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TAG DES FLÜCHTLINGS 1998

Gehorsam gegenüber Gott
und ein bißchen Ungehorsam auf Erden

George Hartwig

Herausgegeben zum Tag des Flüchtlings am 2. Oktober 1998

Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Stiftung für UNO- Flüchtlingshilfe e. V., dem Deutschen Caritasverband e. V., dem Hessischen Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit und dem Interkulturellen Beauftragten der Ev. Kirche in Hessen und Nassau.

Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger (27. September bis 3. Oktober 1998) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.

INHALT

17. Juli 1997: Erstmals in der Geschichte des Landes Niedersachsen dringen Beamte der Polizei und des Landeskriminalamts mit Gewalt in Kirchenräume ein. Sergej Zubatschev hatte die Haustür geöffnet, flüchtet dann aber, als er die Polizisten sieht, ins Schlafzimmer. Die Beamten brechen die Tür dieses Raumes gewaltsam auf, fesseln Herrn Zubatschev und Kirchenasyl bringen ihn mit seiner Frau und der fünfjährigen Tochter zum Polizeiwagen. Doch Landesregierung und Polizei haben die Rechnung ohne die Nonnen des Klosters Dinklage gemacht, dessen Kirchenasyl hier gebrochen wird.

Foto: F. Kogenge

Um kurz vor 6.00 Uhr morgens von Hilfeschreien der Familie geweckt, verständigen Anwohnerinnen und Anwohner die Ordensfrauen. In wenigen Minuten eilen die Nonnen aus dem Konvent zum Tatort.

Ohne Zögern setzen sich die Benediktinerinnen vor und hinter den weißen Polizeibus mit Oldenburger Kennzeichen und verhindern die Abfahrt. Gegen diese gefährlichen Gegnerinnen wurden drei weitere Polizeiwagen als Verstärkung zu Hilfe gerufen. Gespräche und Verhandlungen blieben zunächst ohne Ergebnis. Trotz des Hinweises, daß sich die Polizei auf Kirchengelände befinde, lenkten die Beamten nicht ein, sondern beriefen sich auf die Order aus Hannover, die Schwestern notfalls wegzutragen. Die mutigen Ordensfrauen allerdings beteten solange, bis die Polizei den Flieger nach Kiew auf dem Flughafen Hannover nicht mehr erreichen konnte. Da die Paßpapiere für die Familie nur noch für diesen einen Tag gültig waren, war die Abschiebung zunächst abgewendet. In längeren Verhandlungen zwischen den Nonnen, der Familie und dem Einsatzleiter wurde vereinbart, daß Vater Zubatschev nur zu »einer Anhörung« mitgenommen werden sollte und seine Angehörigen solange noch bleiben könnten. Tatsächlich wurde Herr Zubatschev jedoch sofort dem Haftrichter vorgeführt und in der Haftanstalt Vechta in Abschiebungshaft genommen, um ihn – so die Ausländerbehörde – bei Eintreffen neuer Paßpapiere auch ohne seine Familie abzuschieben.

14 Nonnen sowie rund 100 weitere Aktivistinnen und Aktivisten der katholischen Friedensorganisation pax christi und des Versöhnungsbundes wollten sich mit diesem Ergebnis nicht abfinden und versammelten sich in der Nacht zum Sonntag zu einer Mahnwache vor der Justizvollzugsanstalt. Nach den starken Auftritten seiner Untergebenen folgte nun ein Rückzug des niedersächsischen Innenministers auf Raten. Die Nonnen begründeten in einer Petition an den niedersächsischen Landtag, daß im Fall der Familie Zubatschev keine Fluchtgefahr bestehe und man Zeit brauche, um eine Lösung zu finden. Denn ukrainische Gemeinden in Kanada hätten signalisiert, die Familie dauerhaft aufnehmen zu wollen. Dies sei niedersächsischen Behörden auch zuvor schon übermittelt worden. Diese seien jedoch nicht bereit gewesen, eine Entscheidung der kanadischen Botschaft über ein Visum abzuwarten.

