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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV FOTOSERIEN 2001 :::

EVANGELISCHE KIRCHE IN DER STADT
Zeitung für die Evangelische Gesamtkirchengemeinde Tübingen Februar-April 2001

Ökumene über kirchliche Grenzen hinaus
im Arbeitskreis Kurdenasyl

Beate Schröder

Seit August (2000) lebt die kurdische Familie Güler im Kirchenasyl. Sie wird begleitet von einem Arbeitskreis, der für das Bleiberecht der Familie eintritt.

Die acht Kirchengemeinden haben sich verpflichtet, monatlich mindestens je 200 Mark zum Lebensunterhalt der Familie Güler beizusteuern. Von den acht Gemeinden sind sechs evangelisch und zwei katholisch.

Der Arbeitskreis trifft sich 14-tägig, um die aktuelle Lage zu besprechen und zu überlegen, wie die Legalisierung der Familie vorangetrieben werden kann, z.B. durch Gespräche mit den Landtagsabgeordneten aller Fraktionen, durch Briefe an den Innenminister, durch öffentliche Veranstaltungen zur Situation der Kurden in der Türkei.

Bei jedem Treffen geht ein Zweiwochenplan herum, in den sich Mitglieder des Asyl AKs eintragen, um einen Tag für die Gülers da zu sein: Mit ihnen einzukaufen, mit den Eltern spazieren zu gehen, einfach nur zu reden oder köstliche kurdische Gerichte zu genießen. Da die Gülers außerhalb des Kirchengeländes nicht vor dem Zugriff der Polizei geschützt sind, ist ein solcher Dienstplan notwendig. Am Wochenende übernimmt der als Asylbewerber anerkannte Sohn Ali diese Aufgaben.

Immer wieder werden die Gülers von einzelnen Gemeinden eingeladen, um von ihrer Situation zu berichten. Auch in Schulklassen oder im Konfirmandenunterricht sind vor allem die Söhne schon oft gewesen.

Bis zu 40 Menschen versammeln sich jeden zweiten Dienstag im Gemeindesaal der Martinsgemeinde. Sehr verschiedene Menschen, was Alter, Beruf und Herkunft angeht. Außerdem ist es auffällig, dass die katholischen Gemeinden, vor allem die Gemeinde von St. Michael, fast immer mit fünf bis sieben ehrenamtlichen Gemeindegliedern vertreten ist, die auch verantwortliche Aufgaben übernehmen, während aus den evangelischen Gemeinden eher wenige, und nicht selten Hauptamtliche zu den Sitzungen kommen.

Ökumene geschieht im Arbeitskreis Kurdenasyl aber noch auf andere Weise:
Hätte es wohl ein Kirchenasyl in Tübingen gegeben, wenn die Eberhardsgemeinde nicht von ganz unkirchlicher Seite angesprochen worden wäre? »KeinMensch ist illegal« nennt sich eine Initiative, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Flüchtlingen, die in der Bundesrepublik Deutschland kein Asyl bekommen haben, zu helfen, sei es durch vorübergehende Unterbringung, durch sprachlichen oder rechtlichen Beistand, oder durch Hilfe bei der Ausreise. Ihr Engagement ist Ausdruck ihrer politischen Verantwortung und ihrer Liebe zu den Flüchtlingen. Allerdings erschöpft sich die Arbeit von »Kein Mensch ist illegal« nicht in karitativem Einsatz für die Flüchtlinge, sondern ist verbunden mit Öffentlichkeitsarbeit zur Situation in den Heimatländern der Flüchtlinge und zur restriktiven Asylpolitik in der Bundesrepublik. Die „Ökumene“ mit dieser Initiative ist für die Kirchengemeinden sehr bereichernd, weil sie durch ihren politischen Ansatz den kirchlichen Horizont erweitert.

Die Zusammenarbeit zwischen so unterschiedlichen Menschen führt natürlich auch zu Reibereien und Meinungsverschiedenheiten, z.B. in der Frage, wie man politisch am geschicktesten vorgeht, um die Anerkennung der Familie Güler zu erreichen. Ist es eher sinnvoll, hinter den Kulissen mit verantwortlichen Politikern über das konkrete Schicksal dieser einen Familie zu verhandeln? Oder sollte man die Angst der Politiker vor einer größeren Öffentlichkeit offenlegen und mit Veranstaltungen, Infoständen und Presseartikeln auf das Schicksal der kurdischer Flüchtlinge in der Türkei oder hier in Deutschland aufmerksam machen?

