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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV KIRCHE-MIGRATION 1984 :::

Auseinandersetzung 1984

Familienzusammenführung

Kurswechsel bei Kardinal Hoeffner?

dpa vom 12. April 1984
Katholiken fürchten Kurswechsel in Ausländerfrage

Frankfurt/Limburg (lhe) – Die katholische Kirche in der Bundesrepublik ist gegenwärtig dabei, ihre Haltung in wichtigen Fragen der Ausländerpolitik zu ändern. Diese Befürchtung hat der Ausländerbeauftragte des Bistums Limburg, Pfarrer Herbert Leuninger, geäußert. In einem am Donnerstag veröffentlichten Schreiben des katholischen Seelsorgers an den Ausländerbeirat seines Bistums vertrat Leuninger die Ansicht, Äußerungen führender Geistlicher in der Bundesrepublik gäben Anlaß zu Befürchtungen, daß die „katholische Kirche zumindest an der Spitze ihr bisheriges ausländerpolitisches Engagement zurücknimmt“.

Der Ausländerpfarrer berief sich dabei auf das Protokoll einer Besprechung zwischen dem Kölner Erzbischof Kardinal Joseph Höffner mit Bundespolitikern aus seinem Bistum im Januar dieses Jahres. Dem Protokoll zufolge, das der Deutschen Presse-Agentur zugespielt wurde, soll der Kardinal in Fragen der Nachzugsbeschränkung für Kinder und Ehegatten der zweiten Ausländergeneration betont haben, daß „aus der katholischen Glaubenslehre keine verbindliche Entscheidung“ getroffen werden könne; demzufolge solle künftig jede Entscheidung in dieser Frage respektiert werden.

Der Inhalt des Protokolls deckt sich nach Ansicht von Leuninger auch mit einer Reihe von Informationen aus „nichtkatholischen, nichtkirchlichen Quellen“, nach denen die katholische Kirche in der nächsten Zeit von ihrer bisherigen ausländerpolitischen Haltung abrücken wolle. Falls dies zutreffe, meinte Leuninger, seien diese Vorgänge so besorgniserregend, daß sie nur mit den sogenannten „Kölner Wirren“ vor rund 150 Jahren verglichen werden könnten. Damals hatte der Erzbischof von Köln gegen Rom ein Geheimabkommen mit der preußischen Regierung in Fragen der Kindererziehung beschlossen.

In einem Schreiben an dpa vom Donnerstag wies das Generalvikariat in Köln die Vorwürfe zurück. Der Leiter der kirchenpolitischen Abteilung im Erzbistum Köln betonte darin, Kardinal Höffner sei nach wie vor der Auffassung, daß ausländischen Mitbürgern in der Bundesrepublik die gleichen Rechte wie der deutschen Bevölkerung zugestanden werden müßten. Das von Leuninger genannte Gespräch bestritt er nicht; er betonte allerdings, daß diese „Gesprächsnotizen“ keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit besäßen und dem Kardinal weder bekannt noch von ihm abgezeichnet seien.


11. April 1984
Brief Leuninger an Rat der Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache

BISTUM LIMBURG – BISCHÖFLICHES ORDINARIAT
Dezernat Kirchliche Dienste
Referat: Seelsorge und Sozialdienst an Katholiken anderer Muttersprache

Limburg, 11. April 1984

An den
Vorstand des Rates der
Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache im Bistum Limburg
z.Hd. Herrn Vorsitzenden Antonio Beltran Talavera
In den Padenwiesen 33
6233 Kelkheim

Sehr geehrte Herren !

Wie ich Sie kürzlich vertraulich informierte, besteht Anlaß zu der Befürchtung, daß die Katholische Kirche, zumindest an der Spitze, ihr bisheriges ausländerpolitisches Engagement zurücknimmt.

Mir liegt das Protokoll einer Besprechung des Erzbischofs von Köln, Josef Kardinal Höffners, mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Mitgliedern des Europäischen Parlaments am 27.1.1984 in Köln vor. Zu den Gesprächsteilnehmern zählten u.a. Bundesinnenminister Dr. Friedrich Zimmermann, die Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft, Dr. Dorothee Wilms, Prof. Dr. Horst Ehmke, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und der Oberbürgermeister von Bonn, Dr. Hans Daniels.

Nach diesem Protokoll soll sich Kardinal Höffner zu der kontroversen Meinung der Frage der Begrenzung des Nachzuges von Kindern bis zum 6. Lebensjahr und die Beschränkung des Nachzugs von Ehegatten dahingehend geäußert haben: (Wortlaut des Protokolls) „In dieser Frage könne keine verbindliche Entscheidung aus der katholischen Glaubenslehre getroffen werden, vielmehr können gläubige Christen in dieser Frage – wie bei der Friedensdiskussion – unterschiedlicher Auffassung sein. Jede Entscheidung müsse respektiert werden“.

Dies hieße doch wohl, daß die bedenklichen, ausländerpolitischen Vorstellungen des Bundesinnenministers, von denen dieser inzwischen wohl teilweise abgerückt ist, einen ähnlichen moralischen Rang hätten wie die bisherigen, eindeutigen Erklärungen von Kardinal Höffner als Vorsitzendem der Deutschen Bischofskonferenz. Er hatte bekanntlich im Juni 1982 in der Einheit mit dem Papst, der gesamten Kirche und den Europäischen Bischofskonferenzen das Recht auf das Zusammenleben der Familie mit ihren Kindern und der Ehegatten gefordert. Diese Rechte hat der Papst in der „Charta der Familienrechte“ im Oktober 1983 nachdrücklich betont (s.a. Sammlung päpstlicher Lehräußerungen).

