Hessischer Rundfunk Frankfurt
Woche vom 18. – 23. September 1967
RADIO KURZPREDIGTEN
Gebetsgemeinschaft
„Paris, den 22. Febr. 1908“, „Mein lieber großer Freund,“ so beginnt der Brief eines jungen Mannes an den schon zu dieser Zeit berühmten Dichter Paul Claudel. Der Brief, der dann folgt, gehört zu einem Briefwechsel zwischen diesen Beiden, der sich über Jahre erstreckte. Eine Reihe von Briefen an den jungen Mann hat Claudel aus Frankfurt geschrieben, „einer äußerst hübschen Stadt voller Blumen und Grün,“ wie es unter dem 11. Oktober 1911 heißt. Heute (22. Februar 1967) vor 60 Jahren wurde nun ein Brief geschrieben, aus dem ich eine Stelle herausgreifen möchte. Der Briefpartner des Dichters schreibt da: „Ich habe auch versucht, so wie Sie mich gebeten haben, zu beten, um dadurch mit ihnen vereinigt zu sein. Es ist mir nicht gelungen, so sehr habe ich es verlernt, ich verspreche Ihnen, mein Möglichstes zu tun.“ Und ein paar Zeilen später wiederholt er: „Ich verspreche Ihnen, alles zu tun, was in meiner Macht steht – es ist recht wenig – um mit Ihnen zu beten.“
Um diese Zeilen zu verstehen, muß man den entsprechenden Passus eines Briefes vom 11. Januar desselben Jahres kennen, in dem Claudel schreibt: „Ich habe deshalb den Entschluß gefaßt zu versuchen, jeden Tag meinen Rosenkranz für Sie zu beten. Es würde mir Freude bereiten, wenn auch Sie sich von Zeit zu Zeit zu dieser Übung zwingen wollten. Das Gebet hat einen solchen Wert, daß es, selbst wenn Sie nicht glauben, selbst wenn Sie ihm Ihrerseits keine Aufmerksamkeit schenken, nicht fruchtlos bleiben wird, Es ist etwas wundervoll Beruhigendes für den Geist und wird Ihnen den Weg zur Betrachtung öffnen. Wenn Sie mich wirklich, wie Sie sagen, lieben, dann können Sie mir dieses Werk des guten Willens nicht gut abschlagen, das uns jeden Tag im gleichen Gedanken und in gleichen Worten miteinander vereinigt.“
Daß Claudel gerade den Rosenkranz wählt, um jemanden das Beten zu lehren, will ich einmal übergehen. Viel befremdlicher ist der Umstand, daß ein Mensch, der sich selbst als glaubenslos ausgibt, beten soll, selbst dann, wenn er vom Beten nichts hält. Ist das von einem redlichen jungen Mann nicht zu viel verlangt? Claudel weiß aber, was er will. Er erwartet nicht, daß sein ungläubiger Freund gleich auf das Gebet vertraut, sondern, daß er auf seine Person vertraut. Dabei versteht er sich als ein Schrittmacher des Gebetes, so wie es die Schrittmacher für den Herzschlag gibt. Sein Beten gibt den Rhythmus an. Der Freund, der sich vertrauensvoll auf diesen Rhythmus einläßt, wird mit der Zeit auf denselben einschwingen. Schließlich kann der Rhythmus des andern zum eigenen Rhythmus werden, Der fremde Glaube ist zum eigenen Glauben, das fremde Beten zum eigenen Beten geworden.
In dieser Weise wird auch heute ein Glaubender Schrittmacher des Glaubens sein können. Nicht die Glaubenstheorie , sondern der gläubige Mensch überzeugt. Nach einigen Jahren erhält dann auch Paul Claudel einen Brief mit dem Satz: „Sie vermögen sich nicht vorzustellen, welch unmerklichen, aber langen Weg ich zurückgelegt habe, seitdem ich Sie kenne.“