Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors
HERBERT LEUNINGER ::: ARCHIV KIRCHE 2013 :::

26. Mai 2013
Reflexion
im Rahmen eines Kirchenkonzerts
in der katholischen Kirche von Elbtal­ Dorchheim

Himmlische statt irdischer Musik?


Di​e Kirchenmusik hat eine Patronin, oder besser eine Matronin, also eine mütterliche Schutzheilige: die heilige Cäcilia. Cäcilia ist seit dem Mittelalter als Schutzheilige in besonderer Weise zuständig für die Organisten, aber auch für die Orgel­ und Instrumentenbauer, für Sänger und Spielleute, für Musiker insgesamt und sogar für Dichter. Es gibt viele Bilder von ihr. Dabei ist sie zumeist mit einem Portativ abgebildet, also einer tragbaren Kleinorgel, einer Miniaturausgabe der Königin der Instrumente.

Als ich mir die verschiedenen Darstellungen im Internet anschaute, stieß ich auf ein Bild des italienischen Malers Raffael. Ihm verdanken wir vor allem die Sixtinische Madonna, d​as berühmteste Marienbild, heute in der Gemäldegalerie Alter Meister von Dresden.

Das Bild, auf das ich stieß, ist geradezu schockierend. Es heißt „Die Verzückung der hl. Cäcilia“ und ist von 1519. Der Schock kommt nicht von der Darstellung der himmlischen Vision her, sondern von der Tragorgel. Sie gleitet der Heiligen aus den Händen. Die Orgelpfeifen haben sich aus dem Pfeifenstock gelöst und drohen auf die Erde zu fallen. Dort liegen bereits achtlos Musikinstrumente herum, die in ihrer Einzelteile zerfallen und nicht mehr brauchbar sind. Es geht um den Vorrang der himmlischen Musik, wie sie von den Engeln ausgeübt wird gegenüber der rein irdischen Musik. Sie ist nur mehr Lärm, vielleicht sogar verführerischer.

Cäcilia blickt fasziniert nach oben. Sie lauscht dem Singen und Musizieren der Engel. Offensichtlich verachtet sie alle Musik, wie sie auf Erden ertönt. Die Engel, es sind Engelchen, sogenannte Putten, Knäblein mit Flügeln, wie wir sie auch vom unteren Rand des Bildes der Sixtinischen Madonna her kennen.


Si​e passen nicht ganz zur ernsten Aussage des Bildes. Geht es doch um die Aus­einandersetzung über die wahre Kirchenmusik. Sie gibt es nach Papst Gregor dem Großen, der im 6. Jahrhundert gelebt hat, nur als Choral. Musik in der Kirche, Musik im Gottesdienst, das kann nur der einstimmige Choral sein, der gregorianische Choral. Auch hierzu eine bildliche Darstellung: Der hl. Geist in der Gestalt einer Taube summt dem Papst Himmelsgesang ins Ohr. So die Legende. Einstimmig und ohne Instrumente, ja ohne besonderen Rhythmus, das ist der Gesang des Himmels; zugegeben ein wunderbarer, meditativer Gesang, der in Klöstern und Kirchen bis auf den heutigen Tag gepflegt wird. Wenn mir danach der Sinn steht, schalte ich den holländischen „Concertzender Gregoriaans“ ein, der durchgehend diesen klassischen Gesang sendet, allerdings auch mehrstimmig.

Gregor I. Antiphonar von Sankt Gallen

1000 Jahre später findet das Reformkonzil von Trient statt. In seiner 3. Sitzungs­periode 1562 geht es um die Zukunft mehrstimmiger Messen. Der von Papst Marcellus II. geförderte Komponist Palästrina wurde beauftragt, zur Klärung eine eigene Messe zu komponieren. Es soll die „Missa Papae Marcelli“ gewesen sein. Ihre melodische, rhythmische und harmonische Ausgewogenheit überzeugte die Konzilsväter. Einstimmig erlaubten sie mehrstimmige Messen, wenn sie an Palästrina orientiert waren. Ich habe vor Jahrzehnten in München die Aufführung der bedeutenden Oper von Hans Pfitzner „Palästrina“ erlebt und konnte den damaligen Konflikt um die wahre liturgische Musik nachvollziehen.

Hu​nderte Messen dürften nach dem Konzil geschaffen worden sein, allerdings eher dem jeweiligen Zeitstil als Palästrina verpflichtet. Kürzlich habe ich im Klassiksender des Norddeutschen Rundfunks die P​etite Messe solennelle, d​ie kleine Festmesse des italienischen Opernkomponisten Rossini gehört. Er hat sie 1863 ­30 Jahre nach seiner letzten Oper ­geschaffen. Die solistischen Partien klangen mehr nach Opernarien als nach weihevoller Kirchenmusik. Rossini selbst hat sie auf ironische Weise dem „lieben Gott“ gewidmet: „Hier ist sie, die arme kleine Messe. Ist es wirklich heilige Musik (​musique sacrée) o​der doch vermaledeite Musik (sacrée musique)​? I​ch bin für die Opera buffa geboren. Du weißt es wohl! … Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies.“ Damit wurde deutlich, dass die Auseinandersetzung um himmlische und irdische Musik noch nicht beendet war.

