Hofheim am Taunus
20. März 2003
Friedensdemonstration
gegen den Golfkrieg
Fotos: Willi Prösser und Herbert Leuninger
FILMDOKUMENT
BERICHT
FRANKFURTER RUNDSCHAU
vom 21. März 2003
„Selig sind die Friedfertigen“
Mehrere hundert Menschen demonstrieren
im Main-Taunus-Kreis gegen den US-Angriff auf Irak
Von unseren Redaktionsmitgliedern
MAIN-TAUNUS-KREIS. – Über 300 Menschen kamen gestern Abend nach Schätzung der Hattersheimer Initiative gegen den Krieg zum Alten Posthof. Ein eindrucksvoller Zug war es für Mitinitiator Carlo Graf. Teile des Magistrats, darunter Bürgermeister Hans Franssen (SPD) und Erste Stadträtin Karin Schnick (Grüne), zogen durch die Straßen, Menschen schauten interessiert aus Fenstern. Die Initiative hatte ein Laken geopfert für die Parole „Nein zum Krieg“, auf einer Tafel war zu lesen „Bush nach Den Haag“. Junge Leute aus der Initiative hatten kräftig Reklame gemacht, so dass der Zug sehr jugendlich wirkte. Erwachsene vermissten allerdings Gesichter aus CDU und FDP. Graf nannte es in seiner Rede unfassbar, dass der Krieg trotz millionenfachen Neins begonnen habe. Franssen zitierte die Bibel: „Selig die Friedfertigen.“
„Den Gott, den Bush kennt, kenne ich nicht“, rief bei der Hofheimer Demonstration der katholische Pfarrer Herbert Leuninger.
Der „religiöse Wahn“ des US-Präsidenten stehe dem islamischen Fundamentalismus in nichts nach, doch die öffentliche Weltmeinung lehne den Irakkrieg ab und sei eine starke Gegenkraft zu den USA, sagte er vor rund 100 Demonstranten, die vom Bahnhof durch die Innenstadt zogen. Den Protestmarsch hatte die Friedensinitiative Main-Taunus organisiert; PDS, DKP und Jungdemokraten/Junge Linke hatten sich dem Aufruf angeschlossen. Die übrigen Parteien ließen den Luftangriff auf Bagdad unkommentiert. Aus dem Wahlkreisbüro der Hofheimer Bundestagsabgeordneten Anna Lührmann (Grüne) erreichte Protest gegen den Krieg die Redaktionen. In Hofheim liefen Grundschulkinder mit, die auf Plakaten durchgestrichene Panzer gemalt hatten, und Jugendliche, die Che-Guevara-Fahnen trugen. Auch an Schulen war der Krieg Thema. „Die Schülerinnen und Schüler mit ihren Ängsten und Sorgen allein zu lassen, wäre nicht richtig“, sagte der Leiter der Sulzbacher Eichwaldschule, Wolfgang Kümml. Den Lehrern sei freigestellt, im Unterricht über den Krieg zu diskutieren. „Das haben wir auch im vergangenen Golfkrieg und nach dem 11. September so gehalten.“
Mit verschärften Sicherheitsvorkehrungen hat das US-Unternehmen Procter & Gamble in Schwalbach auf den Ausbruch des Krieges reagiert. Das Firmengebäude werde zusätzlich gesichert, sagte Unternehmenssprecherin Petra Popall. Außerdem seien Dienstreisen der weltweit tätigen 102.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stark eingeschränkt worden.
Die Unabhängige Liste (UL) Schwalbach ruft dazu auf, sich an der von der Organisation „resistthewar“ geplanten Sitzblockade an der US-Air-Base am Frankfurter Flughafen zu beteiligen. „Damit können wir Sand im Getriebe sein“, schreibt Günter Pabst. Außerdem lädt die UL für Freitag, 21. März, 17:00 Uhr, zur Mahnwache auf den Marktplatz ein. Dort sollen weitere Aktionen besprochen werden.
TEXT
20. März 2003 – Erster Kriegstag
Friedensdemonstration in Hofheim a. Taunus
Wenn ich heute hier auf der Friedensdemonstration spreche, erinnere ich mich an 1991. Damals haben wir mit den Hofheimer Friedensgruppen wochenlang vor dem alten Rathaus in einem Schweigekreis gegen den Golfkrieg demonstriert. Seinerzeit habe ich auch zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben gedichtet, eine Art Gebrauchslyrik. Einer dieser knappen Texte hatte die Überschrift:
Unbekannte
Sie kennen einen Jesus
Ich kenne einen Jesus.
Die beiden kennen sich nicht.
Doppelgänger
Das, was ich damals empfunden habe, ist nach wie vor aktuell, wenn ich daran denke, dass der Präsident der Vereinigten Staaten Bush im Fernsehen geäußert hat: „I have an order from God, and I’ll do it!“, „Ich habe eine Anweisung von Gott und ich werde sie befolgen!“ Gemeint damit ist der Krieg, wobei Bush seine religiösen Vorstellungen mit den politischen und wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten Staaten zu verbinden weiß. Es ist eine unvorstellbare Kombination von Bibel und Kapital. Der Gott von Bush ist nicht mein Gott!
Gegen den möglichen Vorwurf antiamerikanisch zu sein, möchte ich darauf verweisen, dass ich 1945 den Einmarsch der Amerikaner in dem Westerwaldort Mengerskirchen als Befreiung erlebt habe. Ich bin als Dolmetscher mit der amerikanischen Militärpolizei durch den Ort gefahren, um den Pfarrer und den neuen Bürgermeister aufzusuchen.
Der Imperialismus Amerikas dürfte allerdings seinen Höhepunkt überschritten haben. Dieser Tage ist ein Nachruf auf die Weltmacht USA von dem französischen Historiker Emmanuel Todd erschienen. Er hält die jetzige militärische Stärke der USA für die Überdeckung von Schwäche. Die Zeit der einseitigen Herrschaft Amerikas sei vorbei. Ein Indiz dafür ist das Handelsdefizit in einer Größenordnung von 450 Milliarden Dollar. Amerika habe nicht mehr die Kraft, wie bisher die gesamte Weltgemeinschaft etwa über den Sicherheitsrat zu kontrollieren.
Todd hat 1976 den Zusammenbruch der Sowjetunion vorausgesagt.
Derzeit gibt es offensichtlich zwei Weltmächte. Die eine Weltmacht sind immer noch die USA. Die zweite Weltmacht – so war es kürzlich in einem Kommentar der New York Times zu lesen – ist die öffentliche Weltmeinung, die überwiegend gegen den völkerrechtswidrigen Angriff der Vereinigten Staaten auf den Irak eingestellt ist. Ich selbst habe direkt verspürt, was es heißt, zu dieser zweiten Weltmacht zu gehören. Ich war in Berlin der Demonstrant Nummer 499.999 und habe empfunden, dass hier eine neue Bewegung im Gange ist, international, ja sogar weltweit.
Daher gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir uns trotz dieses Krieges und bei aller Trauer um die Opfer der amerikanisch/britischen Intervention auf eine neue Welt hin entwickeln.
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