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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV PRO ASYL PRESSEERKLÄRUNG 1998 :::
Presseerklärung vom 4. Januar 1998

Kurdische Flüchtlinge in Italien:
Kanthers Abschottungskonzept scharf kritisiert
PRO Asyl fordert Kinkel zur Unterstützung der italienischen Initiative auf.


Feature über die „Flüchtlingswelle“
DIE WELT vom 13. Januar 1997
Frankfurter Rundschau vom 8. Januar 1997 (S. 5)
die tageszeitung vom 6. Januar 1996 – Interview mit H. Leuninger (S. 2)
Frankfurter Rundschau vom 6. Januar 1997 (S. 1)
die tageszeitung vom 3. Januar 1998
Frankfurter Rundschau vom 1. Januar 1997 (S. 2)

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL hat den Aufruf Innenminister Kanthers zum “ verschärften Kampf gegen den illegalen Zuzug von Ausländern scharf kritisiert. „Die Kampagne des Innenministers bekämpft nicht die Ursachen und die Verursacher von Flucht, sondern die Opfer“, erklärte PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann am Sonntag in Frankfurt. 1998 müsse ein Sicherheitsjahr für Verfolgte und Menschenrechte und nicht für die staatliche Abschottungspolitik werden.

PRO ASYL fordert Außenminister Kinkel auf, die italienische Initiative der Einberufung einer internationalen Konferenz zur Behandlung der kurdische Frage zu unterstützen.


DIE WELT vom 13. Januar 1997

Kritik an Kanthers Kurden-Politik

Kohl und Prodi wollen Beschlüsse der Polizeikonferenz von Rom schnell umsetzen

Von KARL-LUDWIG GÜNSCHE

Bonn – Bundeskanzler Helmut Kohl und sein italienischer Amtskollege Romano Prodi wollen den Zustrom vor allem kurdischer Flüchtlinge zur Chefsache machen. Laut Regierungssprecher Peter Hausmann vereinbarten die Regierungschefs gestern in einem Telefonat, zur Lösung der Flüchtlingsproblematik „engsten Kontakt“ zu halten. Die bei der Konferenz der Polizeidirektoren mehrerer EU-Staaten und der Türkei in der vergangenen Woche getroffenen Absprachen sollten möglichst rasch umgesetzt werden, um die Weiterreise der nach Italien gelangten Flüchtlinge in andere Staaten zu unterbinden.

Scharfe Kritik an der Kurden-Politik von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) kam gestern von der evangelische Kirche im Rheinland und Flüchtlingsorganisationen*. Sie rügten, Kanther kriminalisiere die Kurden mit seiner Politik und betätige sich im Vorfeld des Wahlkampfes als „verbaler Brandstifter“. Sein Fraktionskollege Armin Laschet warf Kanther vor, er schüre die Angst vor einer kurdischen Flüchtlingswelle. Zur Hysterie bestehe aber kein Anlaß: In den vergangenen Tagen seien nur vier Kurden nach Deutschland gekommen, die aber ohne Probleme nach Italien zurückgeschickt werden könnten.

SPD-Europaparlamentarier Martin Schulz, der am Wochenende als erster ausländischer Politiker Kurden-Lager in Kalabrien besichtigt hatte, nahm unterdessen die italienische Regierung gegen Vorwürfe in Schutz, sie handhabe die Kontrolle der Flüchtlinge zu lasch. Die drei von ihm besuchten Lager seien streng bewacht gewesen, sagte Schulz. Die italienischen Behörden nähmen auch eine strenge Einzelfallprüfung jedes Asylbewerbers vor. Unrichtig sei die Behauptung, während des Asylverfahrens könnten die Flüchtling ungehindert in andere EU-Staaten weiterreisen. Vielmehr stünden sie während des Asylverfahrens unter Überwachung. Wenn ihr Antrag genehmigt werde, könnten sie für maximal 90 Tage in ein anderes EU-Land ausreisen. Nur wenn der Asylantrag abgelehnt werde, könnten sie sich vor ihrer Abschiebung 14 Tage lang in Italien frei bewegen und dann auch in andere EU-Länder reisen. Diese Gesetzeslücke solle bis Ende Januar geschlossen werden. Bereits jetzt würden abgelehnte Asylbewerber allerdings bis zur Abschiebung weiterhin in Lagern festgehalten. Schulz kündigte an, seine Fraktion wolle im Europaparlament beantragen, die im Amsterdamer Vertrag vorgesehene Harmonisierung des EU-Asylrechts vorzuziehen. Ebenso müsse die Sicherung der Außengrenzen schon jetzt zur EU-Gemeinschaftsaufgabe werden.

