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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV FOTOSERIEN 2001 :::

Kinderrechtspreis „Blauer Elefant“ für „Pro Asyl“

Verleihung am 22. November 2001 in Berlin

PREISVERLEIHUNG

Deutscher Kinderschutzbund
Schiffgraben 29, 30159 Hannover
Ravensburger Familienratgeber

Urania-Verlag, Dircksenstr. 48, 10122 Berlin

Pressemitteilung vom 22. November 2001

Verleihung „BLAUER ELEFANT für Kinderrechte“
an „Pro Asyl“ am 22. November 2001

Grips Theater, Altonaer Straße 22, 10557 Berlin
Beginn: 17.00 Uhr

Am 22. November 2001 wird in Berlin der „BLAUE ELEFANT fair Kinderrechte“ an die Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“ verliehen. Die mit DM 10.000 dotierte Auszeichnung nimmt Heiko Kauffmann, Sprecher von „Pro Asyl“ und Initiator der prämierten Initiativen, stellvertretend entgegen.

Der „BLAUE ELEFANT für Kinderrechte“, der gemeinsam von den Ravensburger Ratgebern im Urania Verlag und dem Deutschen Kinderschutzbund vergeben wird, zeichnet Personen oder Organisationen aus, die sich besonders für die essentiellen Belange von Kindern eingesetzt haben. In diesem Jahr wird der Preis zum zweiten Mal verliehen. Im Jahre 2000 ging er an die Redaktion „Kind und Kegel“ (WDR).

Der „BLAUE ELEFANT für Kinderrechte“ zeichnet die bundesweite Arbeitsgemeinschaft „Pro Asyl“ für ihre Kampagne „Alle Kinder haben Rechte“ und die von ihrem Sprecher eingereichte Petition „Zur Rücknahme der deutschen Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention und zur Umsetzung ihrer Bestimmungen im deutschen Ausländer- und Asylrecht“ aus.

Kampagne und Petition, die von vielen Verbänden und Organisationen unterstützt werden, setzen sich für die Rechte von Flüchtlingskindern ein, die in Deutschland noch nicht ausreichend umgesetzt sind.

Dieser Einschätzung hat sich auch der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mit seiner Beschlussempfehlung vom 27. September 2001 angeschlossen, die er mit der Aufforderung des dringenden Handlungsbedarfs an die Bundesregierung und die Landesvertretungen überwiesen hat. Zudem ist angesichts der internationalen politischen Situation die Problematik von Flüchtlingskindern sowohl in Deutschland als auch in Afghanistan zu einem sehr aktuellen, dringlichen Thema geworden.

Anlässlich der Preisverleihung werden die Mitglieder der Kinderkommission des Deutschen Bundestages in einer Podiumsdiskussion den Standpunkt ihrer jeweiligen Partei erläutern und mit Flüchtlingskindern ins Gespräch treten.


LAUDATIO

Kinderrechtspreis „Blauer Elefant“ für „Pro Asyl“
Verleihung am 22. November in Berlin 2001

LAUDATIO

Heribert Prantl
Süddeutsche Zeitung

Vor 15 Jahren wurde „Pro Asyl“ gegründet die Organisation, die und deren Vorsitzenden wir heute ehren. In diesen 15 Jahren hat Deutschland die schlimmsten Ausschreitungen gegen Flüchtlinge erlebt. In diesen 15 Jahren wurde das Asylgrundrecht drastisch verkürzt, wurde Abschiebehaft selbst gegen Kleinkinder verhängt, haben sich Flüchtlinge aus Angst vor der Abschiebung in der Zelle umgebracht. Die 15 Jahre „Pro Asyl“ waren 15 Jahre contra Asyl. Der kleine große Verein „Pro Asyl“ hatte nicht die Kraft, das Asylrecht zu erhalten, er hatte auch nicht die Kraft, den deutschen Vorbehalt zur UN-Kinderkonvention durchzustreichen. Aber das liegt auch nicht in seiner Macht.