Es ist im Grunde nicht vorstellbar, daß Kardinal Höffner von diesen klaren Grundpositionen abgerückt sein sollte. Natürlich kann dies noch weniger von der Deutschen Bischofskonferenz angenommen werden.

Dennoch bleibt meine Besorgnis bestehen, nachdem Kardinal Höffner bei einer Ansprache am vergangenen Sonntag im Kölner Dom an die ausländischen Katholiken mit keinem Wort auf dieses zentrale Anliegen eingegangen ist, obwohl es im Vorfeld intensive Bemühungen gegeben hatte, ihn dazu zu veranlassen.

Meine Befürchtungen sind inzwischen sogar noch dadurch verstärkt worden, daß ich aus nichtkatholischen, nichtkirchlichen, höchst zuverlässigen Quellen erfahren habe, daß die Katholische Kirche von ihrer bisherigen ausländerpolitischen Haltung abzurücken gedenkt.

Sollte all dies zutreffen, müßte ich diesen Vorgang mit den sogenannten „Kölner Wirren“ vergleichen, bei denen vor genau 150 Jahren der Erzbischof von Köln und die ihm zugeordneten Bischöfe ein Geheimabkommen mit der Preußischen Regierung über die Frage der Kindererziehung in konfessionsgemischten Ehen geschlossen hatten. Dies geschah gegen ausdrückliche Vorstellungen Roms und ohne das Wissen des Papstes. Erst die Gewissensbisse des Bischofs von Trier auf dem Sterbebett führten zu einem Bekanntwerden des Abkommens und den entsprechenden Wirren, aber auch Klärungen.

Selbstverständlich möchte ich mich nicht mit einem Bischof von Trier vergleichen, dennoch veranlaßt mich mein Gewissen, Sie, den Rat und auch die Öffentlichkeit über meine Sorgen zu informieren, wobei ich immer noch die Hoffnung habe, daß es sich im Unterschied zu den Kölner Wirren um Scheinwirren handelt.

Eine Zurückstufung, ja eine Korrektur des genannten Protokolls in den Medien würde zur Klärung allerdings nicht ausreichen. Es wäre wohl an der Zeit, daß die Deutsche Bischofskonferenz als solche endlich einmal Stellung nimmt, so wie es die französischen Bischöfe zum letzten Jahreswechsel getan haben.

In herzlicher Verbundenheit bin ich
Ihr

(H. Leuninger)


17. April 1984
Katholische Nachrichtenagentur (KNA)
Bischof Lettmann: Kinder gehören zu ihren Eltern
Initiative gegen Herabsetzung des Nachzugsalters begrüßt

Münster, 16. April (KNA) – Der Bischof von Münster, Dr. Reinhard Lettmann, hat die Initiative der niedersächsischen Landesregierung und ihres Innenministers Dr. Egbert Möcklinghoff begrüßt, das Nachzugsalter von Kindern ausländischer Familien nicht von 16 auf sechs Jahre herabzusetzen. Damit würden die kirchlichen Einwände berücksichtigt, die von den Bischöfen gegen eine „restriktive Familienpolitik“ in den vergangenen zwei Jahren erhoben worden seien.

Der Bischof betonte, daß es ein Grundrecht sei und bleibe, „daß Eltern ihre Kinder bei sich haben“. Wörtlich sagte er: „Kinder haben einen Anspruch darauf, bei ihren Eltern leben zu können. Der Wille der Eltern, die Kinder bei sich zu haben, darf nicht durch staatliche Reglementierung beeinträchtigt werden.“ Die Auffassung der Bischöfe sei im Oktober 1983 durch die Charta der Familienrechte von Papst Johannes Paul II. bestätigt worden. Nach den Worten des Bischofs trage die Aussage von Innenminister Möcklinghoff, auch bei einer Beibehaltung des jetzigen Nachzugsalters werde die „Aufnahmekapazität“ der Bundesrepublik nicht „unerträglich überschritten“, zur Versachlichung der Diskussion bei. Dies habe die Kirche immer gewünscht. In der Vergangenheit seien „überhöhte und unrealistische Zahlen“ in der Öffentlichkeit diskutiert worden, betonte der Bischof.


18. April 1984
Katholische Nachrichtenagentur
Weihbischof Dick befürwortet frühen Nachzug von Kindern

Bonn, 18. April (KNA) – Jede gesetzliche Einschränkung der Nachzugsmöglichkeit von Kindern zu den Eltern bedeutet nach Auffassung von Weihbischof Klaus Dick, Köln, für die katholische Kirche eine Einschränkung des elterlichen Erziehungsrechts. Auf einer Konferenz mit Ausländerseelsorgern aus der ganzen Bundesrepublik am Dienstag, 17. April, in Bonn plädierte Dick dafür, statt durch Zwang mit Aufklärung auf die großen Schwierigkeiten hinzuweisen, die bei einem späten Nachzug der Kinder bei Ausbildung und Eingliederung bestünden.

