TAG DES FLÜCHTLINGS 1997
Geschlechtsspezifische
Menschenrechtsverletzungen:
Fehlanzeige
Bernd Mesovic
INHALT
- Grußwort der Vertreterin der Hohen Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen (UNHCR) in der Bundesrepublik Deutschland
- Ich bin ein Mißbraucher
- Juristisch wegdefiniert
- Europa nutzt die baltische Sehnsucht nach neuen Grenzen – eine Reportage aus Litauen
- Informelle Zusammenarbeit – Tor zu für Flüchtlinge
-
ABSCHIEBEHAFT
- Weggesperrt zum Abtransport
- »Gib dem Herrn die Hand, er ist ein Flüchtling«
- Sachsens evangelischer Bischof besuchte Abschiebungshäftlinge in Leipzig
- In Lumpen gehüllt
- FRAUEN
- »Verfolgte Frauen schützen!«
- Geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen
- Europaparlament: Asylpolitik muß der Lage von Frauen Rechnung tragen
- KIRCHENASYL
- Zur Notwendigkeit des »Kirchenasyls«
-
BEISPIELE UND ANREGUNGEN ZUM TAG DES FLÜCHTLINGS 1997
- Anregungen zum Tag des Flüchtlings 1997
- Dem Gedächtnis der Namenlosen
- Eine Verkettung unglücklicher Umstände? oder »Der Trend geht zur Urne«
- Der Tod eines unbedeutenden Mitläufers
- »Abgeschobene erwartet ein gefährliches Folterpotential«
- Die Härtefallkommission
- Illegalisierte Flüchtlinge
Geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen – für die meisten deutschen Auslandsvertretungen, das Auswärtige Amt und deren überwiegend männliche Beamtenstäbe scheint dies immer noch ein Fremdwort zu sein. Wo Menschenrechtsorganisationen oder die Tagespresse längst darüber berichten, was Frauen in verschiedenen Staaten widerfährt, da sieht das Auswärtige Amt noch lange nichts, was in einem »Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage« erwähnt werden müßte. Oder man findet Formulierungen, die bagatellisieren und manchmal gar so klingen, als gäbe es ein heimliches Einverständnis mit menschenrechtsverletzenden Regimen.
Beispiele:
Ein Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Afghanistan vom 2. November 1995 bagatellisiert Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen im Machtbereich der Talibanmilizen (der sich inzwischen noch wesentlich erweitert hat) durch die Formulierung: »Vor allem in den von den Taliban kontrollierten Gebieten sind die Rechte der Frauen stark beeinträchtigt.« Diese »Beeinträchtigung« wird wenige Zeilen später nochmals relativiert. Im Herrschaftsbereich der Taliban, so heißt es da, sei deren besonderes Bemühen spürbar, dem Individuum, das sich nichts hat zu Schulden kommen lassen, Schutz und Sicherheit zu gewähren. Bereits Ende 1995 konnte man im damaligen Herrschaftsbereich der Taliban feststellen und auch schon in Artikeln lesen, daß Frauen unter der Taliban-Herrschaft in jeder Weise aufgrund ihres Geschlechtes unterdrückt und vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden. Frauen werden unter Androhung von Gewalt aus ihren Berufen verdrängt und vom Schulunterricht ausgeschlossen. Frauen wird teilweise die ärztliche Behandlung verweigert. Frauen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen als Frauen zu sein, erfahren also keineswegs jenen Schutz und die Sicherheit, die die Taliban angeblich dem Individuum gewähren sollen. Gemeint hat das Auswärtige Amt offensichtlich das männliche Individuum. Die Menschenrechtsverletzungen der Taliban haben sich durch die Vergrößerung ihres Machtbereichs inzwischen weiter verbreitet und sind mit der Einnahme Kabuls im Herbst 1996 durch die Medien ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Zum Zeitpunkt der Abfassung des Berichtes des Auswärtigen Amtes waren sie jedoch in den damals von ihnen kontrollierten Gebieten bereits an der Tagesordnung.
Hinsichtlich der Türkei behauptet ein Bericht des Auswärtigen Amtes vom 13. August 1996: »Geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzungen von erheblicher Intensität sind nicht bekannt.« Erwähnenswert findet das Auswärtige Amt bei diesem Stichwort im übrigen nur, daß das Erziehungsministerium der Türkei sich Anfang 1995 zur Klarstellung veranlaßt gesehen habe, daß es nicht zur Disziplinargewalt der Erziehungsbehörden und Schuldirektoren gehöre, Schülerinnen einem »Jungfräulichkeitstest« zu unterziehen.
