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23.06.1998
Reuters

In letzter Minute Kompromiß im Ausländerrecht


Bonn (Reuters) – Die Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP haben am Dienstag einen Kompromiß beim Sozialrecht für Ausländer gefunden und damit eine Abstimmungsniederlage der Koalition in letzter Minute verhindert. Die Sozialämter können demnach künftig die Hilfen für geschätzte 20.000 bis 30.000 Ausländer, die nur wegen der Unterstützung einreisen oder ihre Abschiebung etwa durch Vernichtung ihres Passes verhindern, auf ein Minimum beschränken. FDP und SPD begrüßten, daß damit die vom Bundesrat und von der Union geforderten Kürzungen für einen Teil der aus humanitären Gründen geduldeten Ausländer ausblieben.

Dem Kompromiß stimmten am Dienstag der Innen- und der Gesundheitsausschuß des Bundestages jeweils mit den Stimmen von Koalition und SPD gegen Bündnisgrüne und PDS zu. Am Donnerstag und damit am letzten Tag vor seiner Sommerpause soll der Bundestag beschließen. Der Bundesrat wird sich voraussichtlich am 10. Juli mit dem Gesetz befassen, das dann am 1. August in Kraft treten könnte. Ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums sagte, sein Land akzeptiere den Kompromiß.

Mitglieder der FDP-Fraktion hatten in der vorigen Woche gedroht, sie würden zusammen mit der Opposition das Gesetz ablehnen, wenn zwei umstrittene Punkte enthalten seien. Zum einen ging es um die vom Bundesrat mit seiner SPD-Mehrheit vorgeschlagene Formulierung, es könnten Leistungen für Ausländer gekürzt werden, für deren Ausreise es keine „rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse gebe.“ Zum anderen wollte die Koalition alle illegal eingereisten Ausländer einbeziehen. Beides war bei Kirchen und humanitären Organisationen auf heftige Kritik gestoßen. Der für die Sozialhilfe zuständige Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) räumte ein, es habe zwischen Ausländerrecht und Sozialhilferecht Abstimmungsprobleme gegeben.

Seit der vergangenen Woche hatten Koalition und SPD nach einem Kompromiß gesucht. Unter anderem traf sich SPD- Fraktionschef Rudolf Scharping deshalb mit dem FDP- Fraktionsvorsitzenden Hermann Otto Solms. Die Entscheidung fiel dann am Dienstag im Gespräch der Koalitionsexperten und in einer Runde der Partei- und Fraktionschefs bei Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU).

Seehofer sagte, das angesichts der kurzen Zeit bis zum Ende der Wahllperiode noch Machbare werde gemacht. Es gehe nicht um Einsparungen, sondern darum, offensichtlichen Mißbrauch zu verhindern. Deshalb sei der Kompromiß eine gute Abwägung zwischen der humanitären Verpflichtung des Staates und der Verhinderung des Mißbrauchs von Sozialleistungen. Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Michael Glos forderten aber, Sozialhilfekürzungen für andere Ausländergruppen müßten in der nächsten Wahlperiode diskutiert werden. Glos schloß dabei auch Bürgerkriegsflüchtlinge ein.

Die FDP-Sozialpolitikerin Gisela Babel sagte, die FDP habe ihre Position durchgesetzt und damit auf Zweifel des UNO-Flüchtlingskommissariats und der Kirchen reagiert. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) sagte, von den Einschränkungen seien weder Bosnien-Flüchtlinge noch Asylbewerber betroffen. Außerdem sei die Behauptung falsch, die Kürzungen würden dazu führen, daß Ausländer ausgehungert oder nicht mehr medizinisch versorgt würden.

Die SPD-Abgeordneten Brigitte Lange und Cornelie Sonntag-Wolgast sagten, eine lange Debatte habe ein akzeptables Ende gefunden. Die SPD widersprach zugleich dem Eindruck, es habe Uneinigkeit zwischen der Bundestagsfraktion und den SPD-regierten Ländern gegeben. Lange sagte aber, in der jetzt gestrichenen Passage hätten die Länder etwas formuliert, „was so nicht beabsichtigt war“. Auch Seehofer und Babel kritisierten den Bundesratsenwturf, den sie vergangene Woche noch in großen Teilen unterstützt hatten, als handwerklich fehlerhaft.

Die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl kritisierte, auch die abgeschwächte Version der Gesetzesänderung gehe zu weit. Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann erklärte, dies könne nur als Einstieg in einen Wahlkampf auf dem Rücken der Flüchtlinge interpretiert werden. Der FDP-Abgeordnete Burkhard Hirsch kündigte in der „Leipziger Volkszeitung“ an, er werde im Bundestag den Kompromiß ablehnen. Die grüne Sozialpolitikerin Andrea Fischer sagte, zwar seien dank einer beispiellosen Protestbewegung die umstrittensten Passagen entfallen. Weiter sei aber nicht ausgeschlossen, daß Flüchtlinge jetzt zur Rückkehr gezwungen würden, obwohl ihnen Gefahr für Leib und Leben drohe.


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