Ein früher Nachzug sei daher zu begünstigen. Grundsätzlich lehnte Dick eine Regelung ab, die Eheleute erst ein oder zwei Jahre nach der Eheschließung ein Zusammenleben ermögliche. Wörtlich sagte der Weihbischof: „Angesichts der wichtigen Aufgabe in unserer Zeit, echte Gemeinsamkeit zwischen den europäischen Nationen unter Überwindung enger Nationalitätsgrenzen zu praktizieren, sollte in unserer Ausländerpolitik eine gute Chance zu zukunftsträchtiger Regelung gesehen werden“.


27. Januar 1984
Besprechung des Erzbischofs von Köln mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Mitgliedern des Europäischen, Parlaments (Protokoll)

Erzbistum Köln
Generalvikariat
Kirchenpolitische Abteilung

P r o t o k o l l

über die Besprechung des Erzbischofs von Köln mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages und Mitgliedern des Europäischen Parlaments am 27. Januar 1984 im Priesterseminar in Köln

Anwesend waren:

I Kirchliche Vertreter

1.) Joseph Kardinal Höffner Erzbischof von Köln

2.) Dr. Klaus Dick Weihbischof in Köln

3.) Manfred Melzer Domvikar, Köln

4.) Dr. Karl Panzer Leiter der Kirchenpolitischen Abteilung, Generalvikariat Köln

5.) Prälat Dr. Joseph Koenen Erzb. Generalvikariat Köln

6.) Helmut Pathe Erzb. Generalvikariat Köln

7.) Prälat Paul Bocklet Kommissariat der deutschen Bischöfe, Bonn

8.) Dipl.- Volkswirtin Gabriele Erpenbeck Kommissariat der deutschen Bischöfe, Bonn

9.) Oberrechtsrat Elmar Meyer Kommissariat der Bischöfe NRW, Düsseldorf

10.) Studiendirektor Karl-Heinz Reininger Kommissariat der Bischöfe Rheinland-Pfalz, Mainz

II Vertreter des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments

11.) Bundesinnenminister Dr. Friedrich Zimmermann, MdB München

12.) Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft Dr. Dorothee Wilms, MdB Köln

13.) Professor Dr. Horst Ehmke, MdB, Stellvertr. Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Bonn

14.) Oberbürgermeister Dr. Hans Daniels, MdB Bonn

15.) Staatsminister a.D. Professor Dr. Paul Mikat, MdB Düsseldorf

16.) Dr. Herbert Hupka, MdB Bonn

17.) Franz Heinrich Krey, MdB Bergisch Gladbach

18.) Dr. Wilhelm Nöbel, MdB Troisdorf

19.) Adolf Müller, MdB Remscheid

20.) Alfons Müller, MdB Wesseling

21.) Günter Schlatter, MdB Bergheim

22.) Hans Gottfried Bernrath, MdB Dormagen

23.) Dr. Franz Möller, MdB St. Augustin 2

24.) Dr. Herbert Prauß, SPD-Fraktion Bonn

25.) Frau Marlene Lenz, MdEP Bonn

26.) Willy Wimmer, MdB Kaarst

27.) Dr. Herbert Köhler, MdEP Düsseldorf

28.) Helmut Esters, MdB Kevelar

29.) Staatssekretär Dr. Fröhlich Bundesinnenministerium

30.) Ministerialdirektor Dr. Schiffer Bundesinnenministerium

31.) Ministerialdirigent Ranspach Bundesinnenministerium

Dauer der Konferenz: 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr

Nach gemeinsamem Kaffee begrüßte Herr Kardinal Höffner die Gesprächsteilnehmer und dankte vor allem Herrn Bundesinnenminister Dr. Zimmermann für seine Bereitschaft, die aktuellen Fragen in der Ausländerpolitik darzustellen und den Standpunkt der Bundesregierung zu erläutern.

Kardinal Höffner betonte, daß es in dieser schwierigen Frage – wie im politischen Bereich – auch im katholischen Raum unterschiedliche Auffassungen gebe. Schwerpunkt der kontroversen Meinungen seien vor allem die Frage der Begrenzung des Nachzuges von Kindern bis zum 6. Lebensjahr und die Beschränkung des Nachzugs von Ehegatten. In dieser Frage könne keine verbindliche Entscheidung aus der katholischen Glaubenslehre getroffen werden, vielmehr können gläubige Christen in dieser Frage – wie bei der Friedensdiskussion – unterschiedlicher Auffassung sein. Jede Entscheidung müsse respektiert werden.

Sodann führte Bundesinnenminister Dr. Zimmermann folgendes aus: Mit rd. 4,5 Mio. Ausländern und einem Bevölkerungsanteil von rd. 7,5 % sind die Grenzen der Aufnahmefähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und der Aufnahmebereitschaft der deutschen Bevölkerung erreicht. In den Ballungsgebieten mit einem Ausländeranteil von teilweise über 2o % sind diese Grenzen bereits überschritten.

Zwar ist die Zahl der Ausländer von 1982 auf 1983 um rund 13o.ooo gesunken. Modellrechnungen zur Bevölkerungsentwicklung sagen allerdings voraus, daß bis zum Jahr 2ooo der ausländische Bevölkerungsanteil auf rund 7 Mio. gleich 11,8 % anwachsen wird.

Ein spannungsfreies Zusammenleben von Ausländern und Deutschen ist unter diesen Umständen nur zu gewährleisten, wenn wir eine klare und berechenbare Ausländerpolitik durchsetzen, anstatt die Dinge treiben zu lassen.

