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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1966 ::: ARCHIV KIRCHE 1966 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 18. – 23. Juli 1966

RADIO KURZPREDIGTEN

Kein privates Tun


Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten Schnupfen bekommt, so ziehen die Börsenmakler in Frankfurt und London ihre Taschentücher heraus, um die wegen der fallenden Kurse schweißbedeckte Stirn zu wischen. In welch weltpolitischer Verantwortung handelt somit dieser dann, sobald er Sorge dafür trägt, sich keiner falschen Zugluft auszusetzen. Die kleinsten Ereignisse wachsen bei ihm ins Unendliche. Daher verfolgt die Öffentlichkeit jeden seiner Schritte.

Der sogenannte Mann von der Straße würde es für überheblich halten, mäße er seinem Tun und Lassen auch nur annähernd eine gleiche Bedeutung zu. Selbst da, wo er wenige Male in seinem Leben durch seine Wahlstimme große Entscheidungen mit fällt, weiß er, im Grunde kommt es auf mich nicht an, sondern auf die große Masse, die wie er denkt und erst in der Größenordnung von Tausenden Gewicht erhält. Nur, wenn ein von der ganzen Welt mit Spannung erwartetes Raumflugunternehmen fast scheitert, weil ein unachtsamer Techniker ein Schräubchen vergessen hat, oder wenn versehentlich ein Atomkrieg auszubrechen droht, weil ein Ingenieur am Radarschirm in Alaska ein harmloses Himmelsobjekt als feindliche Rakete ausmacht, dann ahnen wir die Bedeutung, die das Tun irgendeines Menschen für uns alle haben kann.

Das sind etwas spektakuläre Beispiele für das, was ich über die gegenseitige Verflechtung unseres Tuns sagen möchte. In weit bescheidenerem Rahmen ist es etwa ein gutes Wort oder auch ein böses, das seinen Weg in die Gemeinschaft nimmt, vielleicht nicht zur Ruhe kommt, aufbauend oder zerstörend weiterwirkt und nicht mehr zurückgeholt werden kann.

Es bedarf der visionären Schau eines Dichters, um unsere Verantwortung für diese scheinbar kleinen Dinge aufzurufen. „Jeder Mensch“, heißt es bei Leon Bloy, „der eine freie Willensentscheidung fällt, wirkt ins Unendliche. Wenn er unwillig einem Armen eine Münze gibt, so durchbohrt die Münze des Armen Hand, fällt zu Boden, durchschlägt die Erde, durchlöchert die Sonnen, durchmißt das Firmament und bedroht das Universum. Wenn er eine unreine Handlung begeht, so betrübt er vielleicht Tausende von Herzen, die er nicht kennt, die geheimnisvoll mit ihm in Verbindung stehen und denen es nottut, daß dieser Mensch rein sei.“

Hier eröffnet sich eine Dimension im Sinne des Bibelwortes: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied ausgezeichnet ist, so haben alle an seinem Wohlsein teil“. Damit sinkt die gern vertretene Auffassung: Was ich tue, geht keinen etwas an, in Nichts zusammen. Es gibt kein rein privates Leben. Was ich heute tue, ja was ich denke, betrifft die andern.


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