War also die Arbeit von „Pro Asyl“ erfolglos? Ohne „Pro Asyl“ wäre die Stimme der Humanität noch leiser in diesem Land. Ohne „Pro Asyl“ hätten die Flüchtlinge keinen Anwalt, der für sie alle spricht. Ohne „Pro Asyl“ gäbe es viele der Kirchenasylgruppen nicht, die den Flüchtlingen das zu geben versuchen, was der Staat ihnen verweigert: Schutz und Hilfe in lebensbedrohlicher Situation. Heiko Kauffmann betreibt die Sache von „Pro Asyl“ mit einer Entschlossenheit, die vielen Politiker (und auch vielen Journalisten) unheimlich ist. Selbst der Alt-Liberale Burkhard Hirsch nennt Leute wie Kauffmann oder seinen Vorgänger Herbert Leuninger „Fanatiker“, wenn diese zum Beispiel die rigorose Haltung der herrschenden Politik gegen die Kinderflüchtlinge geißeln und in alttestamentarischen Sprachbildern Flüchtlinge als „Botschafter des weltweiten Unrechts“ bezeichnen, denen besondere Ehrerbietung gebühre. Sie seien „theologisch gesprochen, Engel und Verkünder“, meinte Pfarrer Leuninger einmal. „Wir aber behandeln sie wie den Boten der Antike, der wegen seiner schlechten Nachrichten umgebracht wird.“ Solches Reden und solche Kompromisslosigkeit sind einer Politik suspekt, deren Alltag aus Kompromissen besteht und bestehen muss.

„Pro Asyl“ mag unbequem sein, die Kampagnen von „Pro Asyl“ mögen der Politik peinlich sein, aber die Gesellschaft muss ein solches Engagement nicht nur aushalten, sondern würdigen als ‚Dienst an der Demokratie‘, wie Judith Kumin, die frühere Vertreterin des UN-Flüchtlingskommissars in Deutschland, dies einmal gesagt hat. Ich freue mich jetzt, dass dieser Dienst an der Demokratie heute geehrt wird mit einem Preis, der einen so schönen Namen trägt: Blauer Elefant. Dem „Abc der Tiere“ habe ich entnommen, dass der Elefant für die alten Inder ein verehrungswürdiges, hilfreiches, sozial denkendes Wesen ist, das gern mit anderen Tieren zusammenlebt; er kommt, lese ich da, als Götterbote vom Himmel, gilt als König der Tiere und rettet mehrfach Menschen aus Gefahr.

Das heißt: Der Elefant ist das richtige Symbol für „Pro Asyl“, das richtige Symbol für Heiko Kauffmann. Im übrigen – schlag nach bei Bert Brecht – ist der Elefant das Lieblingstier von Herrn Keuner, weil er ‚List mit Stärke‘ vereine. Auch das passt ziemlich gut zu Heiko Kauffmann und „Pro Asyl“. Heiko Kauffmann und „Pro Asyl“ erhalten den Blauen Elefanten vielleicht auch deswegen, weil sie etwas gegen Teddybären haben, dann jedenfalls, wenn diese Teddybären sich am falschen Ort befinden. Dazu eine SZ-Zeitungsmeldung vom 8.11.1999: „Kinderknast mit Teddybär? „Pro Asyl“ mahnt Schily. München. Die Hilfsorganisation „Pro Asyl“ hat Bundesinnenminister Otto Schily aufgefordert, keine „Dauerinternierung“ von Flüchtlingskindern zuzulassen. Anlass ist die Einrichtung von „kindgerechten“ Räumen am Flughafen Frankfurt, die heute von der Kinderkommission des Bundestags besichtigt werden. „Pro Asyl“ befürchtet, dass auf diesem Weg ein „Kinderknast“ entstehen soll, in dem Kinder bis zur Abschiebung untergebracht werden. Den Härten einer Internierung von Kindern sei „mit Teddybären“ nicht abzuhelfen. Es gehöre zum „zivilisatorischen Minimum“, Minderjährige vor haftähnlichen Umständen zu bewahren, sagte Sprecher Heiko Kauffmann und monierte einen Vorstoß gegen die UN-Kinderkonvention. Die Regierung Kohl hatte einen Vorbehalt gegen die Konvention erklärt, den auch die Regierung Schröder bisher, trotz einer Aufforderung durch den Bundestag, nicht aufgehoben hat.“

Diese Meldung führt hin zu einer der überzeugendsten Kampagnen, die „Pro Asyl“ betrieben hat. Die Petition „alle Kinder haben Rechte“, welche die UN-Mindeststandards für Kinderflüchtlinge einfordert und auf deren oft erbärmliches Los aufmerksam machte. Diese Kampagne hatte positiven Widerhall bei der Kinderkommission des Bundestags, und vielleicht sogar beim Bundesinnenminister.