* u.a. PRO ASYL


Frankfurter Rundschau 08.01.1997 Seite 5

Stoiber mahnt Kohl zu Grenzsicherung.

Bayerns Ministerpräsident sieht Kanzler in der Pflicht, gegen Kurdenzuzug vorzugehen.

MÜNCHEN, 7. Januar (ap/dpa/afp). Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat Bundeskanzler Helmut Kohl aufgefordert, sich persönlich für wirksame Maßnahmen gegen eine mögliche Zuwanderung kurdischer Flüchtlinge aus Italien einzusetzen. Die Bundesregierung und der Kanzler persönlich stünden in der Verpflichtung, daß Italien bis zum endgültigen Abbau der Grenzkontrollen im Frühjahr seine EU-Außengrenzen wirksam schütze, schrieb Stoiber am Mittwoch im CSU-Organ Bayernkurier.

Kohl hatte im Sommer den Wegfall der Grenzkontrollen zwischen Deutschland, Österreich und Italien zum 1. April 1998 im Rahmen des Schengener Abkommens ausgehandelt. Stoiber hatte für einen späteren Zeitpunkt plädiert. „Ich hoffe, daß man heute angesichts der jüngsten Ereignisse an der offenen Flanke der italienischen Küsten auch unsere fundierten sicherheitspolitischen Bedenken gegen den frühzeitigen Wegfall der Grenzkontrollen … besser versteht“, schrieb Stoiber jetzt. Es sei unverantwortlich, wenn Rom Italien eher als Durchgangsland für illegale Einwanderung nach Deutschland sehe.

Auch der Bonner CSU-Landesgruppenchef Michael Glos rügte, es sei unerträglich, daß Italien die Flüchtlinge „nicht festhalte“. Im ARD-Morgenmagazin sagte Glos weiter, Deutschland dürfe nicht mit hohen Unterstützungen Asylbewerbern besondere Anreize bieten.

Die Bundestagsfraktion der Bündnisgrünen kündigte an, eine Aktuelle Stunde zur deutschen „Abschottungspolitik“ der Bundesregierung gegen die Flüchtlinge zu beantragen. Die Abgeordneten Amke Dietert-Scheuer und Rezzo Schlauch warfen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) vor, die Flüchtlinge als „illegale Einwanderer“ abzuqualifizieren. „Ob gewollt oder ungewollt: Mit seiner Konzeption einer ,Festung Europa‘ steht er begrifflich in der historischen Tradition von Hermann Göring.“ Heiko Kauffmann von Pro Asyl sagte in der Debatte über die Kurdenflucht, einige Politiker nähmen es beim Kampf um die Wählergunst in Kauf, rassistische Ängste zu schüren und rechtsradikale Kräfte zu stärken.


die tageszeitung vom 6. Januar 1996 Seite 2

INTERVIEW

„EU-Standard auf niedrigstem Niveau“

Was folgt auf den deutsch-italienischen Asyl-Streit?
Herbert Leuninger von Pro Asyl ist skeptisch

Herbert Leuninger ist Europareferent von Pro Asyl.

taz

Italien betrachtet die kurdischen Flüchtlinge als politisch Verfolgte, Deutschland als illegale Einwanderer, vor denen man die Grenzen verrammeln muß. Wie kommt es zu so unterschiedlichen Kriterien innerhalb der Europäischen Union?

