Konzentration – Dekonzentration der Ausländer in Frankfurt
Interview mit dem Frankfurter Oberbürgermeister
Dr. Walter Wallmann und Pfr. Herbert Leuninger
Nachschrift des Interviews im HESSISCHER RUNDFUNK (HR), Frankfurt/M., 1. Hörfunkprogramm,
23. Januar 1979
– Unterwegs in Hessen – Reporter Uwe Günzler und Ulrike Holler
Der Deutsche Städtetag ist für Dekonzentration von Ausländern in den Städten. Sie wird bereits in Städten betrieben, die eine wesentlich geringere Konzentration von ausländischen Bevölkerungsteilen haben als etwa Frankfurt.
Jerusalems Stadtoberhaupt hat Ihnen, Herr Wallmann, die Idee nahegebracht – so sagten Sie es in Ihrer Neujahrsansprache in der vergangenen Woche – unterschiedliche Nationen würden besser in bestimmten Vierteln konzentriert, statt – wie es in Frankfurt der Fall ist – bunt gemischt in allen Stadtteilen zu sein. Diese Vorstellung hat Kritik herausgefordert. Ich darf Sätze zitieren. Ihr Vorgänger im Amt, Rudi Arndt, prophezeite ein Ansteigen der Aggressionen, die FDP-Abgeordnete Edith Strumpf bewertete den Vorschlag als einen Ausdruck der Hilflosigkeit, statt die in Frankfurt lebenden Ausländer nach Volksgruppen in verschiedenen Stadtteilen zu konzentrieren, sollte der Oberbürgermeister vielmehr ein Konzept vorlegen, wie die soziale Benachteiligung der ausländischen Mitbürger behoben werden könne.
Rudi Arndt verwies auf die Beispiele Berlin-Kreuzberg und New York, wo die Ausländerviertel eindeutig sozialen Zündstoff liefern. Dieses Thema ist in der Diskussion, wir sollten es zunächst einmal konkretisieren, was Sie damit meinen.
Ja, zunächst habe ich keine Feststellung getroffen, sondern ich habe eine Frage gestellt, die ich auch im Augenblick nicht beantworten kann. Ich bin schon dankbar darüber, daß dieses Thema jetzt zum Gegenstand von Erörterungen gemacht wird. Frage, wie leben die Ausländer mit uns, wie leben wir mit ihnen? Das ist in der Tat häufig verdrängt worden.
Ich habe während eines Besuchs in Jerusalem mit meinem Kollegen Kollek darüber gesprochen. Und gar keine Frage, die Situationen dort sind natürlich anders, und jeder Vergleich hinkt. Immerhin war mir interessant, daß er die Auffassung vertreten hat, wie eine Betreuung erleichtert werde, dadurch, daß Menschen in größerer Nähe beieinander leben. Ich will keine Ghettos, keine Viertel, sondern eine Konzentration, auch aus Gründen der schulischen Betreuung von Kindern in Erwägung ziehen, daß dadurch etwas erleichtert würde, was uns ganz offenbar schwer fällt. In der Stadt Frankfurt hat es eine Ausländerkommission gegeben, eine Arbeitsgruppe. Sie ist 1971 installiert worden, sie ist bis 1976 in gewissen Abständen zusammengetreten. Ich habe mir die Arbeitsergebnisse angeschaut.
Es sind keine konkreten Handreichungen, aus denen man nun etwas ableiten könnte. Mein Anliegen ist, angesichts der Tatsache, daß jetzt – wie Sie zurecht gesagt haben – fast jeder fünfte hier in unserer Stadt Ausländer ist – daß 68 % der Kinder unserer ausländischen Mitbürger keinen Hauptschulabschluß bekommen, daß also offenbar von uns auch gegenwärtig vieles gar nicht zur Kenntnis genommen wird, was höchste Wirklichkeit ist, daß wir uns Gedanken machen müßen, wie wir und mit welchen Mitteln zu einer humaneren Betreuung unserer ausländischen Mitbürger kommen. Sie sind häufig sehr viel einsamer, als viele von uns annehmen. Mit gutem Arbeitsentgelt ist das ganze Problem längst nicht gelöst.
Ich möchte noch einmal nachfragen, Herr Wallmann, ich glaube in diesem Bestreben sind alle, die sich mit dieser Problematik befaßen, mit ihnen einverstanden. Aber ich möchte es ganz gerne noch ein bißchen konkreter haben.
Auf Frankfurt bezogen, würde das – jetzt einfach mal um einen Namen ins Spiel zu bringen – bedeuten, daß z.B. in, sagen wir, Bockenheim die Türken konzentriert werden mit deutschen Bewohnern durchsetzt, daß in Bornheim sagen wir die Italiener konzentriert würden, wäre das so ungefähr Ihr Plan?