Seit dem Tridentiner Konzil vergingen 400 Jahre. Da sprengte eine außer­gewöhnliche Messe den Kanon kirchenmusikalischer Strenge. Das war 1958. Damals erschien als kleine Langspielplatte die afrikanische „Missa Luba“, natürlich noch in Latein, aber als ein mit Trommeln begleiteter rhythmischer Gesang in der Tradition des Volkes der Luba aus dem Kongo. Für uns damals die Offenbarung eines kulturellen, weltkirchlichen Aufbruchs. Dieser Aufbruch wurde dann im II. Vatikanischen Konzil der sechziger Jahre aufgenommen. Es setzte sich ein multikulturelles Kultur-­ und Kirchenverständnis durch.

A​ber galt das auch für die Jazz-­ und Pop­-Kultur? 1971 fand das Hofheimer Messfestival statt. Es war als Messe im Freien geplant ­ Woodstock ließ grüßen, ­musste aber wegen der Witterung in eine moderne Kirche verlegt werden. Vier Musikbands von Jugendlichen aus dem Bezirk Main­/Taunus waren beteiligt. 700 junge Leute nahmen teil. Zu allem Unglück war auch das Fernsehen dabei. Ich selbst war als Jugendpfarrer letztlich für das Ganze verantwortlich. All die Freiheiten, die wir uns während der mit 250 Jugendlichen vorbereiteten, fast siebenstündigen Veranstaltung erlaubten, lösten ein mittleres kirchliches Erdbeben aus. Die Druckwellen reichten bis Rom. Mich hätte es fast aus der Kurve getragen. Heute würde man sich die Finger danach lecken.

Jazz­-Messen sind längst nichts Ungewöhnliches mehr. Auch Gottesdienste mit Gospelliedern gehören zu dem Versuch, die Liturgie zeitgemäß zu gestalten. Ein solcher Gottesdienst fand z.B. während der Fastenzeit in der Rundkapelle des Bildungshauses der Pallottinerinnen in Limburg statt. Eine Gruppe, die sich zu einer Tagung „Meditatives Singen“ angemeldet hatte, versammelte sich in dem kleinen Kirchenraum. Alle wirkten durch die Tagung eingestimmt. Der Gesang mit Bewegungen und der intensive Austausch des Friedensgrußes ließen eine dichte Gemeindeerfahrung entstehen. Ähnliche Erfahrungen machte ich immer wieder bei den mehr als hundert Messen, die ich mit den unterschiedlichsten Gruppen mittlerweile in Limburg gefeiert habe. Besonders wichtig erwies sich dabei, dass zeitgemäße Lieder gesungen wurden.

K​irchenmusik kann den Pop-Himmel erklimmen. Zum 80. wurde mir eine CD „Die Priester“ geschenkt. Drei Kleriker in schwarzen Soutanen singen überliefertes frommes Liedgut in der Begleitung wummernder elektronischer Musik. Sie singen das ,“Tanturn ergo“ oder auch das Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“ wie Popsongs, die einem modernen Film entnommen sein konnten. Diese CD ist ein Hit.

Für mich war der 13. März ein besonderer Tag. Mir hatte ein guter Bekannter eine DVD geschickt. Es war die Aufnahme des von ihm getexteten und komponierten „Franzikus-­Musicals“. Ich sah sie mir an dem 13.3. an. Es war eine mich sehr bewegende Aufführung der Schulgemeinde, einer Waldorfschule, die den Namen des großen Heiligen von Assisi trägt. Der 13. März, Sie erinnern sich? Es war der Tag, an dem abends der Kardinal von Buenos Aires als neu gewählter Papst den Namen Franziskus annahm. Das hat mich schon sehr bewegt.

Länger zurück liegt ein Konzert mit dem Komponisten und Sänger Siegfried Fiez in der Pfarrkirche von Mengerskirchen. Von ihm stammt die Vertonung des Liedes von Dietrich Bonhoeffer „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Mit einem kleinen Chor aus der Großgemeinde und dem Kinderchor der Grundschule bot er ein Konzert, in das das zahlreiche Publikum mit Singen und Klatschen einbezogen war. Es entstand auch hier lebendige Gemeinde, wie man sie nicht immer erfährt.

In​ meinem Bücherregal steht neuerdings ein Gesangbuch, noch nicht das neue Gotteslob, das erst zum Advent kommt, nein, das „Junge Gotteslob“, 2. Auflage 2011. Es enthält, sage und schreibe, 720 ­- ich wiederhole -­ 720 neue geistliche Lieder. Diese Lieder stammen aus den letzten fünf Jahrzehnten. Dazu zählen u.a. Gospels und Spirituals. Aufgenommen wurden auch vielsprachige Gesänge aus der Ökumene, leise Töne zur Meditation und Kontemplation, bis hin zu geistlichen Pop­- und Rocksongs. Eine ungeahnte Fülle von Inspirationen! Was für ein kultureller und spiritueller, was für ein ökumenischer Reichtum! Christlicher Glaube ist viel lebendiger, als wir oft vermeinen.

Als ich in einem Radio­-Interview nach den mir wichtigsten Komponisten gefragt wurde, nannte ich Bach und Mozart. Ich erklärte es damit, dass Bach die Musik von der Erde in den Himmel gehoben und Mozart die Musik vom Himmel auf die Erde geholt habe.

Meine Überzeugung: Glaube braucht die Musik, ja sogar die himmlische. Aber alle Musik, die unter uns stattfindet, ist nun einmal irdische Musik. Wo sie über uns hinwegweist, ist sie wohl gleichzeitig immer auch himmlisch.


RESSOURCEN
Himmlische statt irdischer Musik


Nach oben