Herbert Leuninger

Das hängt damit zusammen, daß Deutschland sich als das Land betrachtet, das die meisten Flüchtlinge in Europa aufgenommen hat und sich deswegen berechtigt fühlt, eine Abschottungspolitik zu betreiben.

taz

Seit Jahren arbeiten die europäischen Staaten an der Harmonisierung des Asylrechts. Gibt es bisher denn keinerlei gemeinsame Standards?

Herbert Leuninger

Es gibt als gemeinsame Grundlage natürlich die Genfer Flüchtlingskonvention, doch mittlerweile herrscht darüber ein solcher Interpretationsspielraum, daß wir froh sein müssen, daß sich die deutschen Vorstellungen in Europa nicht durchsetzen. Es gibt aber inzwischen etliche Gemeinsamkeiten, vor allem die Dubliner Konvention, die im September letzten Jahres in Kraft getreten ist. Nach Artikel 9 der Dubliner Konvention könnte Italien die anderen Staaten ersuchen, aus humanitären und familiären Gründen kurdische Flüchtlinge zu übernehmen. Aber an diese Konvention erinnert man sich nicht gern in Deutschland.

Übrigens: wenn die kurdischen Flüchtlinge in Italien als asylberechtigt anerkannt werden, könnten sie sich innerhalb der EU frei bewegen, allerdings dürften sie nicht in einem anderen Land ihren Wohnsitz wählen oder arbeiten.

taz

Für die Einführung des Euro hat sich die EU einen Stichtag gesetzt. Gibt es einen solchen Stichtag auch für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik?

Herbert Leuninger

Ja, es gibt den Amsterdamer Vertrag, der in zwei Jahren ratifiziert sein soll. Der Vertrag sieht eine Übergangsperiode von fünf Jahren vor, in denen eine gemeinsame Asylpolitik formuliert sein soll – das umfaßt die Zuständigkeit für Asylanträge und die Kriterien der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen und illegal Einreisenden. Bei den dazu vorliegenden Entwürfen zeichnet sich allerdings die Tendenz ab, daß der unterste politische und humanitäre Standard der gemeinsame sein wird.

taz

Als die Bundesrepublik mehrere hunderttausend Flüchtlinge aus Exjugoslawien aufgenommen hat, haben Länder wie Italien auch nicht gerade mit Hilfsbereitschaft geglänzt.

Herbert Leuninger

Das Beispiel Jugoslawien hat gezeigt, daß es um gemeinsame Übernahmeverpflichtungen gehen muß. Das hat gerade die Bundesrepublik immer gefordert, und dahinter kann sie jetzt nicht mehr zurück.

An diesem Punkt hat sich interessanterweise Deutschland nicht durchsetzen können mit seinen Vorschlägen, die Verteilung von Flüchtlingen von der Wirtschaftskraft, Bevölkerungsgröße und dem schon bestehendem Ausländeranteil eines Landes abhängig zu machen. Staaten wie Großbritannien und Frankreich sind strikt dagegen, weil sie dann wesentlich mehr Flüchtlinge aufnehmen müßten.

Interview: Vera Gaserow


Frankfurter Rundschau vom 6. Januar 1997 Seite 1

Kanther verlangt schärfere Kontrollen von Häfen und Fähren

Bundesinnenminister rügt Italien, Griechenland und die Türkei / Flucht von Kurden als „Bedrohung“ bezeichnet

Von Ferdos Forudastan

Im Streit über das Verhalten gegenüber kurdischen Flüchtlingen schlägt die Bundesregierung immer schärfere Töne an. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) warf den „südeuropäischen Partnern“ vor, sie hätten „erheblichen praktischen Nachbesserungsbedarf“ bei der Anwendung des Schengener Systems.