Auch Unicef, das UN-Kinderhilfswerk, hat vor einem Jahr die Minderbehandlung minderjähriger Flüchtlinge aufgelistet, die nur deswegen nicht gegen die Kinderkonvention verstößt, weil es diesen elenden deutschen Vorbehalt gibt. Unicef zählt auf, erstens: 16-Jährige werden in Asylverfahren wie Erwachsene behandelt (und in einigen Bundesländern auch in Abschiebehaft genommen), obwohl die Konvention einen besonderen Schutz bis zum 18. Geburtstag fordert. Zweitens: Die meisten der mehr als 200.000 Kinder und Jugendlichen haben als lediglich geduldete Flüchtlinge nur beschränkten Zugang zu schulischer Bildung und medizinischer Betreuung. Drittens: Unbegleitete Flüchtlingskinder, Kinder also, die ohne Eltern oder Verwandte nach Deutschland kommen, dürfen der Konvention zufolge nicht abgeschoben werden. Wer an Weihnachten seine Grüße auf die schönen Unicef-Weihnachtskarten schreibt, sollte sich an die Mahnungen von Unicef erinnern. Man kann die Mahnung, der UN-Konvention über die Kinderrechte voll und ganz beizutreten, auch auf seinem Weihnachtsgruß vermerken. Und wenn eine dieser Unicef-Karten übrig bleibt, dann kann man sie auch in diesem Jahr wieder an den Bundesinnenminister Otto Schily schicken Bundesinnenministerium, Alt-Moabit 101 d, Berlin.

Meine sehr verehrte Damen und Herren,

„Pro Asyl“ und ihr Vorsitzender sind ein Streiter wider der Relativitätstheorie. Aber verstehen sie mich dabei nicht falsch: „Pro Asyl“ widerspricht nicht den Erkenntnissen der Physik. „Pro Asyl“ fällt denen in den Arm, die diese Relativitätsthese in der Politik anwenden. Wenn es um die Menschenrechte in der EU oder in Deutschland geht, dann heißt es nämlich hierzulande gern, man solle doch bitte die Kirche im Dorf lassen. Deutschland sei schließlich nicht Sierra Leone, und verglichen mit den Zuständen anderswo sei doch bei uns alles relativ toll, was auch gar nicht von der Hand zu weisen ist. Wenn man aber solche Relativität wirklich in Debatten über Menschenrechte einbringen wollte, dann käme man zum Ergebnis, dass es zwei Arten von Menschenrechtsverletzungen gibt: nämlich solche Menschenrechtsverletzungen, die anderswo passieren, also die echten Menschenrechtsverletzungen und solche, die hierzulande geschehen, die also eigentlich keine wirklichen Menschenrechtsverletzungen sind. So macht man aus Missständen hierzulande Peanuts. Glaubwürdige Menschenpolitik fängt aber zu Hause an und kaum einer in diesem Land weiß das so gut wie die Leute von „Pro Asyl“.

„Pro Asyl“ und die Vereinsmitglieder, sie sind, wenn man so will, Widerständler. Und das meine ich in einem sehr positiven Sinn. Widerstand? Das klingt gefährlich, das klingt nach Heroismus, da sieht der Deutsche den Kerker vor sich. Den eigenen Kopf und Kragen riskieren wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King, die Geschwister Scholl, Willi Graf, Dietrich Bonhoeffer, Kurt Huber, Christoph Probst das getan haben? Da fühlt sich der Deutsche schon lieber ohnmächtig und überlässt den Widerstand anderen, so wie er die Verantwortung für verbrecherische Befehle, ungerechte Gesetze und kirchliche Irrlehren den jeweils Oberen überlässt. Er verbindet Widerstand mit Aufruhr und Revolution. Widerstand ist für ihn eine närrische Exaltiertheit der Helden und der Heiligen. Auf diese Weise hat man in Deutschland den Widerstand einbalsamiert und weggestellt. Hierzulande lebt der Widerstand nur in den Bücherregalen: Man macht sich nachträglich ein gutes Gewissen, indem man sich den Widerstand der anderen wenigstens verbal aneignet, ihn wissenschaftlich hinauf und hinunterdekliniert, zerlegt und wieder zusammensetzt. Der vielen Literatur über den Widerstand steht wenig Praxis gegenüber. Wenn sich die Politik verändern soll, dann muss sich das ändern und „Pro Asyl“ gehört zu denen, die das ändern.