Trotz solcher inhaltlichen Spannungen ist es für mich beeindruckend, wie pensionierte Kirchengemeinderäte, Studierende aus ESG (Evangelische Studierendengemeinde) und KHG (Katholische Hochschulgemeinde), kirchliche MitarbeiterInnen und kirchenferne InitiativlerInnen mit der Familie Güler es schaffen, über eine so lange Zeit zusammen zu bleiben und für das Bleiberecht der Familie einzutreten.


Arbeitskreis „Ökumenisches Kirchenasyl“
Ev. Eberhardskirchengemeinde/Kath. St. Michael-Gemeinde
Ev. Bonhoefergemeinde – Ev. Martinsgemeinde – Ev. Stephanusgemeinde
Ev. Studierendengemeinde (ESG) – Kath. Hochschulgemeinde (KHG)
Ev. Kirchengemeinde Lustnau

Veranstaltungen im Rahmen des Tübinger Kirchenasyls

Dienstag, 27.3.2001 20 Uhr – Saal der ev. Martinsgemeinde:
Das „Wanderasyl“ in NRW
Mitglieder des AK Asyl/Mönchen-Gladbach berichten über ihre Erfahrungen beim Kirchenasyl mit kurdischen FlüchtlingenFreitag, 6. 4.2001 20 Uhr – Schlatterhaus, Österbergstraße:
Festung Europa
Vortrag von Pfr. Herbert Leuninger/ProAsyl, Limburg, Dienstag, 8.5.2001 20 Uhr – Saal der ev. Martinsgemeinde:
Alevitischer Abend
Kurdische Flüchtlinge führen uns ein in ihr Brauchtum und ihre Religion

Neues Deutschland vom 23./24. Dezember 2000

Warten, hoffen, zuversichtlich bleiben

Trotz zehnjährigen Aufenthalts in Deutschland soll die kurdische Familie Güler abgeschoben werden. Seit fünf Monaten befindet sie sich im Kirchenasyl in Tübingen. Ein großer Unterstützerkreis setzt sich für ihr Bleiberecht ein.

Von Martin Höxtermann

Auf dem halbrunden Kirchplatz wiegen zwei Linden ihre Wipfel im Wind. Kleine Holzbänke laden zum stillen Verweilen ein. Eine Steintreppe führt zum kleinen Pfarrgärtchen oberhalb des Gotteshauses – über allem ragt der orangefarbene Turm der evangelischen St. Martins-Kirche. Nichts deutet darauf hin, dass in der ehemaligen Küster-Wohnung der Tübinger Gemeinde seit fünf Monaten eine kurdische Familie im Kirchenasyl lebt und um ihre Zukunft bangt.

Am 1. August ist Familie Güler in die Zwei-Zimmer-Wohnung eingezogen: Vater Mustafa, Ehefrau Hatice, Sohn Ahmed und die beiden Töchter Fatma und Sultan. Im hinteren Teil des Wohnzimmers mit Blick auf den Kirchplatz teilen sich die erwachsenen Kinder hinter einem dünnen Vorhang zwei Betten, das Schlafzimmer der Eltern dient als Arbeitszimmer. „Wir sind froh, dass wir hier wohnen können, doch die Enge und die unsichere Situation sind sehr belastend“, sagt der 19jährige Ahmed. „Ich will endlich leben wie ein normaler Mensch, ausgehen, die Schule besuchen, eine Ausbildung machen“, wünscht die ältere Schwester Fatma.

Die Polizei kennt den Aufenthaltsort der Flüchtlinge: Auf einem weißen Zettel am Briefkasten ist der Name der Familie zu lesen. Bislang respektieren die Behörden das Kirchenasyl, doch jedes vorbeifahrende Polizeiauto lässt die Gülers zusammenzucken. Niemand aus der Familie wagt es, ohne Begleitung das schützende Kirchengelände zu verlassen. Bei den täglichen Besorgungen im nahen Lebensmittelmarkt, bei Spaziergängen und Fahrten in die Innenstadt, immer sind deutsche Unterstützer dabei. Sie sollen bei Polizeikontrollen vermitteln und die Situation klären. Ein Garant gegen Verhaftungen sind sie freilich nicht. Schließlich hat das zuständige Regierungspräsidium mitgeteilt, daß die Kurden jederzeit mit Abschiebung rechnen müssen, „wenn sie außerhalb der kirchlichen Räume angetroffen beziehungsweise von der Polizei aufgegriffen werden“.