Ich will’s versuchen, klar zu machen. Zunächst einmal, administrativ auf dem Wege von Anordnung, kann hier gar nichts geschehen. Man kann ja nur werben für eine bestimmte Idee. Zweitens, wir haben eine solche Konzentrierung in unserer Stadt in viel größerem Umfange, als sich die meisten klar machen. Beim Flughafen haben wir einen Anteil von 87 % Ausländern. Wir haben im Gutleutviertel 67 %, im Gallusviertel 30 %, in der Innenstadt 43 %, im Bahnhofsviertel 65 %. Ich sage das nur um zu verdeutlichen: Es gibt also besondere Stadtteile oder Bereiche in unserer Stadt, wo eine überdurchschnittlich hohe Ausländerbeteiligung vorhanden ist. Meine Überlegung ist nur die, und hier habe ich besonders an die Schulsituation gedacht: In 105 Schulen haben wir sogenannte Sonderkurse. Dort wird – wie die Fachleute sagen – muttersprachlicher Unterricht gegeben. Und ich finde, das genügt nicht. So lobenswert das ist, was hier geschieht, ich meine wir müssen uns überlegen, wie es gelingen kann, daß etwa eine Grundschule oder eine Hauptschule, die in einem erheblichen Teil von ausländischen Kindern besucht wird, wie es möglich ist, dort auch in der Heimatsprache Unterricht anzubieten.
Das kann man nur sehr schwer, wenn es sich um Italiener, Türken, Jugoslawen und dergl. handelt. Da ist meine Vorstellung – auch wegen der Länge der Schulwege – hier möglichst einen Appell von uns gemeinsam an die Eltern – also an die erwachsenen ausländischen Mitbürger – zu richten, um zu versuchen, sich so anzusiedeln, daß solche Konzentrationen im Unterricht möglich sind. Vielleicht ist das sehr utopisch, was ich sage, ich wollte ja auch nur einen Denkanstoß geben.
Ja, dazu müßte eigentlich gleich Herr Leuninger etwas sagen, denn es sind ja Fragen hierzu aufgetaucht: Wird Betreuung durch eine solche Konzentration erleichtert? Wird die Integration dadurch erleichtert? Oder anders gefragt: Warum wird Integration durch einen solchen Vorschlag – nämlich Konzentration in bestimmten Stadtteilen – erschwert?
Nach bisherigen Erfahrungen ist die starke Konzentration von nichtdeutschen Bevölkerungsteilen in einer Großstadt eines der größten Hindernisse für eine Integration. Und ich würde mich – Herr Oberbürgermeister – hier sehr gerne beziehen auf die Marschroute des Deutschen Städtetages. Diese Marschroute heißt: Dekonzentration. Dieser Ausdruck wird gebraucht und wird bereits in Städten auch von den Planungen her betrieben, die eine wesentlich geringere Konzentration von ausländischen Bevölkerungsteilen haben als etwa Frankfurt. Insofern würde ich sagen, das Problem in Frankfurt ist nicht: Betreiben der Konzentration oder Förderung der Konzentration, sondern intensive Förderung der Dekonzentration.
Und hier würde ich allerdings einen Begriff einbringen, der für die Stadt Stuttgart maßgebend ist. Dort wurde vor einem Jahr ein Programm verabschiedet, das besagt: Verhinderung schädlicher Konzentration, wobei der Wunsch nach landsmannschaftlicher Nachbarschaft zu respektieren ist. Nachbarschaft ist aber noch nicht Konzentration in einem Stadtviertel, sondern ist Respekt – ich möchte fast sagen – vor den Vorstellungen der Großfamilie.
Aber jetzt müssen wir fragen: Warum ist Konzentration schädlich?
Konzentration ist deswegen schädlich, weil die Möglichkeiten des Kontaktes mit der deutschen Bevölkerung damit wesentlich geringer werden. Unsere Vorstellungen – gerade auch für den Kindergartenbereich – den wir für den augenblicklich gesellschaftspolitisch wichtigsten Bereich der Integration betrachten – diese Vorstellungen gehen dahin, alles dafür zu tun, daß deutsche und nichtdeutsche Kinder – gleich welcher Nationalität – gemeinsam aufwachsen, gemeinsam erzogen, gemeinsam gefördert werden.
Ja, aber dann kommt das Argument, Kinder, die dann wieder zurückkehren, sind entwurzelt, haben ihre Muttersprache nicht mehr oder ihre heimatlichen Normen nicht mehr. Und das zweite Argument von Herrn Dr. Wallmann, sie sind im muttersprachlichen Unterricht – also in der Schule – nicht genug gefördert.
Ich glaube, den schulischen Bereich sollte man ansprechen, denn das ist ja von Herrn Wallmann ein Kernanliegen.