Der Widerstand, von dem hier die Rede ist, hat mit Gewalt nichts zu tun. Anstiftung zum Widerstand ist keine Anstiftung zu Aufruhr, Umsturz und Gewalt. Dieser Widerstand äußert sich nicht in lautstarken Umtrieben und Krawallen. Dieser Widerstand versteckt sich nicht in der Masse. Dieser Widerstand hat wenig mit Revolution, aber viel mit Evolution zu tun. Er verlangt Geduld, aber nicht Schafsgeduld, sondern eine geduldige Ungeduld. Der Rechtsgelehrte Arthur Kauffmann, ein Namensvetter unseres Preisträgers, hat das 1986 so formuliert: „Der Widerstand gelangt nie ans Ziel, so wenig der Seemann je den Horizont erreicht. Aber er ist die bewegende Kraft, deren das Recht und der Rechtsstaat zu ihrer fortwährenden Erneuerung und damit zur Verhinderung ihrer Entartung bedürfen.“ Dieser Widerstand ist eine Geisteshaltung, er zeigt den Weg zwischen Aufruhr und blindem Gehorsam. Wenn es solchen Widerstand gibt, dann gelingt der Politik die Mobilisierung der menschlichen Dummheit nicht, dann bleibt das Gewissen der Menschen wach.

Widerstand muss nicht gleich alle Dimensionen der bürgerlichen Existenz sprengen, er kann im alltäglichen Widerspruch liegen, im Widerstehen, im Sich-Entgegenstellen. Man wird entgegenhalten, das sei nicht Widerstand, sondern Ausübung von Rechten: des Rechts auf freie Meinungsäußerung, auf Demonstration, auf freie Rede, auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, auf Kritik und Opposition. Das sei erlaubtes, ja gebotenes, selbstverständliches Handeln im Rahmen der bestehenden Ordnung, aber nicht Widerstand. Wer so argumentiert, der gibt dem Widerstandsrecht seinen Platz ausschließlich im Unrechtsstaat und behauptet, wer es auf diesem Bezug herauslöse, trüge zur Verharmlosung und Entwertung des Widerstandsrechts bei, der schlage es zu kleiner Münze. Dies ist ein berechtigter Einwand. Man würde ihn gern gelten lassen, wenn denn die Wahrnehmung dieser Rechte, wenn Zivilcourage und Bürgermut Selbstverständlichkeiten wären und also nicht als Widerstand empfunden würden. Aber so ist es nicht. Ohne die „kleine Münze“ funktioniert die Demokratie nicht gut.

Die Worte aus dem Flugblättern der Weißen Rose haben ihre eigene Bedeutung in jeder Zeit, also auch in der gegenwärtigen: „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt habt.“ Und: „Wenn jeder wartet, bis der andere anfängt, wird keiner anfangen!“ Jeder und jede muss für sich nachdenken, was ihm und was ihr das Heute sagt und wozu es ihn und sie verpflichtet und das Ergebnis dieser Pflicht heißt Widerstand. Die Gefahr, bequemer Anpassung zu erliegen, wie sie die Geschwister Scholl angeprangert haben, gibt es heute so wie damals. Deshalb müssen weder das Wort Mut noch das Wort Widerstand reserviert bleiben für das Aufbegehren gegen eine Diktatur. Widerstand ist auch in der Demokratie, auch im Rechtsstaat notwendig. Er ist eine produktive Kraft.

Heute heißt dieser Widerstand Widerspruch, Zivilcourage, aufrechter Gang. Er besteht im Misstrauen gegen die Mächtigen, im Mut zu offener Kritik, in der Demaskierung von Übelständen, im Widerspruchauch und gerade dann, wenn man sich damit Sympathien verscherzt. Widerstand kann es sein, sich jeder Zustimmung, jeder Akklamation, jeder opportunistischen Verbeugung zu enthalten. Dieser Widerstand kann im ganz Stillen, im ganz Kleinen passieren. Er kann aber auch Sitzblockade heißen oder Bürgerinititative. Das alles ist Widerstand aber nicht Ultima ratio, sondern Prima ratio: Solcher Widerstand bedeutet auch heute: Nicht wegsehen, wenn Unrecht geschieht, Konflikten nicht ausweichen. Arthur Kauffmann, der Rechtsgelehrte, hat einmal davon gesprochen, dass dieser „kleine Widerstand beständig geleistet werden muss, „damit der große Widerstand entbehrlich bleibt“, damit es also nicht wieder ein Jahr 1933 gibt.