Nach 13 Tagen zeigt der organisierte Druck von Kirche und Öffentlichkeit Wirkung, und der 33jährige Flüchtling aus der Ukraine darf zurück in die Obhut in der Benediktinerinnenabtei Burg Dinklage. Ein Sprecher des Innenministeriums formuliert späte Einsicht: »Uns freut es auch, wenn es nun eine bessere Lösung als die Abschiebung in das Heimatland gibt.«

Anschließend jedoch verteidigt das Innenministerium den Angriff aufs Kirchenasyl und erklärt der überraschten Öffentlichkeit, was als Regeln eines Kirchenasyls zu gelten hat – als handele es sich um ein Geländespiel. Kirchenasyl könne es nur in sakralen Räumlichkeiten geben. Die Polizei werde weiterhin in Kirchenräume, die Andachtszwecken dienten, nicht eindringen, man könne aber nicht akzeptieren, wenn Kirchengemeinden von sich aus Räume zu Kirchenasyl erklärten.

Der Niedersächsische Flüchtlingsrat kritisiert ironisch die »geradezu esoterische Religionsauffassung« des Innenministers. Nach moderner Auffassung sei Kirche dort, wo die Gemeinde versammelt ist. Es sei für die Beamten offensichtlich sehr schwierig gewesen, ein Kloster wie Dinklage zu erkennen. Innenminister Glogowski erwarte wohl, »daß sich Flüchtlinge im Kirchenasyl gefälligst in der Sakristei oder am Altar angekettet den Arsch abzufrieren haben«. Der Innenminister werde wohl demnächst ein »Landesamt zur Anerkennung von Kirchenasyl« einführen.

Interessanterweise hält Innenminister Glogowski nicht die widerborstigen Nonnen und die anderen Unterstützerinnen und Unterstützer der Zubatschevs für die Vertreterinnen und Vertreter einer legitimen demokratischen Tradition, sondern sich selbst für einen Mann des Widerstandes – gegen den Flüchtlingsrat. Zitat: »Ich komme aus einer alten sozialdemokratischen Familie. Meine Familie hat sich vor den Nazis nicht gebeugt, und ich lasse mich vom Flüchtlingsrat nicht in die Knie zwingen.«

Ein mehr als peinlicher Vergleich. Die Auseinandersetzung ums Kirchenasyl wird nicht nur in Niedersachsen härter. Auch andernorts nimmt die Zahl der Fälle, in denen Kirchenasyle mißachtet werden, zu. Eine Tatsache, von der sich die kirchlichen Unterstützerinnen und Unterstützer nicht entmutigen lassen. Denn in vielen Fällen hat dieses letzte Mittel eine humanitäre Lösung möglich gemacht.

Zur Geschichte der Familie Zubatschev

Die Familie kommt aus der Ukraine und ist russischer Volkszugehörigkeit. Herr Zubatschev war Mitglied der Schwarzmeerflotte, um die zwischen Rußland und der Ukraine ein heftiger Streit entbrannt ist. Der ehemalige Offizier Zubatschev war in der Ukraine Verfolgung und Schikanen ausgesetzt, weil er für den Verbleib der Flotte in der russischen Armee eintrat und sich an entsprechenden Soldatenprotesten beteiligt hatte.

Daraufhin wurde er verhaftet, verhört und zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen, seine Frau wurde während seiner Abwesenheit von Armeeangehörigen vergewaltigt.

Aus Angst vor weiteren Repressionen desertierte Herr Zubatschev und floh mit seiner Familie nach Deutschland. Die beiden haben eine fünfjährige Tochter.

Deserteure der russischen Armee haben in Rußland eine hohe Haftstrafe zu erwarten.

Während die Deserteure der russischen Westtruppen auf Beschluß der IMK aus diesem Grund mittlerweile ein Bleiberecht in der Bundesrepublik erhalten haben, wird dies solchen Deserteuren verweigert, die in anderen Staaten als Deutschland stationiert waren.

Der Asylantrag der Familie wurde jedoch als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt, daher entfaltet die Klage dagegen keine aufschiebende Wirkung. Das Kirchenasyl blieb als letzter Ausweg, um im Rechtsstaat Deutschland den Rechtsweg zu beschreiten. »Die Asylanträge sind rechtskräftig abgelehnt und die Familie hat sich zweimal einer freiwilligen Ausreise entzogen«, begründete ein Sprecher der Bezirksregierung das harte Vorgehen.

Im Januar 1997 fand Sergej Zubatschev mit seiner Familie in der Martinsscheune der zum Kloster gehörenden Burg Dinklage Zuflucht.

George Hartwig ist Mitarbeiter des Niedersächsischen Flüchtlingsrates.

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