgefallen ist, konnte nur Stück für Stück herausgefunden werden. „Schon seit dem Tag der deutschen Einheit haben Flüchtlingsorganisationen Wachen organisiert“, berichtete Leuninger. „Am Mittwochabend war ich auch hier. Um 23.30 Uhr sah ich einen schlanken, etwa 1,80 Meter großen Mann, der das Heim beobachtete und verschwand, als er mich erblickte.“ Als Leuninger gegen 0.45 Uhr schließlich eine Polizeistreife in der Ahornstraße sah, war er beruhigt und fuhr nach Hause.

Eine chilenische Bewohnerin des Heimes hat beobachtet, was nach ein Uhr geschah. Leuninger: „Nennen wir sie aus Sicherheitsgründen Frau Lydia, sie hat drei kleine Kinder“. Stockend berichtet die Frau, wie „der Mann mit weißer Maske gekommen ist. Mein Mann hat ihn fotografiert“, sagt sie. „Der Maskierte hatte eine Tüte und wollte sie werfen, aber wir haben gerufen, und da ist er weggelaufen“. Auch „andere Männer, die im Feld gewartet haben“, seien geflüchtet. „Ich habe die Polizei angerufen, die schnell kam“. Bereits an den Tagen zuvor seien ihren Kindern Männer mit kurzen Haaren aufgefallen, die „lange. auf das Haus geguckt haben“, sagt Lydia. Dazu Leuninger: „Offensichtlich hat die Szene das Haus seit längerem observiert.“

„Wir wurden gegen 1.25 Uhr informiert“, erklärt Polizeioberrat Wiese. „Aber die Personengruppe war schon weg, als wir kamen.“ Mit Sicherheit werde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Wiese: „Ungewöhnlich, daß die Männer maskiert waren. Rechtsextreme kommen normalerweise ohne Maske.“

Pfarrer Leuninger fordert als politische Konsequenz der nächtlichen Ereignisse „einen Objektschutz für alle Flüchtlingswohnheime“. Diese Forderung gehe an den hessischen Innenminister. „Es können auch private Wachdienste oder der Bundesgrenzschutz eingesetzt werden. Aber regelmäßige Streifen sind nötig“ Leuninger bezeichnet es als „Aufgabe des Staates, die Asylsuchenden und Ausländer zu schützen“. Das könne nicht Sache der Bürger sein, „obwohl ich mir bisher von den Hofheimern eine deutlichere Bereitschaft gewünscht hätte, nach den Ausländern zu sehen und dafür auch mal eine Stunde Schlaf zu opfern.“

Unabhängig vom geforderten Objektschutz wollen die Bewohner des Heimes auch selbst Wachen einrichten – Details wurden gestern um 22 Uhr besprochen. SPD-Unterbezirks-Geschäftsführer Viktor Weinem erschien mit Parteifreunden, „um sich an den Wachdiensten zu beteiligen“. Werner Moritz-Kiefert von der Hofheimer SPD-Fraktion betonte gegenüber der FR, dass er sich nach den Ereignissen „noch vehementer als bisher gegen ein weiteres Wohnheim, das in Marxheim für 100 Leute geplant ist“, einsetzen wird. „Das wäre jetzt unverantwortlich.“

Polizeioberrat Wiese versicherte, dass die Heime noch öfter überwacht würden. So sehr er die Forderung nach festem Objektschutz verstehe, so skeptisch sei er, „dass wir diesen einrichten können, allein bei der Zahl der Häuser im Main-Taunus-Kreis.“ Gefährlich sei auch, andere Plätze zu vernachlässigen. „Das Gefahrenpotential ist enorm. Überall“.

Wie sie geschützt werden, ist dem Jungen Ali, der Mutter Lydia oder etwa der Kurdin, die in einer Ecke steht und ihr Kind an sich drückt, nicht wichtig. Sie alle haben Angst. Ali: „Wir brauchen Hilfe, wir können nicht mehr schlafen“. Früher sei er viel spazieren gegangen, „das mache ich nicht mehr“. Ein kleiner Freund stellt sich dazu und sagt: „Da könnten ja die Männer wiederkommen, uns mitnehmen und irgendwo töten“.


Nach oben