BONN, 5. Januar. Kanther forderte am Montag vor allem von Italien und Griechenland „wesentlich stärkere Maßnahmen gegen illegale Zuwanderung“. Die Konferenz der Polizeiexperten am Donnerstag in Rom müsse praktische Ergebnisse hervorbringen, sagte er. Deutschland behalte sich vor, andernfalls eine Sonderkonferenz der Schengen-Staaten gegen die illegale Zuwanderung zu fordern. Das Schengener System regelt die Abschottung einer Reihe europäischer Länder nach außen und den Wegfall der Grenzkontrollen im Inneren.

Die Tatsache, daß die Zahl kurdischer Flüchtlinge nach Europa gewachsen ist, bezeichnete der Bundesinnenminister als „bedrohliche Situation“, in der sich Westeuropa als „Sicherheitsgemeinschaft“ verstehen müsse. Unter anderem verlangte er, daß die Türkei, Italien und Griechenland Häfen und Fähren weit stärker auf illegale Zuwanderung kontrollierten als bisher. Außerdem solle es verstärkt Straßenkontrollen in Italien geben. In der Türkei und Griechenland müßten Ausreisekontrollen in Richtung Balkanroute eingeführt werden. Gegen See- und Lufttransportunternehmen, die illegale Flüchtlinge beförderten, solle die Schengen-Gemeinschaft, einheitlich vorgehen. Außerdem forderte Kanther, alle Länder bräuchten das gleiche Fingerabdrucksystem für Flüchtlinge.

Der Frage, ob etwa Italien seine Vertragspflichten aus dem Schengener Abkommen verletze, indem es in den vergangenen Tagen rund 1000 Kurden aus der Türkei, Irak und Iran habe einreisen lassen, wich der Sprecher des Bundesinnenministers, Detlef Dauke, aus. Ebenfalls nicht konkretisieren wollte er die Drohung Kanthers, Italien müsse mit Konsequenzen rechnen, wenn es kurdische Flüchtlinge nicht an der Grenze Italiens abfange und an der Weiterreise nach Deutschland mit allen Mitteln hindere.

Die Forderung des niedersächsischen Innenministers Gerhard Glogowski (SPD), das Schengener Abkommen vorübergehend auszusetzen, bis Italien die Vereinbarungen richtig umsetze, wies Kanthers Sprecher jedoch zurück. Er sagte, es gehe vielmehr darum, „innerhalb des Systems Maßnahmen zum Stopp der Wanderungsbewegung zu ergreifen“.

Zu dem Vorhaben der italienischen Regierung, Kurden aus der Türkei und Irak generell politisches Asyl zu gewähren, sagte Dauke, das sei ihm nicht bekannt. Er bestätigte, daß ein in Italien asylberechtigter Flüchtling nach dem Schengener Abkommen in die Bundesrepublik einreisen und bis zu 90 Tagen hier bleiben dürfe.

Die deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), bezeichnete Kanthers Äußerungen als „blanken Zynismus“, wie Agenturen ergänzend berichteten. Sie erklärte in Berlin, die türkische Armee führe ihren Kampf gegen die Kurden vor allem mit Waffen aus Deutschland und den USA. Das einzig sinnvolle Vorgehen gegen die Flüchtlingsproblematik sei die Beseitigung der Ursachen, also die Beendigung des Krieges. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft „Pro Asyl“ kritisierte, Kanthers „Kampagne“ bekämpfe nicht die Ursachen und die Verursacher von Flucht, sondern die Opfer.


die tageszeitung vom 3. Januar 1998

Türkei schneidet Kurden
Fluchtweg nach Italien ab

Ankara kritisiert europäische Asylpolitik: Wer Kurden aufnehme, ermuntere sie erst zur Flucht. Rom und Bonn fordern schärfere Grenzkontrollen