Erst im Oktober hat die Behörde die Familie schriftlich aufgefordert, über eine „freiwillige Ausreise“ nachzudenken. „Deshalb verlässt nie die ganze Familie das Kirchengelände, einige bleiben aus Sicherheitsgründen immer hier“, erklärt die 26-jährige Sultan. Der Alltag ist für die Gülers ein Ausnahmezustand, das Asyl ein Arrest von ungewisser Dauer, die Angst ein ständiger Begleiter. „Wir nehmen alles Kauf, solange wir nicht in die Türkei zurück müssen“, sagt Vater Mustafa.

Seit dem 15. Juni 2000 ist die kurdische Familie akut von Abschiebung bedroht. Sie stammt ursprünglich aus dem kleinen Dorf Kocolar im Südosten der Türkei und war dort wohlhabend. Mustafa Güler war Mitglied im Dorfrat und in der Gemeinde angesehen. „Wir besaßen zwei Weinberge, gepachtete Ländereien und hatten ein eigenes Haus“, erzählt der gelernte Landwirt. Die Flucht geschah deshalb nicht leichtfertig. Hatice, Mustafa und Sultan Güler waren für die linksgerichtete Partei TDKP und zeitweise auch für die kurdische Arbeiterpartei PKK aktiv. Lange hat die Familie versucht, der Repression der türkischen Polizei zu widerstehen. Nachdem Sedik Menes, der Bruder der Mutter, als TDKP-Aktivist festgenommen und 1981 für fünf Jahre inhaftiert worden war, wurden die Gülers öfters zur Polizei gebracht. Vor allem Hatice Güler wurde oft mitgenommen, geschlagen und im Beisein von Tochter Fatma gefoltert. 1987 zwang die türkische Miliz den Vater, sich am Dorfschützersystem zu beteiligen. „Daraufhin entschieden wir uns zur Flucht ins Ausland. Auch, weil wir als gläubige Aleviten in der Türkei nicht sicher waren“, berichtet der 49-Jährige.

Die Kinder wurden zu Verwandten gebracht, die Eltern gingen nach Istanbul und gelangten via Italien in die Schweiz. Nachdem ihre Asylanträge abgelehnt worden sind, wanderten sie 1990 in die Bundesrpublik weiter und holten ihre Kinder ins schwäbische Wehingen (Landkreis Tuttlingen) nach, wo die Familie bis zum Sommer gelebt hat und integriert war. So kickte Sohn Ahmed acht Jahre lang im örtlichen Fußballverein. „Er war wegen seines ruhigen und vernünftigen Wesens beliebt“, lobt der Jugendleiter des TV Wehingen, Werner Haag, den zuverlässigen Abwehrspieler.

Doch auch in Deutschland wurden die Asylanträge der Gülers abgelehnt, ebenso die Folgeanträge. Die Verwaltungsgerichte in Karlsruhe und Freiburg schenkten den Folterberichten der Eltern keinen Glauben. Auch zwei Petitionen an den baden-württmebergischen Landtag fanden kein Gehör. „Wir haben viele Verwandte, die sind alle als Asylflüchtlinge anerkannt, nur wir nicht“, wundert sich Ahmed. Von der sehr großen Verwandtschaft der Gülers leben heute bis auf zwei Großeltern alle Mitglieder im Ausland. Das Aufenthaltsrecht der meisten ist gesichert. Unter anderem der älteste Sohn Ali, der bereits 1990 eingereist war, dessen Asylantrag 1995 anerkannt wurde und der zur Zeit eine Ausbildung als Zerspanungsmechaniker absolviert.

„Würde die Familie in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder SchleswigHolstein leben, müsste sie sich um ihre Zukunft keine Sorgen machen“, meint ihr Rechtsanwalt Manfred Weidmann. Denn ein Aufenthalt von zehn Jahren in Deutschland reicht eigentlich aus, um nach der Altfall-Regelung ein Bleiberecht zu bekommen. Schließlich war die Familie vor dem 1. Juli 1993, dem von der Innenministerkonferenz festgelegten Stichtag, eingereist. Doch das allein genügt im Falle der Familie Güler nicht – sie lebt im falschen Bundesland. „Baden-Württemberg ist ein erklärter Gegner der Altfallregelung und hat ihr bei der Innenministerkonferenz nur murrend zugestimmt, um sie jetzt zu unterlaufen“, meint Anwalt Weidmann. So hat Landesinnenminister Thomas Schäuble (CDU) äußerste Strenge bei der Anwendung der Altfall-Regelung angeordnet und die Erteilung eines Bleiberechts an „Integrationsbedingungen“ geknüpft, die im Südwesten besonders restriktiv ausgelegt werden. Flüchtlingsfamilien, die am 1. November 1999 keine Erwerbstätigkeit nachweisen konnten, haben im Musterländle keine Chance auf Anerkennung als Altfall.