In diesem Sinn ist unser Preisträger, ist „Pro Asyl“ ein Anstifter zum Widerstand. Wir verleihen dafür heute hier den Preis eines Kinderbuchverlages. Lassen Sie mich deshalb mit einem Märchen enden. Es handelt davon, wie sich Schwache gemeinsam gegen eine Gefahr verteidigen. Es handelt davon, wie jeder sein Mittel, wie jeder das ihm Gemäße einsetzt, um eine Gefahr zu wenden und wie man das miteinander schafft. Es ist ein ziemlich unbekanntes Märchen der Brüder Grimm. Die Gefahr, gegen die sie sich verteidigen, wird verkörpert durch einen Herrn Korbes.

Da taten sich also Hähnchen und Hühnchen, der Mühlstein, ein Ei, eine Ente, eine Stecknadel und eine Nähnadel zusammen: „Wie sie zu dem Herrn Korbes seinem Haus kamen, war der Herr Korbes nicht da. Die Mäuschen fuhren den Wagen in die Remise, das Hähnchen flog mit dem Hühnchen auf eine Stange, die Katze setzte sich in den Kamin, die Ente in die Bornstande, die Stecknadel setzte sich in ein Stuhlkissen, die Nähnadel ins Kopfkissen im Bett, der Mühlstein legte sich über die Türe und das Ei wickelte sich in das Handtuch. Da kam der Herr Korbes nach Hause, ging an den Kamin und wollte Feuer anmachen. Da warf ihm die Katze das ganze Gesicht voll Asche. Er ging geschwind in die Küche und wollte sich abwaschen, wie er an die Bornstande kam, spritzte ihm die Ente Wasser ins Gesicht. Als er sich abtrocknen wollte, rollte ihm das Ei aus dem Handtuch entgegen, ging entzwei und klebte ihm die Augen zu. Er wollte sich ruhen und setzte sich auf den Stuhl, da stach ihn die Stecknadel. Darüber wurde er ganz verdrießlich und ging ins Bett. Und wie er den Kopf aufs Kissen niederlegte, da stach ihn die Nähnadel. Da war er so bös und toll, dass er zum Haus hinauslaufen wollte. Wie er aber an die Tür kam, sprang der Mühlstein herunter und schlug ihn tot.“

Das ist nun vielleicht ein etwas befremdliches Ende. Die Fabel soll nicht als Aufruf zur Gewalt für einen guten Zweck missverstanden werden. Es geht mir bei diesem Märchen um den Wert der gemeinsamen Aktion. Der Herr Korbes des Märchens; er ist die Verkörperung der Gefahren, die einer demokratischen Gesellschaft drohen. Und die Geschichte zeigt, dass jeder, auch der kleinste Widerstand wichtig ist, auch wenn er für sich gesehen nicht so bedeutend erscheinen mag. Jeder nach seinen Fähigkeiten. Mit dieser Einstellung gilt es, der Entdemokratisierung und Entsolidarisierung entgegenzutreten.

So, und jetzt müsste jeder von uns nur noch wissen, ob er mit seinen Möglichkeiten eher die Stecknadel, eher das Ei oder eher der Mühlstein ist. Die eigene Rolle und Aufgabe herauszufinden damit fängt der Widerstand an.


PREISTRÄGER

Kinderrechtspreis „Blauer Elefant“ für „Pro Asyl“
Verleihung am 22. November in Berlin 2001

DANK

Heiko Kauffmann
„Pro Asyl

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde!

Zunächst einmal meinen und unseren allerherzlichsten Dank an die Preisstifter des ‚Blauen Elefanten für Kinderrechte‘ – die Ravensburger Ratgeber im Urania-Verlag und den Deutschen Kinderschutzbund – Ihnen, liebe Frau Walther und Ihnen, liebe Frau Schubert – Danke auch Ihnen, lieber Herr Prantl, für die herzlichen und eindringlichen Worte, die Sie für uns und unsere Arbeit gefunden haben! Ich kann Ihnen versichern: Dieser Preis ist nicht nur eine großartige Auszeichnung und Anerkennung des Engagements der Mitarbeiter/innen von „Pro Asyl“ und den vielen Unterstützer/innen dieser Initiative. Wir verstehen ihn auch als Verpflichtung und Ansporn, diese Kampagne gemeinsam zum Erfolg zu führen. Denn wir hätten diese Kampagne und die Petition gar nicht durchführen können, wenn uns nicht von vornherein die Unterstützung so vieler befreundeter Organisationen und Initiativen und einzelner Mitstreiter/innen zuteil geworden wäre. Insofern zeichnet dieser Preis auch viele der hier anwesenden Freundinnen und Freunde aus Kinderrechts-, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen und ihre, unsere, Fähigkeit zur gemeinsamen Aktion mit aus. (Namentliche Nennung vieler anwesender Personen und Gruppen). Ich bin dankbar und froh, diesen wunderbaren Preis namens „Pro Asyl“ auch für Sie, für uns alle an diesem wunderschönen Ort, im Berliner GRIPS-Theater, entgegennehmen zu dürfen. Auch Volker Ludwig und dem Ensemble des GRIPS-Theaters ein herzliches „Dankeschön“ dafür, dass Sie unserer Arbeit seit Jahren so verbunden sind. Als wir im Sommer dieses Jahres hier, am selben Ort, das 20-jährige Jubiläum des Berliner Flüchtlingsrats begingen, schauten wir weit zurück auf das Elend einer Flüchtlingspolitik, die Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit der fortgesetzten, sich stetig steigernden Abkehr von Artikel 16 Grundgesetz – des alten, unversehrten Artikels 16 GG – begann, welcher dereinst neue Maßstäbe internationaler Humanität setzen sollte.