Darf ich eines sagen, Herr Pfarrer? Ich möchte nicht mißverstanden werden. Ich möchte unter gar keinen Umständen Stadtteile, in denen nur Ausländer oder nur Menschen einer Nationalität leben. Das kann man ja im übrigen auch gar nicht anordnen. Aber wenn es möglich wäre, ich ersetze den Begriff Konzentration durch Ihre Formulierung: In Respekt vor der Nachbarschaft! Auch hier ist noch folgendes zu beachten:
Wir haben ja häufig falsche Vorstellungen, wenn wir etwa annehmen: Die Türken sind die Türken! Es gibt unterschiedliche Nationalitäten. Da sind die Bindungen in der Großfamilie u.U. viel entscheidender als das Gefühl, einer Volksgruppe, einer Nation, einem Staatsverband anzugehören. Es geht darum, daß wir prüfen müssen, ob wir die Situation nicht insbesondere für die Kinder erleichtern, wenn sie nicht mit zu vielen verschiedenen Nationalitäten und mit zu wenigen Deutschen zusammenleben.
Ich darf Ihnen sagen, am Freitag hat mir die Mutter eines 16-jährigen Ausländers, der Vater ist Generalkonsul, zwei oder drei Jahre in Deutschland lebend, erklärt: Unser Kind hat keine Bindung in eine deutsche Familie! Das kann nicht sein!
Da wurde mir gesagt: Morgens besucht er die Schule, in der er deutsch lernen soll. Dort begegnet er aber keinem Deutschen, sondern Türken, Italienern, Spaniern usw. Am Abend geht er auf eine internationale Schule, wo er seine Zertifikate bekommen soll. Da begegnet er wiederum keinem Deutschen.
Das würde doch genau für die Dekonzentration sprechen, würde doch genau dafür sprechen, daß Ausländer eben nicht in bestimmten Stadtteilen konzentriert leben, sondern verstreut sind, das, was Herr Pfr. Leuninger sagte, auf die ganze Stadt, damit sie mit Deutschen in eine Schule gehen.
Darf ich nochmals sagen, es geht mir nicht darum, mit dem Begriff Konzentration eine Vorstellung zu entwickeln, daß die Italiener, die Türken in einem bestimmten Bereich ohne Nachbarschaft mit Deutschen leben.
Ich überlege mir nur, ob wir nicht für die Idee, daß Türken in einem Bereich, in dem eine Schule ist, in der türkisch angeboten wird, Italiener in einem Bereich, in deren Nähe italienischer Unterricht angeboten wird, werben sollen. Dieses habe ich mit Konzentration bezeichnet. Es mag ein unscharfer Begriff sein. Lassen Sie uns nicht über Worte streiten.
Das Anliegen – meine ich – müßte untersucht werden. Wenn es zu einem positiven Ergebnis führt, ist es gut. Wenn es zu keinem positiven Ergebnis führt, müssen wir uns weitere Gedanken machen. Nicht mehr ist das Ganze.
Jetzt sollten wir noch Herrn Leuninger Gelegenheit gehen, darauf zu reagieren. Die Sendung ist nun doch durch die Länge der Diskussion ein wenig gesprengt. Aber ich glaube, es ist ein problematisches und schwieriges Thema, das man ruhig etwas ausführlicher behandeln sollte.
Ich möchte nicht in Details gehen. Es ist nicht Aufgabe der Kirche, auch Details vorzuschlagen. Ich möchte nur noch einen Gedanken gleichsam zum Abschluß sagen dürfen:
Meiner Einschätzung nach ist Frankfurt die internationalste Stadt Europas. Die Mischung der Nationalitäten ist eine Gegebenheit, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Man kann nur dafür sorgen, daß die Entmischung nicht noch weitere Fortschritte macht, die etwa bedeutet, daß im Bahnhofsviertel innerhalb eines Jahres der Prozentsatz der Ausländer von 60 % auf 65 % gestiegen ist und etwa im Gutleutviertel von 57 % auf 67 %.
Die Konzentration ist also in vollem Gange. Hier muß gegen gesteuert werden. Hier hätte die Kirche auch ihren Beitrag zu leisten durch die Internationalisierung der Mentalität, und zwar aller Beteiligten, der Deutschen und der Nichtdeutschen.
Das tut die Kirche auch. Aber sie werden auch zugeben, Herr Pfr. Leuninger, es gibt hier z.B. Gottesdienste, in denen finden Sie nach Nationalitäten geordnet zur bestimmten Uhrzeit eine bestimmte Gemeinde vor. Selbst in Ihrer Kirche. Wenn Sie Gottesdienst halten, erleben Sie ja häufig die Abkapselung. Ich sage das ohne jeden Unterton. Ich stelle nur fest.
Wahrung der kulturellen, ethnischen und sogar religiösen Identität ist auch eines unserer kirchlichen Anliegen, wobei wir allerdings schon die Gefahr sehen, daß wir des Guten zu viel getan haben auf diesem Sektor.
Ich habe es vor kurzem formulieren können. Wir haben uns im gewissen Sinne eine Nebenkirche eingehandelt, und wir sind im Augenblick dabei, das Problem zu lösen, nicht durch Atomisierung, sondern durch Möglichkeiten der Kommunikation, und das bedeutet, durch Möglichkeiten des Zusammenlebens.
Ich darf mich herzlich bedanken bei allen Beteiligten. Vielleicht haben wir das Nachdenken über dieses Problem ein wenig damit angeregt.
Schönen Dank!