Dies trifft für die Gülers zu. Mehrfach haben sie Arbeit gesucht, Vater und Töchter hatten feste Jobzusagen. „Ich hätte in einem Fischrestaurant in Tuttlingen arbeiten können“, berichtet Sultan Güler und kramt eine Empfehlung vom „Wirtshaus zur Rumpelkiste“ hervor. „Frau Schiel, die Wirtin, kennt mich und hätte mich gern als Bedienung und Küchenhilfe beschäftigt.“ Doch das Arbeitsamt wollte kein Arbeitserlaubnis ausstellen. Ahmed musste im dritten Lehrjahr sogar seine Lehre als Heizungstechniker abbrechen, weil die Duldung nicht verlängert und deswegen die Arbeitserlaubnis abgelehnt wurde.

Weil die Abschiebung verfügt war, ging die Familie Mittei Juni in die Illegalität, übernachtete mal hier, mal dort – bis ihr die Tübinger Gemeinden Anfang August Asyl gewährten. Auch wegen der „humanitären Tragödie“, die sich hier anbahnte, haben sich zunächst sieben, inzwischen acht Kirchengemeinden inklusive der beiden Hochschulgemeinden entschlossen, die Familie ins Ökumenische Asyl zu nehmen. Die „unmenschliche Abschiebepraxis unseres Staates“ sei nicht länger tatenlos hinzunehmen, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der evangelischen und katholischen Gemeinden. „Aufgrund ihres Gewissens wollen die beteiligten Kirchengemeinderäte die Auslieferung der Flüchtlinge an den türkischen Staat und die damit verbundenen Bedrohung durch Verhöre, Verhaftung und Folter nicht zulassen“.

Der Wehinger Pfarrer Dekan Norbert Bentele hatte den Kontakt hergestellt und um Unterstützung angefragt, weil für ein Kirchenasyl in seiner Landgemeinde die notwendige Infrastruktur gefehlt hat. In der Universitätsstadt Tübingen war man vorbereitet. „Bereits vor einem Jahr hatten verschiedene Kirchengemeinden eine Resolution zum Abschiebeschutz von Flüchtlingen in die Türkei veröffentlicht und sich bereit erklärt, 15 kurdischen Flüchtlingen Asyl zu gewähren“, erzählt Helmut Zwanger, Pfarrer der Tübinger Martins-Gemeinde, der Wand an Wand mit den Gülers wohnt. Mehr als tausend Bürger und rund 50 kirchliche Gremien hatten die Resolution unterstützt. „Dass es damals nicht zum Ernstfall kam, war ein politischer Erfolg“, meint Zwanger. Daher sei sofort klar gewesen, dass man auf die aktuelle Anfrage bezüglich der Gülers positiv reagieren werde.

Vorgesehen war zunächst ein Wanderkirchenasyl durch verschiedene Gemeinden. „Doch weil es der Zufall wollte, dass unsere Küster-Wohnung frei stand, lebt die Familie nun hier“, sagt der 58-jährige Geistliche. Die Gemeinden unterstützen das „Kurdenasyl“ mit monatlich 2.000 Mark, finanzieren die ärztliche Versorgung und den Rechtsbeistand und organisieren die Begleitbesuche. Zusammen mit der Tübinger Initiative »Kein Mensch ist illegal«, die das Kirchenasyl als eine „Demonstration von Zivilcourage gegen eine absolut menschenverachtende Asylpolitik“ tatkräftig unterstützt. Schließlich müsse den Biedermännern bei ihrer rassistischen Flüchtlings- und Migrationspolitik ebenso Einhalt geboten werden wie den Brandstiftern auf der Straße, sagt Steffi Fischbach von KMIL. Die fünfköpfige Gruppe will sich nicht auf humanitäre Hilfe im Einzelfall beschränken, sondern auch die deutsche Asylrechtssprechung und den rassistischen Alltag zum Thema machen. „Wir fordern nicht nur ein dauerhaftes Bleiberecht für Familie Güler, sondern einen sofortigen Abschiebestopp in die Türkei, eine Altfallregelung, die diesen Namen verdient, eine asylrechtliche Anerkennung von Traumatisierung, Kriegsdienstverweigerung und frauenspezifischen Fluchtgründen, keine Grenze nirgendwo“, erklärt die Studentin.

