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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV FOTOSERIEN 2001 :::

Der marokkanische Autor
Ahmed Marzouki bei „Pro Asyl“

Am 16. Oktober 2001 führte Herbert Leuninger von „Pro Asyl“ ein Gespräch mit dem marokkanischen Buchautor Ahmed Marzouki.

Das Gespräch erfolgte im Rahmen einer 10-tägigen Besuchsreise in der Bundesrepublik, zu der Marzouki vom Presse- und Informationsdienst auf Empfehlung der deutschen Botschaft in Rabat eingeladen worden war.

Der Termin mit „Pro Asyl“ kam zustande, weil Marzouki sich in der Abstimmung über seinen Besuch u.a. für die Themen Menschenrechte, Menschenrechtsorganisationen, Ausländer, Asyl und Extremismus interessiert hatte.

Der Besucherdienst des Goethe-Institutes/Inter Nationes hatte den Gesprächstermin, der in Limburg stattfand, abgesprochen. Der Besucher kam in Begleitung des französischsprachigen Mitarbeiters Dr. Andreas Krziwon.

Ahmed Marzouki, der als freier Autor in Rabat lebt, ist verheiratet und hat zwei Kinder.


Ahmed Marzouki aus Marokko

Ein Triumph der Phantasie

Marzoukis neues Buch
„Tazmamart – Zelle 10“
ist ein detaillierter Bericht über sein Leiden und Überleben.

Februar 04, 2001, 11:26 a.m.
PARIS (afp) (Original Englisch)

Ahmed Marzouki, 18 Jahre in der fensterlosen Zelle eines Geheimgefängnisses von Marokko eingekerkert, beschreibt der Welt seine Torturen in der Hoffnung, dass die Schrecken, die er und 57 Mitgefangene erlebten, sich niemals wiederholen.

Bei seiner allerersten Auslandsreise sagte Marzoukis in Paris, er hoffe, dass die sich in einem Schwebezustand befindliche „alte Garde“ Marokkos den Weg für den fortschrittsorientierten König Mohammed VI. frei mache, um demokratische Reformen auf den Weg bringen zu können und sicherzustellen, dass die Tragödie von Tazmamart, einem Todeslager in Marokkos Atlasgebirge, ein Relikt der Vergangenheit bleibe.

„Unsere Leiden dürfen nicht unbekannt bleiben. Wir müssen der Welt berichten, was geschehen ist, oder es könnte ein weiteres Tazmamart geben,“

sagte Marzouki, wenige Stunden nach seiner Ankunft in Paris, wo er seine gerade veröffentlichten Memoiren mit dem Titel „Tazmamart – Zelle 10“ vorstellte.

Es war Zelle 10, ein kaum belüfteter, ungezieferverseuchter Raum, dreimal zweieinhalb Meter groß, in der Marzouki mehr als 6.550 Tage und Nächte verbringen musste, einem schleichenden Tod ausgesetzt .

1973 wurden der 23-Jährige und 57 andere revoltierende Armeeoffiziere in das Geheimgefängnis am Rande der Sahara geworfen, nachdem sie beschuldigt worden waren, in zwei gescheiterten Coups, König Hassan II. stürzen zu wollen.

Mehr als die Hälfte der Gefangenen starben an schweren Krankheiten wie Tuberkulose, einige verloren den Verstand, mindestens einer beging Selbstmord.

Marzoukis Buch, desssen erste Auflage von 5.000 Exemplaren in Frankreich bereits vegriffen ist, dient der Erinnerung an seine Mitgefangenen und ist ein detaillierter Bericht über sein Leiden und Überleben. Es ist auch ein ungeschminktes Porträt der unglaublichen Grausamkeit und Unterdrückung während zweier Jahrzehnte der 38-jährigen Regierungszeit von König Hassan, der im Juli 1999 starb.

In seinen Memoiren beschreibt Marzouki die dunkelsten Momente seiner nahezu zwei Jahrzehnte währenden Gefangenschaft mit der Geschichte über Mohammed Lghalou, einem Mitgefangenen, der an schwerem Muskelschwund litt, bevor er 1979 total gelähmt wurde.

1984 wurde es Marzouki auf eindringliche Bitten hin von den Gefängniswärtern erlaubt, in Lghalous Zelle zu gehen, um seines Freundes Zustand zu überprüfen.

„Lghalou war nur noch ein Häufchen Elend in Blut, Schweiß, Urin und Schmutz. Sein Körper war auf eine unvorstellbare Weise geschrumpft, und er sah wie ein Kind von acht oder neun Jahren aus, einen zur Hälfte weißen Bart tragend, der über den Knochen seiner fürchterlich schmalen Brust hing.“ Lghalou starb unter Qualen im Januar 1989.

Das sich lang hinziehende Leiden seines Freundes zusammen mit der seelischen Qual eines anderen Gefangenen in seinem Block, Mimoune Al Fagouri, der sich im Juni 1990 aufhing, stürzte Marzouki in eine Verzweiflung, die so tief war, dass er sich kaum davon erholte.

Davon abgesehen überlebte er mit Hilfe des Glaubens, der Solidarität von Mitgefangenen und dem Triumph seiner eigenen Vorstellungskraft.

„Wir lernten in Tazmamart den Koran. Wenn Sie dem Tod ins Auge sehen müssen, kommen Sie Gott nahe. Man meditiert über tiefe Dinge, auch über die Torheit und Erbärmlichkeit der Menschheit“, sagte Marzouki mit dem Hinweis, dass er und seine Kameraden in demselben Block einander nicht sehen, aber sich miteinander austauschen konnten. Sie rezitierten auszugsweise den Koran und hätten ihn auf verschiedene Weise zu interpretieren versucht. Aus dem gegenseitigen Austausch hierüber hätten sie Inspiration und Weisheit geschöpft.

Marzouki sagte auch, dass ein festes Schema bestimmter Gewohnheiten, also ein Art „Organisation“ ihn und andere davor bewahrten, in Hysterie zu verfallen. „Wir kamen darin überein, zu einer fest gesetzten Zeit aufzustehen und uns zu einer bestimmten Stunde Filme zu erzählen, die wir früher gesehen hatten, „sagte er. Die Gefangenen, deren Unterhaltung von den Gefängniswärtern mitgehört wurde, entwickelten eine verschlüsselte Sprache, die Französisch mit Englisch, Arabisch mit berberischen und anderen Sprachen mischte. ‚Amina‘ war das Geheimwort für amnesty international, und „Bissara“ stand für Driss Basri, Marokkos früherem Innenminister, der weithin als die treibende Kraft hinter den Untaten während der Regierungszeit des früheren Königs gesehen wurde.

Aber es war Marzoukis Phantasie, die seine Sinne lebendig hielt. „Wir mußten unsere Phantasie in Anspruch nehmen; manchmal stellten wir uns vor, was geschehen wäre, wenn wir dies oder jenes getan hätten …, bei anderen Gelegenheiten erfanden wir Rezepte und Speisen, die wir gern gegessen hätten“. „Eines nachts träumte ich von einem Donat-Verkäufer in Rabat, was so intensiv war, dass ich aufwachte und meine Zelle nach Donats roch. Das war unglaublich“, sagte er.

In der Zwischenzeit wurden die Nachstellungen gegenüber den vormals Inhaftierten unter dem neuen König gestoppt, der Marokko zu einem Markenzeichen für Menschenrechte in Nordafrika zu machen gelobt hatte.


KARTE MAROKKO


BILDER

Marzouki (l.) bei Herbert Leuninger
Marzouki mit Dr. Andreas Krziwon
Marzouki mit seiner Gattin in Marokko

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