Die Grundpositionen unserer Ausländerpolitik sind in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 umrissen. Es sind dies

  • die Integration der auf Dauer hier lebenden Ausländer,
  • die strikte Begrenzung des weiteren Zuzugs,
  • die Förderung der freiwilligen Rückkehr.

Damit sind die Grundlagen für eine humane Politik des sozialen Interessenausgleichs umschrieben. Mehreren Millionen Ausländern wird auf diese Weise weiterhin die Möglichkeit geboten, bei völliger sozialrechtlicher Gleichstellung in unserem Lande zu leben. Niemand, der sich im Rahmen unserer Rechtsordnung bewegt, wird zur Rückkehr in die Heimat gezwungen. Dies gilt auch angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Arbeitslosenzahlen.

Wir werden diese Linie nur durchhalten können, wenn wir realistisch von den bestehenden Möglichkeiten ausgehen und das Augenmaß nicht verlieren.

Wer ständig Maximalforderungen aufstellt, die letztlich die Leistungsfähigkeit unseres Staatswesens überfordern, hilft den Ausländern, als deren Anwalt er auftritt, überhaupt nicht. Er betreibt vielmehr eine Politik, die sich objektiv nur zum Nachteil der Betroffenen auswirken kann.

Integration kann nur mit Zustimmung der deutschen Bevölkerung gelingen. Deshalb muß es unser Ziel sein, Spannungen auf allen berührten Politikfeldern abzubauen und durch verstärkte Informationsarbeit Vorbehalten in der Bevölkerung zu begegnen. Hierzu sind – wie bisher – die Kirchen und die übrigen gesellschaftlichen Kräfte aufgerufen, die hierfür breitere Wirkungsmöglichkeiten haben als der Staat. Dies gilt auch für die Medien.

Es darf auf der einen Seite kein Nachgeben gegenüber undifferenzierten und primitiven „Ausländer raus“-Parolen geben. Auf der anderen Seite dürfen wir uns ernsthaften Besorgnissen der deutschen Bevölkerung gegenüber nicht verschließen.

Wir müssen von den Ausländern, die auf Dauer hier bleiben wollen, eigene Integrationsbeiträge verlangen. Dazu gehört vor allem, daß sie sich ernsthaft um die deutsche Sprache bemühen und die Grundwerte unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung respektieren. Damit ist unvereinbar, in Koranschulen nationalistische und religiöse Überlegenheitsgefühle gegenüber Andersdenkenden zu predigen. Es darf nicht zugelassen werden, ausländische Kinder unter dem Mantel der Glaubensfreiheit gegen deutsche Lebensformen, gegen unsere Schulen und unsere Lehrer einzunehmen.

Die Überbetonung national-religiöser Traditionen gefährdet ein konfliktfreies Zusammenleben.

Die Anforderungen an die Beherrschung der deutschen Sprache und an eine qualifizierte Schul- und Berufsausbildung müssen bei den Ausländern der zweiten und der dritten Generation höher angesetzt werden. Wer hier aufgewachsen ist und das deutsche Bildungswesen durchlaufen hat, dürfte mittelfristig nur noch geringe oder gar keine Integrationsprobleme haben.

Deshalb liegt ein ganz wesentlicher Integrationsbeitrag der Ausländer darin, daß sie – falls sie auf Dauer hier bleiben wollen – ihre Kinder rechtzeitig nachholen.

Die gegenwärtige Altersgrenze von 16 Jahren ermöglicht eine in meinen Augen unverantwortliche Praxis.

Viele hier lebende Eltern lassen ihre Kinder in der Zeit, in der sie ganz besonders der elterlichen Betreuung bedürfen, im Ausland aufwachsen. Dies geschieht aus unterschiedlichen Motiven. So sollen die Kinder etwa als „gute Türken“ erzogen werden. Die Betreuung durch die Großfamilie in der Heimat erfordert geringere finanzielle Aufwendungen und ermöglicht die Erwerbstätigkeit beider Elternteile.

Der Nachzug erfolgt dann an der Schwelle zum Erwerbsleben. Es ist mir schlechthin unverständlich, daß die Eltern die Liebe zu ihren Kindern und den Gedanken der Familieneinheit erst entdecken, wenn ihre Kinder fast erwachsen sind und als Töchter möglicherweise bald eine eigene Familie gründen.

Für mich liegt auf der Hand, daß das treibende Motiv hier nicht mehr der Wunsch nach dem Zusammenleben in der Familie ist, sondern der Versuch, den Kindern in allerletzter Minute noch einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu verschaffen.

Dieses Unterfangen ist bei der gegenwärtigen Lage auf unserem Arbeitsmarkt von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn ein Jugendlicher ohne deutschen Schulabschluß und ohne deutsche Sprachkenntnisse hat hier keine Chance, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden.

Er ist zu einem Leben ohne jede vernünftige Perspektive verurteilt. Ihm droht ein Abgleiten in die Kriminalität.

Die Chancenlosigkeit jugendlicher Späteinsteiger ist durch eingehende Untersuchungen des Baden-Württembergischen Kultusministeriums und des Bundesinstituts für Berufsbildung in Berlin belegt. Ausnahmen von erfolgreichen Späteinsteigern, die es zweifellos auch gibt, bestätigen nur die Regel. Artikel 6 des Grundgesetzes gilt selbstverständlich auch für Ausländer. Aber das Elternrecht ist nicht schrankenlos. Es muß sich nach dem wohlverstandenen Interesse des Kindes richten. Eltern, die sich jahrelang nicht um ihre Kinder kümmern und sie als sprachliche und schulische Nullanfänger hierher holen, handeln verantwortungslos.