Demgegenüber wird in fast allen Berichten von Menschenrechtsorganisationen über eine Vielzahl von Fällen berichtet, in denen sich erniedrigende Behandlung und Folter insbesondere gegen die Würde von Frauen richtet. In einer umfangreichen Studie hat die Organisation »Ärzte für Menschenrechte / Physicians for Human Rights« einige dieser Fälle geschildert. Unter der Überschrift »Die Folterfachleute sind in Izmir zur technischen Perfektion gelangt« hat die Frankfurter Rundschau vom 23. Januar 1997 einen Teil der untersuchten Fälle abgedruckt. Es wird deutlich, daß sexuelle Mißhandlungen, Folter an den Geschlechtsteilen, Vergewaltigungen usw. systematischen Charakter haben, daß Polizei und Ärzte an Folter mitwirken. Die Tatsache, daß sexuelle Folter in der Türkei sich unter anderem auch gegen Männer richtet, kann die diffusen Formulierungen des Auswärtigen Amtes nicht entschuldigen. Nicht erwähnt im Lagebericht wird auch die weithin bekannte Tatsache, daß Ehefrauen von gesuchten »Separatisten« und »Terroristen« zum Teil ärztlichen Zwangsuntersuchungen unterzogen werden, die dem Zweck dienen zu überprüfen, ob die Frauen heimlich Geschlechtsverkehr mit ihren für die türkischen Sicherheitsbehörden nicht greifbaren Männern gehabt haben.
Im Bericht zur Lage in Zaire vom 12. November 1996 findet sich überhaupt keine Auseinandersetzung mit der Frage geschlechtsspezifischer Menschenrechtsverletzungen. Dies ist unverständlich vor dem Hintergrund der Tatsache, daß der zairischen Armee und insbesondere den regimetreuen Sicherheitskräften immer wieder Erpressungen und Vergewaltigungen von Frauen vorgeworfen werden. So schreibt der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Situation der Menschenrechte in Zaire, Roberto Garreton, in einem Bericht vom 29. Januar 1996: »Alle Quellen betonten, daß die Vergewaltigung von Frauen in Gefängnissen an der Tagesordnung sei und daß die Hauptopfer pro-demokratische Aktivistinnen und Angehörige von Aktivisten sind. Dem Spezialberichterstatter wurde berichtet, daß »bewaffnete Aggression, Vergewaltigungen von Frauen, Plünderei und Erpressung ein Lebensstil für die Uniformträger sind.« Garreton weist weiter darauf hin, daß die sexuellen Attacken durch Soldaten und Polizisten, die er bereits in einem früheren Bericht erwähnt habe, auch im Jahre 1995 unvermindert weitergegangen seien. Von alledem findet sich im Bericht des Auswärtigen Amtes nichts. Frauen kommen im Bericht nur in einem einzigen Zusammenhang vor: »Die Armut zwingt viele Frauen und Mädchen dazu, den Lebensunterhalt für sich und ihre Angehörigen durch Prostitution zu bestreiten.« Was zunächst verständnisvoll klingt, entlarvt sich als selektive männliche Wahrnehmung. Prostitution fällt ins Auge, sexuelle Attacken und Vergewaltigungen von seiten staatlicher Funktionsträger offensichtlich nicht.
Ganz besonders »konsequent« ist der Bericht des Auswärtigen Amtes zur Lage in Angola vom Dezember 1995. Dort ist die geschlechtsspezifische Menschenrechtsverletzung zwar unter Ziffer 6 als Gliederungspunkt aufgeführt. Unter der Überschrift tauchen jedoch nur drei Querstriche auf. Da fiel den deutschen Männern in Luanda und Bonn wohl gar nichts ein. Das übliche diplomatische Minimum wäre die Formulierung »… sind nicht bekannt«. Hier aber wird nicht einmal klar, ob das Auswärtige Amt sich um Informationen zu geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen bemüht hat. Die Beschäftigung mit geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen scheint von deutschen Botschaften als lästige Pflichtübung angesehen zu werden, die arbeitssparend zu erledigen ist.