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01.11.1997

Gefragt ist ein gutes Näschen
Menschenrechtler kritisieren die Sprachanalyse

Frankfurter Rundschau (Seite 2)
Von Beat Leuthardt (Basel)


Werden Asylbewerber, die nicht wissen, wie es etwa auf dem Markt von Pristina riecht, künftig abgewiesen? Menschenrechtler fürchten angesichts der von Bonn geplanten Sprach- und Erlebnisanalysen das Schlimmste. Die Schweizer Erfinder nehmen die Kritik gelassen.

„Die Schweiz engagiert Ethnologen, um auf ,falsche Flüchtlinge‘ Jagd zu machen“, titelte vor Monatsfrist die renommierte Westschweizer Tageszeitung Le Nouveau Quotidien. In dem Bericht kritisierte das Blatt ein neues Sprachanalyse-Verfahren der Fachstelle „Lingua“. Das Berner Bundesamt für Flüchtlinge läßt damit die Sprache und das Länderwissen von Asylsuchenden analysieren, über deren wahre Staatsangehörigkeit es Zweifel hegt.

Solche Zweifel haben die Behörden vor allem bei Personen aus Herkunftsstaaten innerhalb eines einheitlichen Sprachraums. Wer etwa aus „Kosovo“ stammt, hat bessere Asylaussichten als ein Bewerber aus „Albanien“; „Afghanistan“ erhöht die Chancen gegenüber „Iran“ oder „Pakistan“. Gleiches gilt für Teile Westafrikas. Um Schwindel auszuschließen, begannen zunächst Schweden, später die Niederlande und die Schweiz mit den Sprachanalysen. Nun will sich Bonn anschließen.

Bei der Schweizer „Lingua“-Methode wird, so der Verantwortliche Florentin Lutz, ein Asylsuchender vom Experten im Nebenraum über Telekomleitung zur Herkunftsregion befragt. In etwa dreißig Minuten muß der Fachmann herausfinden, wo die betreffende Person „am stärksten inkulturiert“ wurde. Daneben werden auch Aufzeichnungen auf Kassette analysiert. Videoaufnahmen sind geplant.

Die Erfolgsquote der bisher 172 vorgenommenen Analysen ist laut Amtsstatistik sehr hoch. Nur in sechs Prozent aller Fälle kam kein eindeutiger Schluß zustande. Bei 86 von hundert Befragten jedoch konnte der Experte „mit Sicherheit“ das Herkunftsland benennen; bei weiteren acht Befragten geschah dies „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“. Rund zwei Dutzend Experten garantieren dieses Resultat. Darunter seien auch Professoren, die sich „nicht zuletzt aufgrund unserer guten Honorare“ aus dem Ausland einfliegen ließen, sagt Lutz.

Yves Brutsch vom Genfer Centre Social Protestant, ein Hilfswerk aus der französischsprachigen Schweiz, hält bei diesem Analysesystem eine „enorm hohe Fehlerquote“ für unvermeidlich. Die Personen auf den Banknoten des Herkunftslandes nicht zu kennen, brauche keineswegs Ausdruck mangelnder Glaubwürdigkeit zu sein, ebensowenig ein untypischer Sprachakzent. Auch die renommierte Schweizerische Ethnologische Gesellschaft verurteilt das Procedere: Die Methoden verletzten die Persönlichkeit und stünden „im Widerspruch zur Ethik und zu den Praktiken der Ethnologie“.

Lutz dagegen verteidigt die Wissenschaftlichkeit von „Lingua“. Sprachliche Unterschiede herauszuschälen sei bloß ein Aspekt der „relativ neuen ethnographischen Linguistik“. Ebenso werde Erlebniswissen abgerufen, etwa mit solchen Fragen: „Wie riecht es auf dem Markt von Pristina im Kosovo?“ oder „Beschließt man den Kauf dort per Handschlag?“ Zudem „emotionalisierten“ die Experten die Prüflinge, um unverfälschte Aussagen zu erhalten, wodurch „Spuren des Ursprünglichen“ zum Vorschein kämen.

Daß immer mehr Analysen von der Polizei selbst gefordert werden, um Asylsuchende noch im Transitbereich des Flughafens Zürich abfertigen zu können, verhehlt der „Lingua“-Verantwortliche nicht. Wegen der haftähnlichen Situation muß die Expertise binnen zwei Tagen stehen. Ergibt sie ein anderes als das vom Fluggast genannte Herkunftsland, so wird er nicht in die Schweiz gelassen. Rechtlich hält man in Bern ein solches Vor-Asylverfahren, anders als die Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“, für korrekt. Zudem, betont Lutz, dienten die Expertisen nicht einzig dem Nachweis der Lüge – sie könnten „ebensosehr auch die Glaubwürdigkeit des Befragten untermauern“.


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