Ich meine deshalb, daß wir von dem undifferenzierten Hantieren mit den Menschenrechten herunterkommen sollten, um stattdessen klar und nüchtern zu überlegen, wie die realen Probleme im Interesse der Betroffenen zu lösen sind.

Symptomatisch für die verzerrte Diskussion über dieses Thema erscheint mir eine Äußerung der Ausländerbeauftragten Frau Liselotte Funcke. Sie hat vor einem Jahr erklärt, sie bezweifle, ob wir unsere mitteleuropäischen Bildungsvorstellungen an ein Kind aus Anatolien anlegen dürften. Ich meine, daß dieser Maßstab gelten muß, wenn das Kind aus Anatolien in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und im Zweifel für sein ganzes Leben hier bleiben möchte. Es muß dann nämlich auch in der Lage sein, seinen Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu verdienen.

Mir wird entgegengehalten, daß eine Altersgrenze in unzulässiger Weise in die Autonomie der Familie eingreifen würde. Es liegt mir fern, durch staatliche Reglementierungen das Elternrecht zu beschränken. Hier aber, wo evident gegen das Kindeswohl verstoßen wird, ist im Kindesinteresse eine Ausnahme geboten.

Die betroffenen türkischen Eltern verfügen nicht über den notwendigen Einblick in die bei uns herrschenden sozialen, wirtschaftlichen, bildungspolitischen und psychologischen Gegebenheiten. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben deutlich vor Augen geführt, daß diese Eltern die negativen Konsequenzen des verspäteten Nachzugs ihrer Kinder nicht erkennen.

Umstritten ist auch der Ehegattennachzug.

Vorab will ich ganz deutlich sagen: Der Ehegattennachzug zu ausländischen Arbeitnehmern der ersten Generation soll nicht weiter eingeschränkt werden.

Dagegen halte ich es für notwendig, den Ehegattennachzug zu Ausländern der zweiten und der folgenden Generationen aus Nicht-EG-Staaten nur noch ausnahmsweise zuzulassen.

Aus der einmaligen Anwerbung von Arbeitskräften in einer bestimmten wirtschaftlichen Situation darf nicht über Jahrzehnte hinaus eine Einwanderungsbewegung entstehen.

Hierfür fehlt es uns an allen Voraussetzungen der Infrastruktur, insbesondere auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie im Bildungssektor.

Durch Zuheiraten aus dem Ausland und durch Einreisen von nicht integrierten Ehepartnern setzen sich die Integrationsprobleme, die für die erste Generation bestanden und die nur teilweise überwunden wurden, auf unabsehbare Zeit fort. Dafür ist die Zustimmung der deutschen Bevölkerung kaum zu gewinnen.

Einschränkungen beim Ehegattennachzug können verhindern, daß türkische Mädchen in Deutschland gegen ihren Willen mit einem in der Türkei lebenden Partner verheiratet werden, den sie kaum oder überhaupt nicht kennen. Auch türkische Stimmen räumen immer wieder ein, daß diese Eheschließungen zustande kommen, um dem im Ausland lebenden Partner Aufenthalt und Arbeit in Deutschland zu ermöglichen.

Ich halte es für nicht vertretbar, einen Menschen nach einer solchen Heirat in eine Gesellschaft zu verpflanzen, deren Erwartungen er auf Dauer nicht erfüllen kann.

Demjenigen, der hier geboren oder aufgewachsen ist und dennoch Türke bleiben will, ist es zuzumuten, in die Heimat zurückzukehren und die Lebensgemeinschaft mit seinem Ehepartner dort zu begründen.

Wer hier geboren oder aufgewachsen ist und sich für die Einbürgerung entscheidet, erwirbt damit alle Rechte und Pflichten eines Deutschen. Er hat dann auch die Möglichkeit, einen Partner aus dem Ausland einreisen zu lassen. Durch die vorangegangene Einbürgerung sind die Weichen auch für die Integration seines Ehepartners gestellt.

Die Neuregelung des Kinder- und des Ehegattennachzuges soll in eine Novelle zum Ausländergesetz aufgenommen werden, deren Entwurf derzeit in meinem Hause erarbeitet wird. Weitere Schwerpunkte dieses Entwurfs werden sein

  • die Schaffung eines zeitlich begrenzten Aufenthaltsrechts, das etwa bei Aufenthalten zu Ausbildungszwecken von vornherein einen späteren Daueraufenthalt ausschließt;
  • die Einführung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts für nachgezogene Familienangehörige, das in seinem Bestand grundsätzlich von dem Aufenthaltsrecht des bereits hier lebenden Ausländers abhängig ist;
  • die rechtliche Verfestigung des Aufenthalts derjenigen Ausländer, die seit vielen Jahren in unserer Gesellschaft leben und arbeiten;
  • zusätzliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität und des Ausländerextremismus.

Besonders wichtig ist die Verfestigung des Aufenthaltsstatus für die erste Generation.

Wenn Eltern die Entscheidung über den rechtzeitigen Nachzug ihrer Kinder abverlangt wird, sollen sie auch die Sicherheit haben, daß sie selbst und ihre Kinder auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland bleiben können.

