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HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV RADIO KURZPREDIGTEN 1968 ::: ARCHIV KIRCHE 1968 :::
Zuspruch am Morgen

Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 7. – 12. Oktober 1968

RADIO KURZPREDIGTEN

Höchstwert Arbeit?


Unseren Begriff von der Arbeit haben die Menschen nicht immer gekannt. Gemessen am Alter der Menschheit taucht er erst sehr spät auf. Als unsere Vorfahren noch das Wisent jagten und Wurzelknollen sammelten, war das für sie keine Arbeit. Erst als sie sich auf den Acker begaben, der Dornen und Disteln trug, befaßten sie sich mit einer gleichbleibenden Tätigkeit, die als „Arbeit“ bezeichnet werden muß. Von dieser Tätigkeit wurde schließlich das ganze Leben geprägt. Wer nicht als Bauer tätig war, hatte es nicht leicht, anerkannt zu werden. Er mußte wenigstens dafür sorgen, daß andere ihm bei der Arbeit zuschauen konnten.

Sehr bald gab es auch eine Arbeitsmoral. Sie lief darauf hinaus, daß arbeiten zu den höchsten Werten des Lebens zählte. Wir finden den Niederschlag dieser Auffassung auch in der Bibel, in der u.a. der Faulenzer ermahnt wird: „Geh hin zur Ameise, du Fauler: sieh ihre Weise an und lerne!“ (Spr 6,6) Verächtlich sagt sie an einer anderen Stelle: „Der Faule dreht sich auf seinem Lager wie die Türe in der Angel“ (Spr 26,14). Ihm gilt schließlich ihre Drohung: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ ( 2 Thess 3,10) Was wunders, wenn schon den Kindern im Kindergarten die fleißige Biene als Ideal vorgestellt wird, und Schule wie Kirche zur Arbeit anhalten. Überall in unserer Kultur wird eingehämmert, daß erst die Arbeit dem Menschen Würde verleiht. Zu welchen Konsequenzen das führen kann, hat uns in krasser Weise der Nationalsozialismus vor Augen geführt, wenn er bestimmte Menschen als lebensunwert eingestuft hat. In abgemilderter Form kennen wir es noch in der Form, wie Menschen, die nicht im Arbeitsprozeß stehen, abgewertet werden, wie z.B. ältere Menschen, die einfach zum alten Eisen gerechnet werden.

Das „Recht auf Arbeit“ und die „Pflicht zu arbeiten“ wird so betont, daß wir vermutlich in Schwierigkeiten kommen, wenn einmal hinreichend Güter produziert werden, ohne daß für alle Arbeit da ist.

Auf die Bibel sollte man sich nicht zu sehr berufen. Sie setzt zwar voraus, daß der Mensch, solange er Mensch ist, immer im Schweiße seines Angesichts arbeiten muß, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Daß die Verhältnisse sich einmal grundlegend ändern könnten, lag außerhalb ihres Vorstellungsbereiches. Dennoch ist für die Bibel der Mensch nicht zur mühseligen Arbeit bestimmt, sondern zur Freude und Seligkeit.

Das Volk, das in ägyptischer Zwangsarbeit schmachtete, ersehnte ein Land, das von Milch und Honig fließen sollte; ein Land also, welches dem Menschen ausreichend Nahrung bot, ohne daß harte Arbeit vorausgehen musste (vgl. Ex 3,8). Im Neuen Testament werden uns als Vorbilder die Vögel des Himmels genannt, die nicht säen und ernten (vgl. Mt 6,6), und die Lilien des Feldes, die nicht spinnen müssen, um schön gekleidet zu sein (vgl. Mt 6,28-30).

Es ist daher nur gut, daß es bei uns noch Länder gibt, die die Arbeit um der Arbeit willen nie selig gepriesen haben. Dort finden wir noch Leute wie den Schuster, dem ein eifriger Mitteleuropäer vorschlägt, doch mehr zu arbeiten, um mehr zu verdienen. „Nein“, gibt der Schuster zur Antwort, „das wäre sehr töricht von mir. Denn sieh‘, ich könnte doch sterben – ich hoffe zwar nicht, daß ich sterben werde -, aber ich könnte doch sterben und dann – dann hätte ich ganz umsonst gearbeitet!“


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