Istanbul (taz) – Nach dem Exodus von überwiegend kurdischen Flüchtlingen nach Italien gibt es erneut Streit über die türkische Kurdenpolitik und das Schengener Abkommen. Rom, Ankara und Bonn beschuldigten sich gestern gegenseitig und stritten über Maßnahmen, um den „Flüchtlingsstrom“ zu stoppen. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) warf Italien vor, seine Außengrenzen nicht genügend zu sichern. Sein römischer Kollege Giorgio Napolitano forderte die Türkei auf, sie müsse ihre Häfen besser kontrollieren. Ankara dagegen meinte, wer kurdischen Flüchtlingen Asyl gewähre, heize das Problem nur weiter an. Am Donnerstag hatte ein zweites Schiff mit diesmal 386 Menschen – darunter 230 Kurden – die italienische Küste von Otranto erreicht. Die anderen Flüchtlinge kommen aus Bangladesch, Pakistan und Algerien. Sie gaben an, in der Nähe von Istanbul auf das Schiff gegangen zu sein.

Während Menschenrechtsorganisationen davor warnten, die Kurden in die Türkei zurückzuschicken, soll in der nächsten Woche eine aus italienischen und türkischen Experten gebildete Arbeitsgruppe an einem Abkommen arbeiten, das die Rückführung von „Wirtschaftsflüchtlingen“ gestattet. Auch Angehörige anderer Staaten, die über die Türkei in die EU- Länder kommen, sollen wieder in die Türkei zurückgeschickt werden können.

Die türkische Regierung macht für den Exodus der Kurden die PKK verantwortlich, die durch illegalen Menschenhandel große finanzielle Gewinne erziele. Eine Hinterfragung der eigenen Kurdenpolitik stehe nicht zur Diskussion.

Auf Wunsch Italiens hat die Türkei die Kontrollen an ihren Küsten verschärft – die Ausreise von Flüchtlingsschiffen soll schon im Vorfeld gestoppt werden. Damit gibt Ankara dem scharfen Protest seitens der EU nach, um die ohnehin belasteten Beziehungen nicht weiter zu strapazieren, wie aus Außenministeriumskreisen verlautete. Die Yilmaz-Regierung befürchtet, mit Italien einen wichtigen Verbündeten zu verlieren. Rom hat der Türkei seine Unterstützung auf dem Weg zur Vollmitgliedschaft in der EU zugesagt.

Die Flüchtlinge sorgten auch innerhalb der EU für heftige Turbulenzen. Bundesinnenminister Kanther forderte Italien auf, die Maßnahmen zur Sicherung seiner Grenzen zu verschärfen. Rom müsse dafür sorgen, daß das Schengener Abkommen eingehalten werde, sagte Kanther gestern im Deutschlandfunk: „Illegale, die nicht in Italien oder Griechenland ins Netz gehen, drängen ins übrige Europa.“ Die italienische Regierung gab bekannt, daß seit September etwa 2.000 Kurden die Adriaküste erreichten. Insgesamt habe Italien 1997 rund 38.500 „illegale Einwanderer“ zurückgeschickt.

Der Europa-Experte von Pro Asyl, Herbert Leuninger, sagte, in der Türkei und auch im Irak seien die kurdischen Flüchtlinge „an Leib und Seele bedroht“. Sie verdienten daher den direkten Schutz Italiens. Pro Asyl forderte die EU auf, sich auf einen Mechanismus der Verteilung der Flüchtlinge zu einigen.

Die türkische Öffentlichkeit registriert den Exodus der Kurden nur beiläufig. Kommentatoren der großen Tageszeitungen und des Privatfernsehens machen die „Menschenhändler“ und die PKK direkt dafür verantwortlich. Die offiziellen Verlautbarungen aus Ankara, daß die Flüchtlinge durch die „großzügige und blauäugige Asylpolitik der Europäer ermutigt worden“ seien, findet breite Zustimmung.