Konsequenter Abschluß der Integration für die Angehörigen des zweiten und der folgenden Generationen wird die Einbürgerung sein, deren Erleichterung gleichfalls in Aussicht genommen ist.

Integration kann nur gelingen, wenn gleichzeitig der weitere Zuzug von Ausländern mit allen humanitär vertretbaren und rechtlich zulässigen Mitteln begrenzt wird.

Zur Begrenzung gehört konsequente Aufrechterhaltung des Anwerbestops aus dem Jahre 1973.

Bei neuen Beitritten zur Europäischen Gemeinschaft müssen ausreichende Übergangsfristen für die Freizügigkeit vereinbart werden.

Das Assoziierungsabkommen zwischen der EG und der Türkei darf auch ab 1986 nicht zu einem Zuzug weiterer türkischer Arbeitnehmer führen.

Gegen illegale Einreisen, illegalen Aufenthalt und illegale Beschäftigung muß mit Nachdruck vorgegangen werden.

Die Förderung der freiwilligen Rückkehr ist durch das Rückkehrhilfegesetz, das Ende vergangenen Jahres in Kraft getreten ist, auf den Weg gebracht. Die Erfahrungen mit diesem Gesetz bleiben abzuwarten. Mir scheint, daß hiermit ein Schritt in die richtige Richtung getan ist.

Als Bundesinnenminister liegt mir ein spannungsfreies Zusammenleben von Ausländern und Deutschen in unserem Lande besonders am Herzen. Meine Überlegungen zur Ausländerpolitik werden von dieser Zielsetzung bestimmt.

Das zweite Referat hielt Herr Weihbischof Dr. Klaus Dick. Er führte u.a. folgendes aus:

1. Die Kompetenz der Kirche, in dieser Frage sich auch zu Wort zu melden, ist unbestreitbar.

a) Sie hat wie keine andere Institution in unserem Lande von vornherein sich seelsorglich und sozial-caritativ um die Ausländer bemüht und verfügt deshalb auch über beste Kenntnisse der Problematik vor Ort bzw. bei den einzelnen.

b) „Der Weg der Kirche ist der Mensch“. Diese Aussage aus der ersten Enzyklika Papst Joh. Paul II. markiert Recht und Pflicht der Kirche, auch in der Ausländerfrage, Menschenwürde und Menschenrechte an die erste Stelle zu setzen.

c) Daher beansprucht die Kirche auch das Recht, sich über den Kreis der eigenen Mitglieder hinaus zur Ausländerpolitik zu äußern, also hierzulande vor allem die Türken betreffend.

2. „In der Kirche gibt es keine Ausländer“. Das Selbstverständnis der Kirche läßt auch im Ausland geborene Katholiken volle Mitglieder der Ortsgemeinde, in der sie wohnen, sein. Deshalb ist auch die Sonderseelsorge für Ausländer keine Ausgliederung aus den Ortsgemeinden, sondern ein zusätzlicher seelsorgerlicher Dienst.

Von diesem Grundverständnis aus muss diese Verantwortung des Hirtendienstes verstanden werden, den ausländischen Brüdern und Schwestern vornehmlich die Wahrung ihrer gottgesetzten Rechte und Pflichten möglich zu machen, vor allem bezüglich Ehe und Familie.

3. Eine gesetzliche Einschränkung der Möglichkeiten zum Nachzug von Kindern zu ihren Eltern (nach dem 6. Lebensjahr) schränkt das elterliche Erziehungsrecht zu sehr ein und wird vielen konkreten Problemlagen nicht gerecht. Anstelle eines gesetzlichen Verbots plädieren wir für eine intensive Aufklärung der Eltern bezüglich der Schwierigkeit, die sich bei einem späteren Nachzug für die Ausbildung und Eingliederung der Kinder ergeben, sowie für Maßnahmen, die einen früheren Zuzug begünstigen und den späteren Nachzug belasten.

4. Eine gesetzliche Regelung, die ein Zusammenleben der Eheleute erst ein oder drei Jahre nach der Eheschließung ermöglicht, muß unsererseits völlig und grundsätzlich abgelehnt werden. Die pastorale Sorge für die Betroffenen unterstreicht diese ablehnende Haltung noch zusätzlich.

5. Abgesehen von unseren grundsätzlichen Einwendungen und Bedenken, halten wir gesetzliche Regelungen der obengenannten Art auch für bedenklich, weil

a) solche Regelungen praktisch auf ein Anti-Türken-Gesetz herauslaufen,

b) für Härtefälle so viele Ausnahmeregelungen vorgesehen werden müßten, daß ein breiterer Effekt fraglich wird,

c) im Falle des Kindernachzugs die Sorge der Eltern, keine Chance zu verpassen, zu unüberlegtem Hereinholen der Kinder unter 6 Jahren führen kann.

6. Angesichts der wichtigen Aufgabe in unserer Zeit, echte Gemeinsamkeit zwischen den europäischen Nationen unter Überwindung enger Nationalitätsgrenzen zu praktizieren, sollte in unserer Ausländerpolitik eine gute Chance zu zukunftsträchtiger Regelung gesehen werden.

In der anschließenden Diskussion sprachen sich mehrere Besprechungsteilnehmer für eine strenge Begrenzung der Nachzugsmöglichkeiten für Kinder und Ehegatten aus. Es wurde darauf hingewiesen, daß die Zahl der Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland zu hoch sei. Zwar sei die Zahl der Ausländer von 1982 bis 1983 um ca. 13o.ooo zurückgegangen. Das reiche aber nicht. Daher sollte den Ausländern ein weiterer finanzieller Anreiz geboten werden, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren.