Das sollte auch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Die Bemühungen um sie begannen im Jahr 1979, dem „Internationalen Jahr des Kindes“. Aber es sollte noch einmal 10 Jahre dauern, bis sie von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde.

Das war die letzte große Konvention, die im vergangenen 20. Jahrhundert von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde – ein „Meilenstein in der Entwicklung der Menschenrechte“ – wie es damals hieß. Heute stehen wir am Beginn eines neuen Jahrhunderts!

Das vergangene, das 20. Jahrhundert, erhielt seinen ersten programmatischen Titel von der Reformpädagogin und Pazifistin Ellen Key, die in ihrem im Jahr 1900 erschienenen Buch – es war gleichzeitig sein Titel – „Das Jahrhundert des Kindes“ einforderte.

Heute wissen wir: Es war kein Jahrhundert des Kindes; es wurde vielmehr – wie Heinrich Böll es nannte – zu einem „Jahrhundert der Flüchtlinge“, zu einem Jahrhundert der Kriege und der Barbarei.

Niemals zuvor handelten Menschen grausamer gegenüber anderen Menschen als in diesem vergangenen 20. Jahrhundert – niemals zuvor auch starben so viele Kinder durch Pogrome, Genozid, Massaker, Verfolgung, Internierung, Deportation, Kriegsdienst, Vernichtungslager, Krieg und Flucht – über 2 Millionen jüdische Kinder starben allein in der Zeit des Faschismus in Deutschland.

Das 20. Jahrhundert offenbarte – wie kein anderes zuvor -, wie brüchig der Boden, wie dünn der Firnis der Zivilisation noch immer ist. Es waren diese Erfahrungen und Erschütterungen des „Zivilisationsbruchs“ in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, die nach dem 2. Weltkrieg zur Gründung der Vereinten Nationen, zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, zur Genfer Flüchtlingskonvention, zu den großen internationalen Pakten über Bürgerliche und Politische Rechte sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte bis hin zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen 1989 führten.

Die völkerrechtlichen Verträge und Konventionen nach dem Zivilisationsbruch des vergangenen Jahrhundert waren also auch eine Antwort auf das Grauen und die Barbarei, der Versuch, einen Rückfall unmöglich zu machen, das Ungeheuerliche bewusst zu halten und Instrumente und Bedingungen zu schaffen, die eine auf Frieden, Gerechtigkeit und Toleranz gegründete Weltgemeinschaft ermöglichten.

All diese Pakte und Konventionen sollten die Rechte, die Sicherheit und die Freiheit des einzelnen Menschen stärken, es waren Abwehrrechte zugunsten des einzelnen Individuums vor der Allmacht und Willkür von staatlicher Macht und autoritären Regimen oder der Macht gewalttätiger Despoten.

Auch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen sichert jedem Kind das Recht auf Gleichheit, auf Gesundheit, auf Bildung, auf Spiel und Freizeit, auf Versorgung und Betreuung, auf Fürsorge und besonderen Schutz zu.

Jedes Kind hat auch ein Recht darauf, ernst genommen zu werden, ein Recht auf Glaubwürdigkeit und Respekt – z.B. bei seiner Altersangabe – und ein Recht auf Schutz vor entwürdigenden Praktiken des Staates und seiner Behörden bezüglich der Einschätzung seines Alters.