Die Geschichte des kurdischen Paares Bahiye und Cemal aus dem nordirakischen Zaho belegt die verzweifelte Situation der kurdischen Familien. Wie sie türkischen Journalisten erzählten, haben sie ihre Heimat vor einem Monat verlassen. Sofort nach Überschreitung der türkischen Grenze wurden sie inhaftiert und verbrachten sechs Tage im Gefängnis, weil das irakische Zaho als eine der Hochburgen der PKK bekannt ist. Nach ihrer Freilassung machte sich die Familie auf den Weg nach Istanbul, wo sie sich 24 Tage in einem kleinen Zimmer versteckte. Eines Nachts kamen Schleuser und brachten die Familie auf das Schiff, das sie nach Italien bringen sollte. „Unsere einzige Hoffnung war, zu unserem Cousin Hüsnü in Deutschland zu gelangen.“ Hüsnü zahlte den Mittelsmännern in Deutschland 3.500 Dollar pro Person, um seine Verwandten aus dem Nordirak zu retten.


Frankfurter Rundschau vom 1. Januar 1997 Seite 2

Rom will Asylgesuche prüfen

Italien und Türkei suchen Lösung für kurdische Flüchtlinge

ANKARA/ROM/FRANKFURT A. M., 1. Januar (dpa/ap/reh). Die Türkei und Italien wollen eine Arbeitsgruppe einsetzen, um eine Lösung für die kurdischen Flüchtlinge zu finden, die auf dem Seeweg nach Italien gelangen. Das meldete die halbamtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch. Vertreter beider Staaten hätten sich in Ankara getroffen. Am Donnerstag kam erneut ein Schiff an der süditalienischen Küste in der Nähe des Kap Otranto an. An Bord waren 386 Menschen, die meisten von ihnen kurdische Flüchtlinge, darunter mindestens 175 Frauen und Kinder. 225 Menschen wurden bis zum Abend an Land gebracht.

Österreich verschärfte zum Jahreswechsel die Kontrollen an den Grenzen zu Italien. Die Regierung befürchtet, daß die kurdischen Flüchtlinge versuchen, unter anderem nach Österreich zu gelangen. Italien werde die Asylgesuche der Kurden großzügig behandeln, teilte Außenminister Giorgio Napolitano am Dienstag in Rom mit. Es sei entschieden worden, gegenüber den Kurden eine offene Haltung einzunehmen. Jedes Gesuch werde einzeln geprüft. Eine generelle Verfolgung der Kurden in der Türkei gebe es indes nicht, zitierte die Nachrichtenagentur Ansa den italienischen Innenminister.

Das italienische Innenministerium hatte die Türkei zuvor aufgefordert, entschieden gegen Schlepperbanden vorzugehen, nachdem am Wochenende etwa 800 meist kurdische Flüchtlinge illegal in Süditalien gelandet waren. Rom hatte eine europäische Initiative vorgeschlagen, da das Problem ganz Westeuropa bedrohe.

Italien müsse zunächst prüfen, „ob bei den Kurden Asylgründe vorliegen“, forderte Heiko Kauffmann, Sprecher von PRO ASYL, im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. Während der Zeit der Prüfung müsse es Aufenthaltsgarantien für die Betroffenen geben. Eine Arbeitsgruppe, wie Italien und die Türkei sie einrichten wollen, hält Kauffmann nicht für ein geeignetes Instrument. Die Türkei werde dort aus Eigeninteresse höchstwahrscheinlich „leugnen, daß Kurden überhaupt Asylgründe haben“. Dennoch sei es eine Tatsache, daß die türkische Politik zum größten Teil die Flucht der Kurden verursache. Die Politiker, die nun „Krokodilstränen“ über die „armen Flüchtlinge“ vergössen und die Schlepperbanden für deren Lage verantwortlich machten, wollten bewußt von ihrem eigenen Anteil an der Situation ablenken, sagt Kauffmann. „Die illegitime Politik der Flüchtlingsabwehr begünstigt die Schlepper geradezu.“


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