Übereinstimmend wurde betont, daß kein Ausländer gezwungen werden solle, Deutschland zu verlassen. Gegenüber den seit Jahren in Deutschland lebenden Ausländern bestünden sowohl rechtliche als auch menschliche Verpflichtungen. Jeder Ausländer, der hier bleiben wolle, solle dazu die Möglichkeit erhalten und er solle dann auch in Deutschland in Freiheit und Humanität leben können. Jeglichem Fremdhaß und Parolen wie „Ausländer raus“ müsse entschieden entgegengetreten werden.

Notwendig aber sei, daß die Ausländer, die in Deutschland bleiben wollen, hier auch integriert werden. Es gehe nicht an, daß die Ausländer in Deutschland in einem Ghetto leben und dann die Gefahr der Radikalisierung groß sei. Zur Integration gehöre aber nicht nur das Integrationsbemühen des Staates, der Gemeinden, der Kirchen und anderer gesellschaftlicher Gruppen, sondern auch die Bereitschaft und die Mithilfe der Ausländer selbst.

Das sei vor allem bei den Türken ein besonders schwieriges Problem. Bei den Türken fehle es weithin an der Bereitschaft zur Integration. Dazu gehöre auch die mangelnde Bereitschaft der Türken, die deutsche Sprache zu erlernen und sich deutschen Sitten und Gebräuchen anzupassen. Aus diesem Grunde sei es dringend notwendig, daß die Kinder so früh wie möglich nach Deutschland nachgeholt werden und vom 6. Lebensjahre an die deutsche Sprache erlernen und deutsche Schulen besuchen. Wenn die Kinder erst mit 15 oder 16 Jahren nachgeholt würden und dann keine deutsche Schule mehr besuchen, sei eine Integration fast völlig ausgeschlossen. Kinder in diesem Alter kämen zumeist auch ohne jegliche schulische Ausbildung aus der Türkei nach Deutschland, nur um hier einen Arbeitsplatz zu suchen und Geld zu verdienen. Bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation sei dies aber völlig aussichtslos. Diese Türken würden den Arbeitsmarkt in Deutschland noch weiter belasten und es bestehe die große Gefahr, daß diese arbeitslosen Türken in die Radikalität und in die Kriminalität abgleiten. Aus diesem Grunde sei die Begrenzung des Zuzugsalters entsprechend dem Vorschlag des Bundesinnenministers richtig und nachdrücklich zu unterstützen. Mit Fragen des Schutzes der Familie und mit Fragen des Elternrechtes habe eine solche Zuzugsbegrenzung überhaupt nichts zu tun. Zu bemerken sei außerdem, daß islamische Bürger ein völlig anderes Verständnis von Ehe und Familie hätten als die deutschen.

Außerdem gebe es keine Vorschrift im Elternrecht, die den Ausländern gestatten würde, mit ihren Kindern ausgerechnet in Deutschland zu leben. Eine solche Argumentation sei rein sachlich begründet und habe mit Ausländerfeindlichkeit überhaupt nichts zu tun.

Ähnliches gelte für den Ehegattennachzug. Deutschland sei kein Einwanderungsland. Dafür fehlten alle Voraussetzungen in der Infrastruktur. Außerdem könnten Einschränkungen hinsichtlich des Ehegattennachzugs verhindern, daß sog. Zwangsehen oder auch Doppelehen in der Türkei geschlossen werden nur zu dem Zweck, eine Arbeitsstelle in Deutschland zu bekommen.

Die Vertreter des Innenministeriums wiesen darauf hin, daß zur Zeit im Innenministerium ein Gesetzentwurf vorbereitet werde, der die Schaffung eines zeitlich begrenzten Aufenthaltes rechtlich für Ausländer vorsehe.

Auch sei eine rechtliche Absicherung des Aufenthaltsrechts der Ausländer, die seit Jahren in Deutschland arbeiten und leben, geplant, ferner eine rechtliche Absicherung und Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländerkinder, die in Deutschland geboren sind.

Ferner wurde in der Diskussion darauf hingewiesen, daß besondere Schwierigkeiten aus dem Assoziierungsabkommen mit der Türkei zu befürchten seien. Es dürfe nicht zugelassen werden, daß bei Inkrafttreten dieses Abkommens ab 1986 die Zahlen von einreisenden Türken weiter sprunghaft ansteigen. Auch illegale Einreisen müssen stärker als bisher verhindert und entsprechend verfolgt werden.

Andere Gesprächsteilnehmer sprachen sich gegen eine gesetzliche Beschränkung des Zuzugs von Kindern und Ehegatten aus. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob ein Gesetz überhaupt notwendig sei und ob man nicht besser mit finanziellen Anreizen für die Rückkehr von Ausländern in ihre Heimat und mit Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit in Deutschland und in der Türkei weiterkomme. Im Übrigen würde sich eine gesetzliche Begrenzung des Zuzugs als sog. „Antitürkengesetz“ auswirken, das die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei schwer belasten könne.

Herr Alfons Müller führte aus, daß nach seiner Auffassung für eine gesetzliche Beschränkung des Zuzugsalters kein dringender Handlungszwang bestehe. Nach seiner Information kämen kaum noch Jugendliche zwischen 6 und 16 Jahren aus dem Ausland nach Deutschland, weil sich herumgesprochen habe, daß man auch in Deutschland kaum noch einen Arbeitsplatz finden werde.