Wie muss jungen Flüchtlingen in Deutschland zumute sein, was müssen von Abschiebung bedrohte Flüchtlingskinder empfinden, wie aber wird auch deutschen Kindern und Jugendlichen Toleranz, Wert und Würde und die Achtung vor der Gleichheit aller Menschen und Kulturen vermittelt, wenn sie von klein auf mit bürokratischen Benachteiligungen und Integrationsverweigerungsmechanismen konfrontiert sind und durch staatlich geschürtes Misstrauen, durch gesetzlich verankerte Vorurteile erleben und erfahren müssen, dass in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen wird: dass für Kinder, für Mitschüler/innen aus anderen Ländern oder anderer Herkunft nicht gilt oder nicht gelten soll, was wir, was die europäischen Werte, was die Kinderrechtskonvention, was unsere Verfassung unter „Menschenwürde“ und „Kindeswohl“ verstehen und schützen!!

Was ist der Wert der Menschenrechte, was ist der Wert der Kinderrechte, wenn die Diskrepanz zwischen den verbürgten und verheißenen Rechten und der Realität ihrer Inanspruchnahme für eine bestimmte Gruppe von Menschen, von Kindern, immer größer wird?

Die Kinderrechtskonvention ist eine Konkretisierung der höchsten Leitwerte unserer Verfassung: Menschenwürde-Gebot! und Diskriminierungs-Verbot! Wer sagt, die Kinderrechte seien für alle Kinder in Deutschland verwirklicht, der muss dafür Sorge tragen, dass die diskriminierenden ausländer- und asylrechtlichen Abwehrregelungen nicht länger das „Wohl des Kindes“, das „Beste im Interesse des Kindes“ blockieren können. Und das meint

  • Kind gleich Kind
  • Mensch gleich Mensch
  • Würde gleich Würde
  • Freiheit gleich Freiheit
  • Sicherheit gleich Sicherheit
  • Gleichheit gleich Gleichwertigkeit.

Daraus legitimiert sich unsere politische Ordnung und das muss gelebt werden – sonst wird die politische Ordnung brüchig, ist ihre Legitimation in Frage gestellt.

Deshalb mahnen wir heute die Bundesregierung und die sie tragende Koalition und erinnern an die Beschlüsse

  • ihrer letzten Parteitage
  • an die Koalitionsvereinbarung
  • an die Beschlüsse des Bundestages vom 30. September 1999
  • und 5. Dezember 2000

sowie an den Beschluss des Petitionsausschusses vom 26. September 2001 zugunsten der Petition von „Pro Asyl“ zur Rücknahme der Vorbehaltserklärung und zur vollen Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention.

Eine Antwort des Innenministers an den Petitionsausschuss liegt noch nicht vor. Aber eine politische Antwort hat er bereits gegeben. Im Gegensatz zu den Schutzrechten der Kinderrechtskonvention verstößt sein neues Zuwanderungsgesetz mit der weiteren Herabsetzung des Nachzugsalters bereits im Entwurfsstadium gegen geltendes Völkerrecht und europäische Standards. Deutsche Politiker betonen jetzt – im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg – ständig die internationalen Verpflichtungen, denen Deutschland aufgrund seiner gewachsenen Verantwortung nachkommen müsse.

Wir sagen Herrn Schröder und Herrn Schily: „Ja, fangt endlich an: mit dem Schutz von Flüchtlingskindern – auch in Afghanistan – und der Umsetzung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen!“

Meine lieben Freundinnen und Freunde,

im Umgang mit der schwächsten und schutzbedürftigsten Gruppe von Flüchtlingen, den unbegleiteten Flüchtlingskindern, zeigt die „zivilisierte Welt“, wie „zivilisiert“ sie wirklich ist.

Der Umgang mit dem Völkerrecht, mit den Schutzrechten für Minderheiten, die Lebenssicherheit für Flüchtlinge und Minderheiten in einem Land sind auch Ausdruck und Gradmesser für die Verwirklichung der Menschenrechte in dieser Gesellschaft. Deshalb werden wir es auch nicht zulassen, dass unter dem Vorwand, die Sicherheit zu verstärken, Freiheitsrechte abgebaut und die Rechtssicherheit von Flüchtlingen weiter eingeschränkt werden und der Kampf um die „Innere Sicherheit“ zur Repression gegen Minderheiten umfunktioniert werden kann.

Nicht die Einschränkung, sondern die Einhaltung und Stärkung der Bürger/innen- und Menschenrechte, die uneingeschränkte Geltung der Kinderrechte sind die Voraussetzungen für die Sicherheit und Freiheit der Menschen und die Zukunft der Demokratie in diesem Land!