Bei den Kirchengemeinden finden solche Forderungen wenig Resonanz. Dort hält man eine Lösung des Einzelfalls auf stillem Verhandlungsweg für erfolgversprechender, auch aus Angst vor einer Politisierung des Konfliktes. Die Gespräche mit dem Innenministerium waren bislang jedoch ergebnislos. „Wir werden laufend vertröstet“, resümiert Pastoralreferent Jörn Hauf vom Tübinger Arbeitskreis Kirchenasyl die monatelangen Verhandlungen. Darin verfolgen die Unterstützer mehrere Linien. Zum einen versuchen sie, die Landesregierung zu mehr Flexibilität in der Auslegung des Asylrechts zu bewegen. Sechs weitere Flüchtlingsfämilien befinden sich derzeit in Obhut baden-württembergischer Kirchengemeinden, der Druck auf die Landesregierung wächst. „Jeden Monat rufen 10 bis 15 Pfarrer an und fragen um Rat wegen Kirchenasyl“, berichtet Volker Kaufmann vom Diakonischen Werk. Die württembergische Diakonie wirft der Landesregierung vor, die Kriterien zur Abschiebung von Asylbewerbern zu streng auszulegen und damit Kirchenasyl zu provozieren. Immerhin hat Stuttgarts Staatsminister Christoph Palmer (CDU) einen „sensiblen Umgang“ mit Kirchenasyl zugesagt: „Es bleibt das Ziel der Landesregierung, die gegenwärtig vorhandenen sieben Kirchenasylfälle mit Augenmaß zu lösen, in einer Art und Weise, die auch Respekt vor unseren Kirchen zum Ausdruck bringt“, versprach Pabrier im Oktober im Landtag.

Eine weitere Initiative zielt auf eine „Stopp-Petition“. des Petitionsausschusses, die mit Unterstützung verschiedener Landtagsabgeordneter auf den Weg gebracht werden soll, um für die Gülers einen Bleiberechts-Status zu erreichen. Eine dritte Verhandlungslinie setzt auf ein medizinisches Gutachten, welches Hatice Güler ein „post-traumatisches Syndrom“ bescheinigt, das sie aufgrund der Misshandlungen erlitten hat. Im positiven Fall würde es für sie und ihren Ehemann ein Bleiberecht ermöglichen; die bereits erwachsenen Kinder müssten jedoch weiter bangen. Und darauf hoffen, dass der politische Druck Wirkung zeigt.

Sowohl in den Kirchengemeinden als auch in der Tübinger Bevölkerung ist die Unterstützung für die kurdische Familie groß. Ahmed Güler ist häufig in Tübinger Schulen zu Gast, Medienvertreter und Politiker geben sich in der kleinen Küsterwohnung die Klinke in die Hand. „Kirchenasyl ist für die in Angst lebende Familie Güler derzeit die einzige Möglichkeit, überhaupt einen Menschenrechtsraum geltend zu machen“, solidarisierte sich auch der baden-württembergische PDS-Bundestagsabgeordnete Winfried Wolf bei einem Besuch.

Vor zwei Wochen forderten 29 Mitglieder des Tübinger Gemeinderates erneut von Innenminister Thomas Schäuble eine humanitäre Lösung. Bislang waren Appelle und Gespräche ergebnislos. „Die Landesregierung wird sich vor der Landtagswahl in drei Monaten nicht bewegen“, vermutet Jörn Hauf vom Arbeitskreis Kirchenasyl. „Die CDU hat Angst, am rechten Rand Stimmen zu verlieren und mit einer humanitären Lösung des Kirchenasyls den Republikanern ein Wahlkampfthema zu liefern“. So heißt es für Familie Güler weiterhin: warten, hoffen, zuversichtlich bleiben. Und zusehen, wie die ersten Schneeflocken auf die Wipfel der beiden Linden niederrieseln, die die Idylle des Kirchplatzes bewachen.


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