Frau Lenz betonte, daß Deutschland keineswegs das Land mit der höchsten Ausländerzahl sei, auch nicht das Land mit der höchsten Zahl von Muslimen und auch nicht das Land mit der höchsten ausländischen Kinderzahl. In anderen Staaten der europäischen Gemeinschaft sei die Zahl der Ausländer noch höher. Innerhalb der Staaten der europäischen Gemeinschaft wünsche man keine Zwangsregelung in dieser Frage.

Auch sie sei der Auffassung, daß eine zwangsweise Regelung dem Ansehen Deutschlands in Europa und in der Welt schaden könne.

Frau Bundesminister Dr. Wilms betonte, daß die Arbeitslosenquote bei den Türken in unserem Lande besonders hoch sei. Auch die Zahl der Bewerber um freie Ausbildungs- und Lehrstellen sei beiden Türken ebenfalls unverhältnismäßig hoch. Die türkischen Kinder, die zum großen Teil erst in vorgerücktem Alter aus der Türkei nach Deutschland gekommen seien und zum großen Teil nicht über genügend deutsche Sprachkenntnisse verfügen, hätten keinerlei Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt und auch keinerlei Chancen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Die Bildungsproblematik, die Schulprobleme, die Wohnungsprobleme, die Religions- und Weltanschauungsproblematik, die Ghettobildung und die Weigerung vor allem der Türken, sich zu integrieren oder zu assimilieren, die Gefahr der Radikalisierung und des Abgleitens in die Kriminalität und die zunehmende Ausländerfeindlichkeit in unserem Lande verlangten nach ihrer Meinung zwingend eine Begrenzung des Nachzugs.

Professor Mikat führte aus, daß die Stellungnahmen der katholischen Kirche zur Ausländerproblematik wenig überzeugend seien. Vor allem leiden die Stellungnahmen der katholischen Kirche daran, daß sie ihr universelles Menschen- und Glaubensverständnis auf nationale Probleme übertragen. Das aber sei völlig unmöglich. Im Übrigen sei auch er der Auffassung, daß die Frage der Nachzugsbegrenzung mit dem Schutz von Ehe und Familie und mit der Wahrung des Elternrechts nichts zu tun hätte.

Ministerialdirektor Dr. Schiffer: Für die Türken, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, haben Staat und Gesellschaft die Verpflichtung, für ein menschenwürdiges Leben dieser ausländischen Mitbürger zu sorgen, insbesondere den ausländischen Mitbürgern hinsichtlich der Bildung, Ausbildung, Wohnung, Beruf, ideelle und materielle Unterstützung, Integration usw. jede nur mögliche Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Aber auf allen genannten Gebieten seien unsere Möglichkeiten sehr begrenzt. Deshalb könne auf eine strenge Nachzugsbegrenzung nicht verzichtet werden, und zwar im Interesse der Ausländer selbst. Wenn der Nachzug von Kindern und Ehegatten beschränkt werde, sei dies kein Schlag gegen die Ausländer, sondern eine Hilfe für die Ausländer.

Nach der neuesten Statistik lebten beispielsweise in der Türkei von Eltern, die in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit wohnen, insgesamt 164.4oo Kinder im Alter zwischen 6 und 16 Jahren. Wenn von den über 6-jährigen Kindern in der Türkei nur die Hälfte nach Deutschland nachgeholt werde, können wir diesen ausländischen Kindern keine Integration, keine vernünftige Bildung und Ausbildung, keinen Arbeitsplatz garantieren. Deshalb sei die geplante Beschränkung des Nachzuges von Kindern bis zum 6. Lebensjahr im Interesse des ausländischen Mitbürgers dringend geboten.

Bundesinnenminister Dr. Zimmermann erklärte, daß eine Regelungsbedürftigkeit dieser Frage unverzichtbar sei. Die Bundesregierung stehe in dieser Frage im Übrigen in völliger und nahtloser Übereinstimmung mit der früheren Bundesregierung aus der sozialliberalen Koalition. Wenn heute die SPD-Fraktion anderer Meinung sei und die Auffassung der jetzigen Bundesregierung angreife, dann sei dies unehrlich und nur aus der Sicht der Oppositionsarbeit verständlich.

Zimmermann wies weiter darauf hin, daß es keine Regelung des Problems sei, sich auf Rat, Empfehlung, Bitten, Hinweisen und auf eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit zu beschränken.

Das verstünden die Türken überhaupt nicht und es würde keinerlei Erfolg bringen. Deshalb müsse eine gesetzliche Regelung durchgeführt werden, und zwar im Interesse der deutschen Bürger und auch im Interesse der ausländischen Mitbürger.

Kardinal Höffner faßte die Diskussion dahingehend zusammen, daß es gute und überzeugende Gründe für beide Standpunkte in dieser schwierigen Frage gebe. Aus der katholischen Glaubens- und Sittenlehre heraus könne man beide Standpunkte verstehen und begründen. Jedenfalls könne ein gläubiger Christ in dieser Frage beide Standpunkte vertreten und beide Standpunkte müssten aus christlicher Sicht ernstgenommen und respektiert werden.

Kardinal Höffner schloß um 18.00 Uhr die Sitzung mit einem Dank an die Referenten und an alle Gesprächsteilnehmer.


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