Die Verabschiedung der KRK der Vereinten Nationen am 20. November 1989 – vorgestern vor 12 Jahren – wurde als ‚Meilenstein‘ in der Entwicklung des Völkerrechts, ihre Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag am 9. April 1992 als „Sternstunde“ für die Menschenrechte gefeiert.

Kämpfen wir gemeinsam weiter darum, dass aus der Sternstunde der Verabschiedung der Kinderrechtskonvention in Deutschland keine Sternschnuppe bei ihrer Umsetzung wird!

Nutzen wir die guten Eigenschaften des Elefanten, die der „Blaue Elefant für Kinderrechte“ symbolhaft vereinigt: Weisheit, Stärke, Ausdauer, Geduld und entschlossenen Kampfesmut, wenn man ihn zu lange reizt!

In diesem Sinne: Kämpft weiter für die Kinder- und Menschenrechte!


FOTO-SERIE

Foros Herbert Leuninger

Das Ensemble des GRIPS-Theaters stellt in einem Sketch die inhumane Asylpraxis gegenüber Kinderflüchtlingen dar Walter Wilken, Geschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes moderiert die Preisverleihung Sabine Walther, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderschutzbundes, begrüßt die Gäste der Preisverleihung im GRIPS-Theater Berlin Sabine Schubert, Geschäftsführerin der Verlagsgruppe Dornier erläutert den Preis und die Preisverleihung an PRO ASYL Heribert Prantl, Ressortleiter Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung hat die Laudatio für PRO ASYL übernommen Heribert Prantl beschreibt die Widerständigkeit von PRO ASYL. Bürgerlicher Widerstand ist nach ihm auch in demokratischen Gesellschaften notwendig. Bürgerlicher Widerstand ist nach ihm auch in demokratischen Das Publikum applaudiert zu der Rede von Prantl und seiner Übertragung eines Märchens der Brüder Grimm auf heute Heiko Kauffmann nimmt den Preis entgegen, der eine von dem Berliner Künstler Maximilian Verhas geschaffene abstrakte Rollplastik einschließt. Sie erinnert an die Ohren eines Elefanten Der Preis hat Gewicht! Die Gattin von Heiko Kauffmann Marie-Luise Kauffmann kann es spüren. Traudel Vorbroth von Pax Christi gratuliert namens "ihrer" Flüchtlingskinder Siegfried Pöppel, Leiter einer Kinderwohngruppe, überbringt die Glückwünsche des Berliner Flüchtlingsrates Heiko Kauffmann bedankt sich für die Verleihung des Preises an PRO ASYL Heiko Kauffmann ruft dazu auf, die guten Eigenschaften des Elefanten zu nutzen: nämlich Weisheit, Stärke, Ausdauer, Geduld und entschlossenen Kampfesmut, wenn man ihn zu lange reizt. Mitglieder der Kinderkommission des Deutschen Bundestages erläutern in einer Podiumsdiskussion den Standpunkt ihrer jeweiligen Partei und sprechen mit anwesenden Flüchtlingskindern Sigrid Averesch vom Ressort Innenpolitik der Berliner Zeitung leitet die Diskussion. Hier befragt sie das afghanische Mädchen Morssal Omari nach ihrem Flüchtlingsschicksal in der Bundesrepublik Mersiha Padan aus Bosnien hat die Erfahrung gemacht, daß die Solidarität ihrer Schule sie vor der Abschiebung bewahrt hat. Links von ihr Safia Sedic, die ebenfalls aus Bosnien stammt. Pedro Garcia ist aus Angola geflüchtet und erzählt über sein Schicksal als sogenanntes unbegleitetes Flüchtlingskind Ekin Deligöz (MdB) (r.) von Bündnis 90 / Die Grünen beschreibt die Schwierigkeit für die Vorstellungen der Kommission im Bundestag Mehrheiten zu erhalten. links von ihr Rosel Neuhäuser (MdB) von der PDS und Ralf Stöckel (MdB) von der SPD Rosel Neuhäuser (MdB) von der PDS erläutert die geringen Chancen für die volle Anerkennung der Kinderrechtskonvention Gruppenfoto mit an der Preisverleihung beteiligten Personen Zum Abschluß der Preisverleihung singt das Ensemble das Lied "Wir sind Kinder dieser Erde" Volker Ludwig (2.v.l.) ist der Hausherr des GRIPS-Theaters und der Gastgeber der Preisverleihung

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