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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1966 ::: ARCHIV KIRCHE 1966 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 18. – 23. Juli 1966

RADIO KURZPREDIGTEN

Konzentration und Sammlung


Falls Sie sich morgens Zeit nehmen können zum Bummeln, so ist dies in dem Augenblick vorbei, wo Sie das Haus verlassen, sich ins Auto setzen oder nur eine Straße überqueren wollen. Hohe Konzentration wird von Ihnen gefordert. In vielen Berufen steigern sich die Anforderungen, die an die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen gestellt werden, beachtlich. Es braucht den ganzen Menschen, so heißt es, den, der nicht mit seinen Gedanken umherschweift, der nicht träumt. Findet sich der ganze Mensch aber wirklich einzig und allein in der Konzentration, in der gespannten Hab-Acht-Stellung? Es gibt für den Menschen noch etwas Wichtigeres als Konzentration, das, was man Sammlung nennt. Buddhisten würden unsere Konzentration sogar eher als ein Schlafen bezeichnen. Wir hingegen sind versucht, die Sammlung mit Ausruhen gleichzusetzen. Vielleicht gestehen wir ihr noch die Funktion der Entspannung zu, die es uns dann ermöglicht, nachher wieder umso konzentrierter zu arbeiten.

Wir sind schnell mit dem Wort bei der Hand, Undank ist der Welten Lohn, weil ein anderer unser gutes Wollen nicht respektiert oder sogar unsere gute Tat verschmäht. Uns geht es vielleicht wie den Pfadfindern, die ihrem Feldmeister voll Stolz berichten: „Wir haben eine Oma über die Straße gebracht!“ „Ja, warum denn zu viert?“ „Ei, die wollte nicht!“ Schuld an diesen oder ähnlichen verfehlten guten Taten ist die mangelnde Kenntnis des andern, die oberflächliche Beurteilung seiner wahren Lage, der durch eine gönnerhafte Einstellung verengte Blickwinkel. Und das nicht nur bei gelegentlichen Begegnungen mit fremden Menschen, sondern auch im Zusammenleben mit Angehörigen, Kollegen oder Untergebenen.

Es wäre eine falsche Alternative, aus dieser Einsicht seinem guten Herzen Einhalt zu gebieten. Es gibt einen besseren Weg, eben den der Sammlung, in die ich den anderen hineinnehme. Zeit haben für den Nächsten nicht nur in den Augenblicken, wo er mich unmittelbar braucht, sondern wo er mir nur in Gedanken gegenwärtig ist.

Nehmen wir einen Vater, der seinen Sohn nicht nur danach beurteilt, was er tagsüber so alles anstellt, und welche Noten er aus der Schule mitbringt, sondern der in Muße darüber nachdenkt, was das für ein Mensch ist, der ihm da anvertraut wurde, was für wahre Bedürfnisse er hat und wie sein Wesen ist. Das sollte nicht in angestrengten Überlegungen geschehen, vielleicht nur in einem besinnlichen Anschauen, wenn jener gebeugt über seinen Schulaufgaben sitzt. Wieviel Einsicht kann eine Mutter erlangen, wenn sie in aller Ruhe ihrem Kind beim Spielen zuschaut. Vor wichtigen, oder sogar kritischen Gesprächen, die zu erwarten sind, sollte man nicht so sehr die zu verhandelnde Sache als vielmehr den Gesprächspartner selbst bedenken. Es ließen sich weitere Beispiele für diese Art der Sammlung anführen. Die genannten mögen genügen, um zu verdeutlichen, daß jede Konzentration, vor allem die, die auf einen anderen Menschen gerichtet ist, am besten in eine verweilende Sammlung eingebettet wird.


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